Gesinnung oder Besinnung?
Dresden und die jeweils zeitgenössische Kunst
Der Countdown läuft. Noch 166 Tage bis zum Stadtjubiläum, so verkündet gestern die Anzeigetafel am Dresdner Altmarkt. Achthundert Jahre hat die Elbmetropole dann auf dem Buckel. Über Jahrhunderte ertrug sie die Last und genoss sie die Lust einer Residenzstadt von Gnaden der Wettiner. Ein bildungsbeflissenes und technikförderndes, kriegsscheues und kunstsinniges Herrschergeschlecht. Der Kunstsinn kam vom sächsischen Menschenschlag. Er zeitigte Ergebnisse, die sich heute noch sehen und hören lassen können. Künstlerische Spitzenleistungen entstanden jedoch immer nur in einem oft bedrohlichen Konfliktfeld. Intellektueller Höhenflug und schöpferische Kreativität waren im satt-selbstzufriedenen Milieu von beamteten Obrigkeitswächtern oft Anfeindungen ausgesetzt. Man stelle sich die Aktivitäten von George Bähr (als er für die Bürgergemeinde das alternative Gotteshaus der Frauenkirche errichtete) oder Gottfried Semper (der als Opernbaumeister wagte, auch Barrikaden für königsfeindliche Aufständische zu bauen) nicht als beschauliche Spaziergänge vor.
Da das Sammeln und In-Auftrag-Geben von Kunst eine höfische Angelegenheit war, sah traditionell gesammelte und entstehende Kunst in Dresden immer in erster Linie höfisch-repräsentativ oder höfisch-galant aus. Eine wahre Pracht war das, gewiss. Wer jedoch mit ungewohnten Neuerungen aufmuckte, hatte es schwer. Der Jahrhundertaufbruch von Jugendstil und Werkbundbewegung gab energische Signale. Die Pioniere der Dresdner Pharma-, Tabak- und vor allem Foto-Industrie als tonangebende bürgerliche Elite trugen diese Bewegung. Als nach kürzester Zeit daraus eine Eruption expressiver Farb- und Formexperimente, getragen von der Künstlergruppe »Die Brücke«, emporschoss, war das Spektakel perfekt. Siehe da, die bürgerliche Revolution war erst eine ästhetische, ehe sie politisch wurde. Die hochgebildeten Bürgerlichen waren noch immer von der Tradition des Hauses Wettin geprägt. Sie waren derart musikalisch, dass sie auf künstlerisch Neues immer zuerst mal pfiffen. Als der »Geenich« sie 1918 (wie er so schön sagte) schließlich ihren »Dreck alleene« machen ließ, sah das dann zunächst einmal danach aus. Die Kunststadt wurde autonom. Mühsam fand sie ihren Weg zu einer demokratischen Kulturpolitik.
Dabei war das künstlerische Dresden in den zwanziger Jahren für ganz Deutschland geradezu von magnetischer Wirkung. Nur die Reichshauptstadt (in der die dorthin ausgewichenen »Brücke«-Künstler übrigens auch scheiterten) bot mehr. Die Stadt, in der wunderbare Malerpersönlichkeiten wie Robert Sterl und Gotthard Kuehl, Carl Bantzer und Otto Gussmann als Lehrer wirkten, leistete sich 1919 endlich eine Städtische Galerie. Ihr Domizil war zwar immer noch der große neue Rathausbau als bürgerliche Mitte der Stadt. Aber knapp fünf Jahre durfte ein agiler Galerist und Kunsthistoriker namens Paul Hermann Schmidt eine Sammlung zusammentragen, die bürgerliche Statusbegriffe weit hinter sich ließ und die moderne zeitgenössische Kunstszene einfing.
Der einzigartige Otto Dix war da präsent. Das ganze, einerseits von wunderbarer Malkultur, andererseits von sozialkritischem Engagement geprägte Umfeld spielte mit. Zu schön, um wahr zu sein. Da gab es den Naturstudien-Zuchtmeister, bei dem so aufsässige Temperamente wie Conrad Felixmüller, Otto Griebel, George Grosz, Kurt Querner und Willy Wolff studiert hatten. Der als »Mäusemüller« berüchtigte Akademieprofessor Richard Müller spielte 1933 den Totengräber für die vitale Szene. Gemeinsam mit zwei miesen NS-Kunstsatrapen stellte er in dem der Städtischen Galerie gewidmeten Rathaussaal die ihm viel zu Modernen als Entartete an den Pranger. Es war die Initialzündung für die später im Münchner »Haus der Kunst« inszenierte Monsterschau. Der von P. H. Schmidt gesammelte hochkarätige Kunstbestand fiel der Beschlagnahme zum Opfer. Und verschwand aus der Stadt auf Nimmerwiedersehen. Die für die Entwicklung wichtigen Künstler wurden mit Malverbot belegt oder zogen sich frustriert in ihre Ateliers zurück - einer bis dahin undenkbaren Gesinnungsdiktatur preisgegeben. Das Bombeninferno des Februar 1945 zerstörte auch diese Refugien, welche bei vielen ein ganzes Lebenswerk bargen. Befreit in einem makaber doppelten Sinn, suchten sie einen Neuanfang. Die ersten Gruppen nannten sich »Das Ufer« und »Der Ruf«. So riefen sie denn vom neuen Ufer weit ins Land hinein. Und das Echo war enorm. Nicht zufällig fanden die ersten großen gesamtdeutschen Kunstausstellungen 1946 und 1949 in Dresden statt. Unter den Kunstaktivisten der ersten Stunde gab es dennoch eine starke Selbstbesinnung auf das Eigene, spezifisch Dresdnerische. Wilhelm Rudolph, Josef Hegenbarth und manche andere schufen meisterliche grafische Studien von Menschen und Milieus in der zerstörten Stadt. Der seinerzeit an den Bodensee entwichene Otto Dix bekam die erste große Personalausstellung. Sofort arbeitete er wieder in der Grafik-Werkstatt der inzwischen von seinem Schüler, dem todkrank aus dem KZ geretteten Hans Grundig, geleiteten Akademie.
Der Kunsthistoriker Fritz Löffler wechselte als nimmermüder Werber für ein Sammeln Dresdner Kunst vom inzwischen künstlerisch bedeutungslosen Stadtmuseum zu den Staatlichen Kunstsammlungen. Vorübergehend verlagerte sich alle Aktivität dorthin. Deren überregionale Sammeltätigkeit orientierte sich an Dresdner Qualitätsmaßstäben. Dafür bürgten Namen wie Wolfgang Balzer und Werner Schmidt für das Kupferstichkabinett, Hans Joachim Neidhardt und Horst Zimmermann für die Gemäldegalerie Neue Meister. Gezielte Auswahl nach Gesinnungsmaßstäben blieb auf die zweifelhafte Person des Zimmermann-Vorgängers Joachim Uhlitzsch beschränkt. Interessant war das Beziehungsgeflecht zu den bildenden Künstlern. In Dresden förderten die Kunstsammlungen listig-mutig die unangepasste Künstleropposition - und machten viele Namen durch ihre Ankaufspolitik erst bekannt.
Insofern wurde das in Dresden nach traditionellem Muster immer besonders linientreue Establishment permanent nach der Katz-und-Maus-Methode überspielt. Es waren durchaus nicht nur so genannte Dissidenten, die da auf hochkünstlerische Weise für Unruhe sorgten. Wenn diese Stadt nun ihr Jubiläum feiern wird, sollte man 40 dieser 800 Jahre nicht als Jammertal der Ahnungslosen betrachten. Zumindest künstlerisch hat es das nie gegeben. Doch wie soll man das Leuten beibringen, die mit der Vorstellung nach Dresden kamen, hier müsse erst einmal ein Muster von Welt statuiert werden. Und die den 1961 ganz friedlich auf und davon gegangenen, inzwischen in Köln zum Weltklassemaler avancierten Gerhard Richter hofieren, als sei er Dürrenmatts Alte Dame und Dresden deren Heimatort Güllen. Es ist jedenfalls ein Skandal mittlerer Güte, wie die Gemäldegalerie Neue Meister zur Zeit nach Richterschen Maßgaben umgestaltet ist. Nur damit G.R. neuerdings darin bestens zur Geltung kommt, sind plötzlich alle Wände (falls überhaupt noch vorhanden) weiß. Ob das nun zu Caspar David Friedrich und Ludwig Richter, Max Slevogt und Lovis Corinth, Otto Dix und Hans Grundig passt oder nicht. Von Dresdner Geist ausstrahlenden Malern hält Galerie-Direktor Bischoff eh nicht viel. Jedenfalls benachteiligt die von ihm zu verantwortende Hängung die Dresdner Kunstszene schon lange. Was im Erdgeschoss des Albertinums jetzt gerade mit Ernst Rietschels mustergültig arrangierten Skulpturen möglich war, will eine Etage höher wies scheint partout nicht gelingen.
Schade drum, dass ein bereits 1957 von Löffler erarbeitetes Konzept für die Kunstsammlung einer städtischen Galerie erst durch die jetzt von Gisbert Porstmann beispielhaft geleistete Arbeit realisiert wird. Dennoch sollte man die Nachwendejahre nicht vergessen, als der neu berufene Direktor Matthias Griebel das Stadtmuseum aus dem sozialistisch verordneten Dornröschenschlaf erlöste. Und immerhin viele jener Personalausstellungen Dresdner Künstler im Landhaus veranstaltete, die das benachbarte Albertinum unterließ. In der Euphorie der Eröffnungsreden am 2. Juli im renovierten Haus vergaßen die Redner zufällig, das zu erwähnen. Offenbar fand die entscheidende Weichenstellung pro Galerie erst nach der Wahl von Ingolf Rossberg zum Oberbürgermeister statt, der auch die Galerie eröffnete.
Wie die Vorstellungen der Initiatoren, ob sie nun Löffler oder Neidhardt oder Frommhold hießen, jetzt von Porstmanns Galerieteam umgesetzt werden, ist ein Exempel der besonderen Art: Es ist also möglich, der »linken Flanke« Dresdner Kunst endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, daneben die Peinture ihrer zutiefst gutbürgerlichen Malerkollegen zu würdigen, und mit Neuentdeckungen von Experimentellem noch eins draufzusetzen. Tröstlich zu beobachten, wie nunmehr in Dresden ein Resümieren von Kunstvergangenheit Platz greift, das jüngst vergangene Jahrzehnte fair einbezieht. Ein Verfahren, das nach Berlin, Leipzig und Cottbus (da versucht man glücklos, Brandenburg aufzuarbeiten) zu exportieren wäre, falls es fortgesetzt wird. Sonst blamieren sich die alten, immer wieder neu definierten Bundesländer weiter damit, dass sie mit ihren künstlerischen Pfunden nicht zu wuchern verstehen. Bloß, weil sie nicht in den Verda...
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