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  • Politik
  • Gerhard Bengsch: »Gute Nacht, Antonio«

Medizin gewissermaßen

  • Lesedauer: 3 Min.

Von Günter Görlich

Wie schreibt man nur über ein Buch, an dem man im wesentlichen nichts auszusetzen hat, aber man will Leser gewinnen für diese Texte, die einen selbst beeindruckt haben. Da war das Lachen über das Erzählte, das einem immer wieder im Halse stecken blieb, die Genugtuung über eigene Erkenntnisse, die man plötzlich in dieser entlarvenden Direktheit auf den Buchseiten vorfand. Aber man will ja auch nicht zu viel verraten von den Geschehnissen, in die Gerhard Bengsch einen hin-, einzieht mit sanfter Gewalt.

Also der Antonio, dem eine gute Nacht gewünscht wird. Das ist wohl die schärf-

ste Geschichte in diesem Band. Der Filmkomponist Broiler, genannt auch Jonny, erfolgreich in der DDR, nicht minder erfolgreich danach, will wissen, ob er eine Stasi-Akte hat. Nur so aus Neugier. Er hat keine, und doch wird ihm von der Behörde, die vor zehn Jahren erfunden wurde und sich prächtig entwickelt hat bis heute, ein DINA4 Blatt zugeschickt mit einer Notiz, verfaßt von einer »Quelle Antonio«, die an Jonnys 40. Geburtstag eine ZP (Zielperson) erwartete, die aber nicht kam, weshalb der OP (Operative Vorgang) eingestellt wurde. Das ist alles. Dieser Antonio läßt Jonny fast um den Verstand kommen. Wer ist es, der da bei ihm zu Haus vergeblich auf die ZP gewartet hat? Wie Bengsch das erzählt, ist es komisch, und wiederum nicht. Wie-

viele Antonios oder wie sie sonst noch hießen, haben zahllose Menschen in Bedrängnis gebracht und bringen sie noch. Darüber nachdenkend, bleibt einem das Lachen über die seltsamen, turbulenten Vorgänge im Halse stecken.

Die zweite Geschichte handelt von den verschieden gestalteten Buttercremetorten des Bäckers Krumbiegel aus einer märkischen Kleinstadt, vom Hakenkreuz darauf aus Schokolade, über das Emblem von Hammer, Zirkel und Ehrenkranz bis zum Bundesadler, auch aus Schokolade. Da denkt man ein wenig bitter nach über eine Seite des Lebens in einer Republik, die nach 40 Jahren verschwand. Sicher sehr übertrieben alles und doch sehr zutreffend die Geschichte vom Bäcker Krumbiegel, denkt man zum Beispiel an

eine Frau L. aus Thüringen, die heuer im Bundestag einen Sitz hat.

Es folgen kurze Texte, und auch die haben es in sich. Wir werden Zeuge, wie heute ein Fernsehfilm entstehen soll, und dann doch nicht. Weil Kommerz über alles geht, auch über das schwache Bemühen, ein wenig Kunst zu machen. Da wird über den ernsthaften Versuch berichtet, daß aus Rom Rückgabeansprüche gestellt werden an die Deutschen in Köln, Bonn und anderen Orten am Rhein, die ja einstmals nachweislich von Römern gegründet wurden in sehr früher Zeit. Das nachzuvollziehen fällt Bengsch nicht schwer, schließlich wohnt er in Kleinmachnow, wo die Kanü-Weltmeisterin Fischer bald ihr Haus räumen soll.

Damit beende ich meine Betrachtungen über ein Buch, das ich gern als Lektüre empfehle. Als Medizin gewisserma-ßen. Oder als Belehrung für Gutwillige aus dem alten Bundesgebiet.

Anthologie übers Lesen und Gelesenwerden: »Das Buch zum Buch«, herausgegeben von Christa Jansohn bei Reclam (260 S., brosch., 20 DM).

f* edanken über Zeit und Existenz, über VjTden Preis des Schreibens, über Schicksale, die sie berührten: »Mai in Piest'any« von Eva Strittmatter wurde im Aufbau Taschenbuch Verlag wiederaufgelegt (213 S., brosch., 13,90 DM).

Unvergeßliche Begegnungen mit Literaten, Künstlern und Philosophen: »Hinter den Kulissen - Zwischen den Zeilen« - biographische Miniaturen, die aus der journalistischen Tätigkeit von Wolf Littmann erwachsen sind (Fouque, 143 S., brosch., 16,80 DM).

T 7eyführung, Unterwerfung, Sehnsucht, V Besessenheit. »Im Labyrinth der Lust« - erotische Texte bekannter Autorinnen und Autoron (Hg. v Christine Proske, Heyne, 400 S., brosch., 14,90 DM).

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