- Politik
- ? Wilhelm von Oertzen und die Mecklenburger »Herrengesellschaft«
Die elitären Fans von Hitler
Für den mecklenburgischen Rittergutsbesitzer Wilhelm von Oertzen war der Marxismus ein undeutsches Produkt »jüdischer Weltanschauung«. Seine Tochter, eine Freifrau zu Innhausen und Knyphausen, hatte ein halbes Jahrhundert später keine Bedenken, mit einem Manne Kontakt aufzunehmen, der sich Zeit seines Lebens als ein Historiker der Marxschen Schule verstand und von dem sie erfuhr, daß er sich mit der Biographie ihres Vaters forschend befaßte. Die Rede ist vom Rostocker Hochschullehrer Lothar Eisner, nach 1990 an seinem Arbeitsplatz nicht länger geduldet. Das hielt die adlige Frau nicht davon ab, sein Unternehmen zu fördern. Die Drucklegung des Manuskripts erlebte der Autor jedoch nicht mehr. Seine Witwe gab den Text heraus. Das Buch ist fortan nicht zu ignorieren, wenn es um die Aufhellung des Verhältnisses des grundbesitzenden Adels zur Weimarer Republik und zur faschistischen Herrschaft geht.
Wilhelm von Oertzen entstammte einem Adelsgeschlecht, dessen Familienchronik bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht. 1911 übernahm er den Stammsitz der Familie, das hoch verschuldete Rittergut Roggow, unfern von Rerik. 1926 gründete er mit weiteren Grundbesitzern die »Herrengesellschaft Mecklenburg«. Hindenburg war im Jahr zuvor Reichspräsident geworden. Hoffnungen auf den baldigen Tod der Republik keimten auf. Die Gesellschaft zählte 1933 nahezu 300 Mitglieder Sie konnte sich einen Verdienst daran zuschreiben, daß der »Misthaufen«, so Oertzen über die Gründung von 1919, schließlich verrottet war
Antirepublikanismus bildete das stärkste Band, das die Adligen, Großbürger, evangelischen Kirchenführer, Ärzte, Juristen, Professoren und Lehrer in dieser »Herrengesellschaft« zusammengeführt hatte. Regelmäßig traf man sich, tauschte sich aus, hörte Vorträge. 1928 versuchte Oertzen, auch Hitler als Referenten zu gewinnen. Doch erhielt er eine Absage. 1931 schickte er einen mecklenburgischen Herzog vor, um den begehrten Gast zu engagieren. Wieder vergeblich. Oert-
zen vermutete Vorbehalte Hitlers gegenüber dem Adel. Jedoch: Wer sich auf die Landproletarier als Stimmvieh orientierte, konnte sich nicht in einem elitären Herrenkreis öffentlich präsentieren. Oertzens exponierte Stellung ließ 1931 auch seinen Versuch scheitern, Mitglied der NSDAP zu werden. Drei Jahre später glückte sein erneuter Anlauf.
Da hieß die »Herrengesellschaft« inzwischen »Deutscher Klub Mecklenburg«. Der Name biß sich weniger mit den Phrasen von der »Volksgemeinschaft«. An Exklusivität war nichts aufgegeben worden. Die Herren marschierten stramm an der Seite der Nazis aus der »undeutschen« Republik von Weimar in den »Beginn eines völlig neuen Zeitalters«, wie Oertzen meinte. Er feierte den Wahltag am 5. März 1933, als Roggow nahezu »Sozialistenfrei« geworden war, und ließ für seine Leute »ein paar Fäßchen Bier anrollen«. Am Tag von Potsdam sprach er euphorisch gestimmt vor SA, Stahlhelm und Kriegervereinen.
Gebührend honoriert empfand Oertzen seinen und seiner adligen Gefährten Anteil am Entstehen des »Dritten Reiches«
jedoch nicht. Offenbar trug man ihnen noch nach, daß sie 1932 für ihren Standesgenossen Franz von Papen eingetreten waren. Und so richtig konnte sich der Aristokrat auch im »neuen Deutschland« nicht heimisch fühlen. Unterhalb des »Führers«, den er »genial« nannte, tummelten sich zu viele Karrieristen, die er verachtete. Oertzen zählte sie zur »Mittelware« und befürchtete, es drohe die »Herrschaft der Minderwertigen«.
Auch manch anderes fand nicht seine ungeteilte Zustimmung. Als er am 30. Juni 1934 die Nachricht über die Ermordung der SA-Führer um Röhm erhielt, schrieb er- »Etwas Undeutsches, Asiatisches, Japanisches ist in dem Bilde Hitlers aufgetaucht.« Vermeintlich »Undeutschem« begegnete er beim Pogrom gegen die Juden 1938 wieder. Zwar sah er im Attentat in Paris »einen abgekarteten Racheakt jüdischer internationaler Kreise«, doch sei das Brandstifter- und Zerstörungswerk im November '38 deutschem Ansehen schädlich. Es entging ihm nicht der nachfolgende Raubzug, die »Arisierung« jüdischen Eigentums: »Das war vielleicht der eigentliche Zweck des ganzen Unternehmens.«
Doch Bedenken und Vorahnungen wurden verdrängt, die Aufrüstung gebilligt, bejubelt jeder außenpolitische Erfolg der Hitlerregierung. Aus Frankreichs Kapitulation könnte »ein Wendepunkt... sogar der Weltgeographie« hervorgehen,
triumphierte Oertzen. Anderthalb Jahre später, die Schlacht vor Moskau ist verloren, erkannte er den »Anfang der Niederlage«. Der Tod seiner beiden Söhne, die Nachrichten vom zerstörten Lübeck und des in Trümmern liegenden Rostock ließen ihn nachdenken. Über die Antwort »Hitler war schuld« kam er nicht hinaus.
Oertzen beklagte, »in diese Zeit hineingeboren zu sein«. Er sah auch das, Ende.seines Besitzes voraus. Mit der tragischen Hinterlassenschaft, an der er mitschuldig war, wollte er sich nicht auseinandersetzen. Das überließ er seinem Gesinde. Ihn beschäftigte die Frage, wie ein Selbstmord sicher gelingt. Wenige Stunden nach dem Eintreffen der Sowjetarmee erschoß er seine Frau und sich.
Eisner konnte das Leben des Rittergutsbesitzers anhand von dessen Tagebuch plastisch nachzeichnen. Er formuliert Bekenntnisse und Geständnisse nicht zu billiger Verdammung um. Die Zitate aus der Feder des Aristokraten sprechen für sich, sind beredtes Zeugnis über den Adelsstand im Untergang. Für diesen gibt es kein Zurück mehr, ebenso nicht für die Enteignung ihres Großgrundbesitzes dereinst im Osten.
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