Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Bilder statt Worte

  • Lesedauer: 2 Min.

Von Jürgen Amendt

Ist das Volk der Dichter und Denker, das so stolz auf seine Philosophen und Schriftsteller ist, auf dem Weg in eine Zukunft, in der immer weniger des Lesens und Schreibens kundig sind, in der wir wieder mittels Bilder und visualisierter Sprache kommunizieren? Fast scheint es so, zumindest sind die Zahlen, die jüngst vom Bundesverband Alphabetisierung vorgestellt wurden, alarmierend: Vier Millionen Erwachsene in Deutschland können danach nicht oder nur ungenügend lesen und schreiben.

die trotz Schulbesuchs vielleicht noch mühsam die Schlagzeile der »Bild«-Zeitung entziffern können, aber bereits vor der Speisekarte im Restaurant kapitulieren müssen. Wie viele von den vier Millionen mögen in Wirklichkeit Legastheniker sein? Experten wiesen erst vor wenigen Tagen darauf hin, daß die Zahl von Analphabeten auch von der Definition des Analphabetismus abhängt. Ende des letzten Jahrhunderts beispielsweise galt als Analphabet, wer seinen Namen nicht schreiben

konnte. Nach dieser Definition gäbe es heute kaum noch Leseund Schreibunkundige. Zu Kaiser Wilhelms Zeiten war es aber auch nicht notwendig, bei Behörden Formulare auszufüllen oder sich bei Einstellungstests schriftlich ausdrücken zu müssen. Wer das heutzutage nicht kann, wird mit gesellschaftlicher Ächtung bestraft, bekommt keinen Arbeitsplatz, kann nicht zielgerichtet am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und muß sich daher mit dem begnügen, was ihm die »Textgelehrten«

an bebilderten Informationen übermitteln. Immer mehr findet Kommunikation in unserer Welt in Form von Bildern statt. Die Sprache der Werbung kommt fast ohne Wörter aus, überall um uns herum weisen uns Piktogramme den Weg durch den Alltag. Und zentrale Informations- und immer häufiger auch Kommunikationsinstanz ist der Fernseher

Kinder, die schon Schwierigkeiten mit dem Erlernen des Alphabets haben, fallen in der Schule immer häufiger nicht mehr auf. Große Klassen, über-

frachtete Lehrpläne, demotivierte Lehrer - wer ein X nicht von einem U unterscheiden kann, kann sich zwar recht gut bis zum Schulabschluß durchs Leben mogeln, doch lediglich mit einem Abgangszeugnis in der Tasche, ohne eigentlichen Abschluß, haben solche Jugendliche im Wettkampf um die raren Ausbildungsplätze kaum noch Chancen.

Handeln tut also not. Doch allein mit Fernseh- und Kinospots, wie es der Alphabetisierungsverband vorhat, wird es nicht getan sein.

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.