Eine Wende

Günther Schauerte über die »Beutekunst«

Günther Schauerte (50), promovierter Archäologe, ist stellvertretender Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin.

ND: Anlässlich Ihres Rundganges durch die Ausstellung »Archäologie des Krieges« im Moskauer Puschkin Museum Anfang Juli öffnete die Direktorin Irina Antonowa bisher verschlossene Magazine mit Ausgrabungsstücken, die 1945 von der Roten Armee erbeutet wurden. Kam das plötzliche Ende der Geheimhaltungspolitik für Sie überraschend?
Schauerte: Die Geste der Selbstverständlichkeit hat uns sehr überrascht. Man hat uns jeden Schrank gezeigt und die Holzschuber mit den ausgepackten Stücken vorgelegt. Wir durften alles fotografieren - das war kein Problem. Früher wäre das undenkbar gewesen. Bisher hatten wir das Gefühl gehabt, nur das sehen zu dürfen, von dem wir sowieso genau wussten, dass es in Moskau ist. Dagegen konnten wir uns in der Eremitage von St. Petersburg schon zuvor ganze Sammlungsbereiche betrachten. Wir haben mit den Kollegen dort darüber gesprochen und gemeinsam Ausstellungen gemacht, wie die zu Heinrich Schliemann.

Wie erklären Sie sich den Sinneswandel in Moskau?
Da kann man nur spekulieren. Bei so einem delikaten Thema wie der Beutekunst kann die Anordnung entweder nur von ganz oben kommen. Oder aber es ist eine persönliche Geste von Frau Antonowa. Unsere Sichtweise ist die: Wir sind nicht mit aggressiven Forderungen gekommen, sondern haben unser Kooperationsangebot wiederholt. Wir haben uns auch nicht gescheut, die Kollegen wegen ihrer erheblichen Leistung zu loben, die sie bei der Restaurierung der Stücke aus den Kisten mit Nachkriegsschutt vollbracht haben. Wir haben aber auch erklärt, dass der ohnehin schon gute Ausstellungskatalog noch besser sein könnte, wenn man vorher mit uns gesprochen hätte. Wir haben dann unseren Vorabdruck des Verlustkatalogs der Antikensammlung auf den Tisch gelegt. Das sind neun Bände, und die Kollegen waren sehr überrascht, ihn behalten zu dürfen. Aus unserer Sicht hat uns diese Geste die Tore geöffnet.

Konnten Sie bei Ihrer Besichtigung vermisstes Kunstgut aus Deutschland entdecken?
Etwa 80 Prozent der Stücke stammen aus Berlin. Plötzlich stellen wir fest, da sind in der Ausstellung zerscherbte Gefäße, die wieder zusammengesetzt wurden, aber dort nur zu 80 Prozent erhalten sind. Der Rest liegt in Deutschland. Auf einer wunderschönen attischen Vase mit figürlicher Darstellung fehlt eine zentrale Scherbe, die sich bei uns im Museum befindet. Ein anderes Mal sind es Henkel oder ein Aufsatz. Wir haben einen homogenen Komplex über die Griechische Kunst aus der Antiken Sammlung der Staatlichen Museen zu Berlin gesehen. Zudem konnten wir attische Vasen der Sammlung Schloss Gotha zuordnen. Wir vermuten, dass weitere Stücke, die nicht unmittelbar zu bestimmen waren, aus Dresdner Museen stammen.

Was bedeutete das unverhoffte Wiedersehen mit Kunstwerken aus der eigenen Museumssammlung für Sie?
Es war eine Freude wie beim Wiedersehen mit Familienmitgliedern. Diese Kunstgegenstände haben bisher weltweit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung gefehlt. Wenn man die Stücke nicht nur auf Fotos, sondern im Original sieht, dann entdeckt man ihre Aura. Man sollte als Wissenschaftler die Objekte in die Hand nehmen können. Dann erst kann man sie im wahrsten Sinne des Wortes begreifen.

Gibt es Zusagen des Puschkin-Museums, deutsche Experten weiterhin in die Depots zu lassen?
Das ist Teil des Protokolls, das wir in Moskau gefertigt haben. Wir wollen intensiver zusammenarbeiten. Wir planen im September ein gemeinsames Kolloquium in Moskau über die konservatorische Behandlung von Ausgrabungsgegenständen. Künftig können wir auch gemeinsame thematische Ausstellungen erarbeiten.

Bleibt trotzdem die Forderung nach Rückgabe der Beutekunst?
Die bleibt immer erhalten. Übrigens halte ich auch nichts von einem großen Beutekunst-Museum in Moskau, das von Deutschen und Russen gemeinsam geführt wird. Die Verantwortung dafür zu teilen, ist nicht vertretbar.

Wäre ein Verzicht auf volle Rückgabe aller aus Deutschland verbrachten Kunstgüter denkbar, um von Nazideutschland verursachte Lücken in russischen Sammlungen zu schließen?
Diese Frage beschäftigt einen natürlich sehr. Ich glaube aber, das muss die Politik lösen. Obwohl die Stücke seit 60 Jahren auf Reisen sind, ist es unser höchstes Ziel, sie zurückzugewinnen. Die Museen sind Teil der kulturellen Identität einer Nation. Die Begeisterung der Deutschen für Archäologie etwa schlägt sich in der Gründung des Deutschen Archäologischen Instituts wieder. Es ist mit seinen weltweiten Verästelungen das größte in der Welt. Die Ausgrabungsstücke stellen für uns weniger einen materiellen Wert dar, sondern sind Teil der Geistesgeschichte Deutschlands und deswegen gehören sie hierher.

Fragen: Matthias BusseND: Anlässlich Ihres Rundganges durch die Ausstellung »Archäologie des Krieges« im Moskauer Puschkin Museum Anfang Juli öffnete die Direktorin Irina Antonowa bisher verschlossene Magazine mit Ausgrabungsstücken, die 1945 von der Roten Armee erbeutet wurden. Kam das plötzliche Ende der Geheimhaltungspolitik für Sie überraschend?
Schauerte: Die Geste der Selbstverständlichkeit hat uns sehr überrascht. Man hat uns jeden Schrank gezeigt und die Holzschuber mit den ausgepackten Stücken vorgelegt. Wir durften alles fotografieren - das war kein Problem. Früher wäre das undenkbar gewesen. Bisher hatten wir das Gefühl gehabt, nur das sehen zu dürfen, von dem wir sowieso genau wussten, dass es in Moskau ist. Dagegen konnten wir uns in der Eremitage von St. Petersburg schon zuvor ganze Sammlungsbereiche betrachten. Wir haben mit den Kollegen dort darüber gesprochen und gemeinsam Ausstellungen gemacht, wie die zu Heinrich Schliemann.

Wie erklären Sie sich den Sinneswandel in Moskau?
Da kann man nur spekulieren. Bei so einem delikaten Thema wie der Beutekunst kann die Anordnung entweder nur von ganz oben kommen. Oder aber es ist eine persönliche Geste von Frau Antonowa. Unsere Sichtweise ist die: Wir sind nicht mit aggressiven Forderungen gekommen, sondern haben unser Kooperationsangebot wiederholt. Wir haben uns auch nicht gescheut, die Kollegen wegen ihrer erheblichen Leistung zu loben, die sie bei der Restaurierung der Stücke aus den Kisten mit Nachkriegsschutt vollbracht haben. Wir haben aber auch erklärt, dass der ohnehin schon gute Ausstellungskatalog noch besser sein könnte, wenn man vorher mit uns gesprochen hätte. Wir haben dann unseren Vorabdruck des Verlustkatalogs der Antikensammlung auf den Tisch gelegt. Das sind neun Bände, und die Kollegen waren sehr überrascht, ihn behalten zu dürfen. Aus unserer Sicht hat uns diese Geste die Tore geöffnet.

Konnten Sie bei Ihrer Besichtigung vermisstes Kunstgut aus Deutschland entdecken?
Etwa 80 Prozent der Stücke stammen aus Berlin. Plötzlich stellen wir fest, da sind in der Ausstellung zerscherbte Gefäße, die wieder zusammengesetzt wurden, aber dort nur zu 80 Prozent erhalten sind. Der Rest liegt in Deutschland. Auf einer wunderschönen attischen Vase mit figürlicher Darstellung fehlt eine zentrale Scherbe, die sich bei uns im Museum befindet. Ein anderes Mal sind es Henkel oder ein Aufsatz. Wir haben einen homogenen Komplex über die Griechische Kunst aus der Antiken Sammlung der Staatlichen Museen zu Berlin gesehen. Zudem konnten wir attische Vasen der Sammlung Schloss Gotha zuordnen. Wir vermuten, dass weitere Stücke, die nicht unmittelbar zu bestimmen waren, aus Dresdner Museen stammen.

Was bedeutete das unverhoffte Wiedersehen mit Kunstwerken aus der eigenen Museumssammlung für Sie?
Es war eine Freude wie beim Wiedersehen mit Familienmitgliedern. Diese Kunstgegenstände haben bisher weltweit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung gefehlt. Wenn man die Stücke nicht nur auf Fotos, sondern im Original sieht, dann entdeckt man ihre Aura. Man sollte als Wissenschaftler die Objekte in die Hand nehmen können. Dann erst kann man sie im wahrsten Sinne des Wortes begreifen.

Gibt es Zusagen des Puschkin-Museums, deutsche Experten weiterhin in die Depots zu lassen?
Das ist Teil des Protokolls, das wir in Moskau gefertigt haben. Wir wollen intensiver zusammenarbeiten. Wir planen im September ein gemeinsames Kolloquium in Moskau über die konservatorische Behandlung von Ausgrabungsgegenständen. Künftig können wir auch gemeinsame thematische Ausstellungen erarbeiten.

Bleibt trotzdem die Forderung nach Rückgabe der Beutekunst?
Die bleibt immer erhalten. Übrigens halte ich auch nichts von einem großen Beutekunst-Museum in Moskau, das von Deutschen und Russen gemeinsam geführt wird. Die Verantwortung dafür zu teilen, ist nicht vertretbar.

Wäre ein Verzicht auf volle Rückgabe aller aus Deutschland verbrachten Kunstgüter denkbar, um von Nazideutschland verursachte Lücken in russischen Sammlungen zu schließen?
Diese Frage beschäftigt einen natürlich sehr. Ich glaube aber, das muss die Politik lösen. Obwohl die Stücke seit 60 Jahren auf Reisen sind, ist es unser höchstes Ziel, sie zurückzugewinnen. Die Museen sind Teil der kulturellen Identität einer Nation. Die Begeisterung der Deutschen für Archäologie etwa schlägt sich in der Gründung des Deutschen Archäologischen Instituts wieder. Es ist mit seinen weltweiten Verästelungen das größte in der Welt. Die Ausgrabungsstücke stellen für uns weniger einen materiellen Wert dar, sondern sind Teil der Geistesgeschichte Deutschlands und deswegen gehören sie hierher.

Fragen: Matthias Busse

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