Vergessene Geschichte aus Beton

In Karlshorst macht eine Architekten-Familie das Portland-Cement-Haus öffentlich

  • Steffi Bey
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Stück fast vergessene Geschichte wird wieder lebendig: Das markante Gebäude an der Karlshorster Dönhoffstaße 38 öffnet seine Türen. Nahezu unbekannt ist, dass es seit 1901 Laboratorium und Repräsentanz der deutschen Zementindustrie war. Die Architekten Christine Neukirch-Lange und ihr Mann Andreas haben das Portland-Cement-Haus gekauft, saniert und führen interessierte Besucher durch die Beton-Historie. Auffällig steht das Haus mit der beige Fassade und den altrosafarbenen Linien und Verzierungen in der Nähe des S-Bahnhofs Karlshorst. Die vielen Sprossenfenster sind rosa umrandet. Wer näher kommt, erfährt gleich am Zaun etwas über die Vergangenheit des Baus. Es gibt eine Tafel mit Fotos vom großen Saal, vom Konferenzraum und ein paar Informationen über den Verein Deutscher Portland-Cement-Farbrikanten, der dort einst den Baustoff Zement prüfte und für den industriellen Einsatz weiterentwickelte. »Es war sehr schwer, überhaupt etwas darüber zu erfahren«, sagt Christine Neukirch-Lange. »Es war ein vergessenes Denkmal.« Dass sich das jetzt ändert, ist eigentlich ihrem Mann zu verdanken. Er hat sich als erster aus der Familie dafür interessiert. »Mir gefiel der feuchte, kalte Betonbau zunächst überhaupt nicht«, erinnert sich die Architektin. Erst als sie den großen Saal sah, dachte sie, daraus lässt sich etwas machen. »Wir leben seit zwölf Jahren in Karlshorst, aber kulturelle Angebote fehlen«, sagt die 48-Jährige. Also wurde das Haus gekauft und im Bundesarchiv und im Zementwerk Rüdersdorf nach geschichtlichen Details gesucht. Portland, benannt nach einer Insel in England, war die Marke für einen Baustoff. Das Material wurde auf der Portland-Insel gewonnen. In Karlshorst ist es dann weiterentwickelt worden. Der Baustoff diente unter anderem als Basis für jene Platten, aus denen an der Splanemannstraße Deutschlands erste Plattenbau-Reihenhaussiedlung entstand. »Im Portland-Cement-Haus gab es einst in dem großen Saal ein Betonmuseum«, berichtet die Architektin. Doch von all dem ist nichts erhalten geblieben. 1945 besetzte das sowjetische Militär das Haus, entfernte Exponate, Apparate und Geräte. Seitdem war die Dönhoffstraße 38 nicht mehr öffentlich zugänglich. Erst 1972 zog nach jahrelangem Leerstand die Algerische Botschaft ein. Zwölf Jahre später übernahmen die Mongolen das Gebäude und bauten es mehrfach um. Von 1994 bis 1998 befand sich eine Außenstelle des Bundesarchivs in den Räumen. Als das Architekten-Ehepaar 2003 begann zu sanieren, wurden viele Zwischenwände entfernt. Hinter dicken Leimschichten entdeckten die Bauleute etliche Ornamente: Blüten, Blätter und Zweige sind jetzt wieder an den Treppenunterläufen sichtbar. »Die Stufen und auch die vielen Fassadenverzierungen sind aus Beton«, betont Christine Neukirch-Lange. Im Erdgeschoss kamen verschnörkelte, schmiedeeiserne Eckleisten zum Vorschein. Seit gut einem Jahr wohnt das Ehepaar mit ihrem Sohn im Portland-Cement-Haus. Wo ihr Esszimmer ist, standen einst große Maschinen. Einige Fotos im Erdgeschoss und in der Bar, gleich hinter dem großen Saal, veranschaulichen die Geschichte. Irgendwann will Christine Neukirch-Lange auch wieder einen Raum zu einem kleinen Museum gestalten. Jetzt kümmert sie sich aber erst einmal um die Vermarktung des quadratischen Saals, der sich direkt über ihrer Wohnung befindet. Dort fanden schon Hochzeitsfeiern und Tanzkurse statt. Doch gehört hat die Familie davon nichts. Schließlich ist eine Decke aus besonders dichtem Beton dazwischen. Geplant sind demnächst Expertengespräche zu Bau- und Stadtentwicklungsthemen. Neben den drei Büros im Haus soll noch ein Weinhändler einziehen. Für Führungen Tel.: 508 90 52

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