Die zerstörerischen Visionen des Architekten Speer

Wie Berlin zur »Reichshauptstadt Germania« umgebaut werden sollte / Rundgang mit Stattreisen

  • Andreas Heinz
  • Lesedauer: 3 Min.
»Mit dieser Stadt ist nichts anzufangen«, sagte Adolf Hitler im März 1936 zu seinem Architekten Albert Speer. Der sollte Berlin zur Hauptstadt »Germania« mit monströsen Bauten zubetonieren. Groß und imposant sollten die neuen Gebäude sein, der Mensch klein und bedeutungslos. Lange und breite Straßen als gigantische Blickachsen sollten zu der größenwahnsinnigen Architektur gehören. »Stattreisen« führt im 60. Jahr der Befreiung vom Faschismus zu Orten der Planung und der begonnenen Realisation: Speers zerstörerische Visionen. Die Straße des 17. Juni als Teil der Ost-West-Achse zeugt noch davon, in welchen wahnwitzigen Dimensionen Hitler und Speer dachten. »Alles war für die Ewigkeit gedacht«, erzählt Sigrid Harms von »Stattreisen«. Über die heutige Straße des 17. Juni sollte die 120 Meter breite Nord-Süd-Achse quer durch den Tiergarten geschlagen werden. Genau auf dieser Achse wurde 1945 das russische Ehrenmal errichtet. Vrher musste »aufgeräumt« werden, um die überdimensionierten Gebäude hinklotzen zu können. Dazu wurde erst einmal die damalige Charlottenburger Chaussee, heute Straße des 17. Juni, verbreitert. Kirchen sollten versetzt werden, zum Beispiel die Matthäikirche. Der 1844 bis 1846 errichtete klassizistische Stülerbau sollte vom jetzigen Kulturforum nach Spandau versetzt werden. Die Siegessäule musste schon weichen, um der gigantomanischen »Halle des Volkes« vor dem Reichstagsgebäude Platz zu machen. Als Nationaldenkmal wurde die Säule ursprünglich auf dem Königsplatz, dem heutigen Platz der Republik, zwischen 1864 und 1873 errichtet. Hitler ließ die Säule auf den Großen Stern verrücken und auf 67 Meter verlängern. An den vier Enden des Achsenkreuzes sollten Flughäfen entstehen, dazu zwei riesige Bahnhöfe im Norden und Süden der Stadt. Die Bahnhöfe sollten aus der Innenstadt verschwinden. An der Stelle des Anhalter Bahnhofs war zum Beispiel eine Badeanstalt vorgesehen. Der Südbahnhof hätte als Ankunftsort von Staatsgästen fungieren sollen. Auch ein Triumphbogen sollte auf der künftigen Nord-Süd-Achse nicht fehlen - zweieinhalb Mal größer als der Arc de Triomphe in Paris. Über einen 1000 mal 330 Meter großen Vorplatz wäre der Gast durch den 117 Meter hohen und 170 Meter breiten Triumphbogen gefahren. Die »Krönung« dieser Monumentalbauten nazistischen Größenwahns sollte die 290 Meter hohe »Halle des Volkes« vor dem Reichstagsgebäude sein. Zum Vergleich: Der Reichstag ist 40 Meter hoch. Den wollte Speer abreißen lassen, um Platz für eine »noch neuere Reichskanzlei« mit einer 100 Meter langen, fensterlosen Front zu schaffen. Dazu sollten riesige Wasserflächen angelegt werden, die allein dem Zweck dienen sollten, die Halle effektvoll zu spiegeln. Die Spree hätte dann unterirdisch fließen sollen. Aber würde der Berliner Untergrund dem Größenwahn »Germania« überhaupt standhalten? Um dies zu testen, ließ Speer 1941 an der Kolonnenbrücke in Schöneberg einen fast 13 Tonnen schweren Betonkoloss hinklotzen. Dass Hitler schon 1936 seine Pläne deutlich machte, zeigt Sigrid Harms anhand von Fotos des damaligen Reichsluftfahrtministeriums, dann Haus der Ministerien der DDR und heute Sitz des Finanzministeriums. Der burgähnliche Bau zeigte einen Fries mit in Richtung Osten marschierenden Wehrmachtssoldaten. Auch dieser Bau sollte einschüchtern, berichtet die Rundgangsleiterin: 2300 Zimmer, 19 Treppenhäuser und 18 Kilometer Gänge. 1952 wurde das Soldaten-Relief entfernt und das Wandbild »Aufbau der DDR« angebracht, das an der Ecke Wilhelmstraße/Leipziger Straße noch zu sehen ist. In der Voßstraße entstand 1938/39 die 420 Meter lange Neue Reichskanzlei. Das Gebäude war innen mit rotem Marmor verkleidet, der heute an den Wänden des U-Bahnhofs Mohrenstraße zu finden ist,. Nächster Rundgang 7.8., 14 Uhr. Treff: U-Bahnhof Mohrenstraße, Bahnsteig.

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