Der große Bruder darf genauer hinsehen

Verfassungsschutz soll neue Befugnisse erhalten

  • Michael Bartsch, Dresden
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.

Mit erweiterten Befugnissen des Verfassungsschutzes und einer Wachpolizei plant Sachsen neue Sicherheitsgesetze.

Ist mehr Sicherheit durch Beseitigung von Vollzugsdefiziten oder verschärfte Gesetze zu erreichen? Die durch die Terrorangriffe ausgelöste neue Sicherheitshysterie hat diese alte Diskussion wiederbelebt. Rechtsänderungen werden erfahrungsgemäß nur zögernd wieder zu Gunsten von mehr Liberalität zurückgenommen.

»Hilfssheriffs« mit Schusswaffe

In Sachsen ist bislang nur das Gesetz über die Einrichtung einer so genannten Wachpolizei eingebracht worden. 230 befristete Stellen sollen für den Objektschutz und den Raumschutz bei Demonstrationen geschaffen werden, um Polizeibeamte für den operativen Dienst freizustellen. Nach einer Schnellbesohlung von nur neun Wochen sollen diese »Hilfssheriffs«, so die Junge Union Sachsen, sogar zur Schusswaffe greifen dürfen.
Auch in der regierungstragenden CDU regt sich dagegen Widerstand. Die Einwände des Datenschutzbeauftragten Thomas Giesen kamen hingegen erwartungsgemäß. Innenminister Klaus Hardraht beruft sich jedoch auf gute Erfahrungen mit einer solchen Truppe in Hessen und Berlin, während selbst sein bayerischer Kollege Beckstein von »Unsinn« spricht.
Der Minister erwähnte ein weiteres brisantes Gesetzgebungsvorhaben in seiner Regierungserklärung vom 24.Oktober nicht: Sachsen will auch das Verfassungsschutzgesetz novellieren. Das bestätigte nun Abteilungsleiter Eike Springborn aus dem Innenministerium. Das Vorhaben geht über den so genannten »Otto-Katalog« von Bundesinnenminister Schily hinaus. Dort ist lediglich eine Erweiterung des Beobachtungsgegenstandes auf Aktivitäten vorgesehen, die sich »gegen die Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker« richten. Hardraht aber will auch die organisierte Kriminalität einbeziehen und außerdem in Einbürgerungsverfahren eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz durchsetzen.
Beide Punkte waren vor Jahresfrist schon einmal in die Kritik des Datenschutzbeauftragten geraten, weshalb die beabsichtigte Gesetzesnovelle nicht weiter verfolgt wurde. Nun hat sie das sächsische Innenministerium wieder aus der Schublade geholt. Der zuständige Referatsleiter Dieter Schrader beim Datenschutzbeauftragten sieht mit der Regelanfrage nach wie vor den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt. Erst müssten Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche oder extremistische Bestrebungen vorliegen. »Es kann doch nicht sein, dass jeder, der deutscher Staatsbürger werden will, eine Datensammlung beim Verfassungsschutz erhält!« Dem hält Springborn entgegen, dass es sich keinesfalls um ein neues Betätigungsfeld und erweiterte Recherchen des Verfassungsschutzes handele. Es würden lediglich vorhandene allgemeine Erkenntnisse abgefragt.

Datenschützer warnen vor allwissendem Dienst

Schwerwiegendere Bedenken hat Schrader gegen die Beobachtungserweiterung auf die organisierte Kriminalität, für die bislang das Landeskriminalamt zuständig ist. Das auch in der sächsischen Verfassung verankerte Trennungsgebot von polizeilichen und nachrichtendienstlichen Befugnissen werde verletzt. »Wegen der Erfahrungen mit totalitären Regimen gilt nicht von ungefähr, dass ein Dienst, der alles weiß, nicht auch alles darf.«
Im Datenschutzbericht vom März dieses Jahres war bereits bestritten worden, dass solch eine Lücke bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität geschlossen werden müsste. Eike Springborn sieht die geforderte organisatorische Trennung von Verfassungsschutz und Polizei weiterhin gewährleistet. Von Vorteil sei, dass der Verfassungsschutz langfristig und strategisch arbeiten könne und nicht sofort bei jeder kleineren Straftat eingreifen müsse. Außerdem würden sich Informanten dort sicherer fühlen. Der Gesetzentwurf soll möglichst noch in diesem Jahr vorliegen. Derzeit streitet eine gemeinsame Arbeitsgruppe vo...

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