Acht »abgedrehte« Internet-Ideen

Auf den ersten Blick böse: Jörn Hintzer und Jakob Hüfner mit ihrem neuen Film »Weltverbesserungsmaßnahmen«

  • Hanno Harnisch
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Am Anfang war das Wort: die Website Weltverbesserungsmassnahmen.de. Man drücke mit dem Cursor auf ein Hirn, und schon kann man dabei sein. Wer würde nicht gerne selbst die Welt »ein Stück weit« verbessern? Wer hat nicht schon einmal selbst im Stau oder an der Ampel gestanden, sich geärgert, dass es nicht vorwärts geht? Aber eine Seite im Internet, so putzig und kultig sie auch sein mag (und das ist sie!), taugt allemal nur als Vorlage für einen abendfüllenden Kinofilm. Auf der Berlinale im Februar ließ eine erste Fassung aufhorchen, ab heute muss die Kinoprobe bestehen, was die Berliner Filmemacher und Internetaktivisten Jörn Hintzer und Jakob Hüfner da in acht Episoden an verrückten Worten in die Tat umgesetzt haben, die das Leben in Deutschland und vielleicht sogar der ganzen Welt verbessern könnten. Die zumindest aber erstmal junge Menschen in die Lichtspieltheater locken sollen. Was für ein Filmtitel: »Weltverbesserungsmaßnahmen«! Wer möchte da noch abseits stehen, nur noch im Sumpf sitzend jammern und nichts dagegen tun? Immerhin hat die deutsche Depression in der letzten Zeit schon zu einigen bemerkenswerten Filmen das Drehbuch geschrieben: »Muxmäuschenstill«, eine Radikalsatire über einen Bürokraten, der für Law and Order steht und dabei zu faschistischen Methoden greift. Oder auch die satirische Fernseh-Dokumentation »Die große Depression«, die untersuchte, ob wir Deutschen eine Art Unglücks-Gen in uns tragen. Jetzt also der achtfache Versuch, die Welt zu verändern - eine Reise um die Weltverbesserung in 88 Minuten. »Ampel e.V.«: »Wir wollen, dass die Autos vor der Ampel alle im gleichen Moment anfahren«, erklärt Rolf seine Mission. Die Selbsterfahrungsgruppe trifft sich in einer Turmwohnung am Frankfurter Tor in der Berliner Karl-Marx-Allee. Die Fahrübungen finden auf einem Großgaragendach statt: Das Ende aller Staus! Davon will Rolf auch den Sachverständigen vom ADAC überzeugen. Die Zuschauer der Premiere glucksen vergnügt. Auch beim »Leihgeschwisterprogramm«: Das Problem ist bekannt - deutsche Paare pflanzen sich nur zögerlich fort. Die Zahl der Einzelkinder steigt und steigt. Arbeitslose wie Martin sollen das verhindern. Doch Jonas kleiner Bruder zu sein, ist gar nicht so einfach. »Neue Energie«: Der ehemals schnellste Bongospieler von Krefeld zieht jetzt seine Jacke so langsam aus, dass seine frühere Band-Kollegin sie ihm schließlich entnervt herunterreißt. Simon: »Seitdem ich mich langsam bewege, komme ich schneller voran.« Völlig gaga wird es im »Outdoorbüro«: Die Krise. Kein Land in Sicht. Der Chef muss Konsequenzen ziehen und sparen. Also lässt er ab sofort auf der Straße arbeiten. Die »Aktion 1,90 m« gibt Zeugnis von der Ungerechtigkeit dieser Welt, die Holger nicht mehr ertragen konnte. Plötzlich hatte er die Lösung: Man muss die Menschen gleich groß machen. Alle haben unterschiedlich hohe Plateauschuhe an, um endlich gleich groß zu sein, und sei es von nun an im Stolpern. Gott sei Dank wird die Frage nicht aufgeworfen, was mit Menschen wie mir passiert, die einen Tick länger als 1,90 Meter sind. Richtig interessant hätte es werden können beim »Sorbischen Euro«: In Radibor, einer klitzekleinen Kleinstadt in Sachsen versuchen die Sorben, ein klitzekleines slawisches Völkchen, nicht auszusterben. Peter Novak hat die rettende Idee vom Geld mit Haltbarkeitsdatum, was langsam seinen Wert verliert, und die Menschen zu ungeahntem Sofortkonsum treibt. Krönende Episode: »Aktive Krankenversicherung«. Ein Einfamilienhaus irgendwo in Deutschland, in dem die Versicherten gleich selbst zum Arzt werden, um damit Kosten zu sparen. Eine Blinddarmoperation nach Lehrvideo. Prima Idee, fein gespielt. Bestimmt hätte Ulla Schmidt laut gelacht und danach eine richtig stellende Presseerklärung verfaxen lassen. Das ist mal wirklich böse, was Jörn Hintzer und Jakob Hüfner sich ausgetüftelt haben: Wenn allerdings ein Arbeitsloser als Leihbruder arbeitet, um Deutschland vor egoistischen Einzelkindern zu bewahren, ist das zwar eine Idee mit Sprengstoff, der aber kommt nicht zum Knallen. Statt subversiv zu sein, bleibt sie im - hübsch inszenierten und superlakonisch gespielten - Albernen stecken. Eine unsatirische Satire. Das ist ja nicht nichts, aber es ist zu wenig. Schön war bei der Premiere das Schlussbild: Die Regisseure baten vor den Glitzervorhang des Kinos »International« alle, die am Film mitgearbeitet hatten: an die 100 junge, frohe, gelöst...

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