Flucht nach vorn
Weil die Landesregierung ihre Schule dicht macht, haben Bürger und Gemeinderat im sächsischen Gelenau einfach eine eigene Schule gegründet
Eltern, Lehrer und Gemeindepolitiker im sächsischen Erzgebirgsort Gelenau wehren sich gegen den Tod ihrer Mittelschule sehr selbstbewusst: Sie gründeten eine freie Schule für ihre Fünftklässler.
Es ist der 22. April, ein Freitag. Gemeindeamt Gelenau. Bürgermeister Reinhard Penzis sieht die Post durch. Zwei Briefe erwecken sein Interesse, einer vom Regionalschulamt Chemnitz, einer aus dem Dresdener Kultusministerium. Er öffnet sie - und durchlebt binnen Sekunden ein böses Wechselbad der Gefühle. Während die Chemnitzer mitteilen, man würde der Bildung einer freien Schule im Dorf zustimmen, kommt es im Schreiben aus der Hauptstadt knüppeldick. Schon zwei Mal hatte man den Gelenauern die »Mitwirkung für die Klassenstufe 5« an der örtlichen Mittelschule entzogen. So heißt es im Amtsdeutsch, wenn eine Regierung meint, die Unterrichtung ihrer Landeskinder an deren Wohnort lohne nicht. Doch nun holt man gar mit der Riesenkeule aus: Die Schule, in der noch acht Klassen lernen, soll plötzlich zum Ende dieses Schuljahres ganz sterben.
»Das ist der Hammer!«, durchfährt es den Gemeindechef wütend. Erst 2001 hatte die Erwin-Hartsch-Mittelschule ihr 100-jähriges Bestehen gefeiert, und nun solle sie ausgelöscht werden, »weil man mal zwei, drei Jahre keine 5. Klassen voll bekommt«, flucht er. Dabei hätten sie zum Tag der offenen Tür im Januar erneut um die 30 Anmeldungen gehabt. Dresden poche aber gerade bei Landschulen erbarmungslos auf Zweizügigkeit. »Hier wird sichtlich mit zweierlei Elle gemessen«, so Penzis wütend über die eigenen Parteifreunde. Dabei könnte Gelenau gute Geburtenzahlen aufweisen, es gebe Arbeit im Ort, jüngere Leute zögen zu, denn eben erst siedelte sich ein Automobilzulieferer an. So leide auch ihre Grundschule nicht an Nachfragemangel.
Für die Wirtschaftskraft in Gelenau, aber zugleich für das Selbst- und Zukunftsvertrauen der Einwohner spricht die nun auf den Weg gebrachte »Freie Schule Erzgebirgsblick«. Eben weil man im mittleren Erzgebirge damit rechnete, erneut keine 5. Klasse genehmigt zu bekommen, entstand die Idee dazu an jenem Tag der offenen Tür. »Mehr oder weniger spontan durch die Eltern«, so der Bürgermeister zufrieden. Denn ein prosperierendes 4800-Seelen-Dorf verliere natürlich sofort an Attraktivität für potenzielle Zuzügler und Investoren, wenn es seine Kinder zum Unterricht über Land schicken muss.
So unterstützte der Gemeinderat einstimmig das Vorhaben. Den Trägerverein der Schule leitet sogar Vizebürgermeister Ole Fleischer (CDU). Zuvor hatten Eltern und Lehrer, Schüler, Dorfpolitiker aller Parteien und auch Vertreter ortsansässiger Firmen Tage und Wochen über einem tragfähigen Modell gebrütet. Nun steht fest, dass der Verein einen Lehrer für Mathe, Deutsch und Ethik einstellt. Die anderen werden auf Honorarbasis angeheuert. Für die Eltern soll alles erschwinglich bleiben: Sie sind mit 50 Euro pro Monat dabei. So füllt sich denn jene 5. Klasse auch langsam und stetig. Das Gros der Schulkosten für zunächst vier Jahre - in denen stets eine neue »Fünfte« hinzukommen soll - will der Verein über einen Kredit aus der Gemeindekasse stemmen. »Wir stellen dafür 650 000 Euro in den Etat ein, unabhängig davon, ob die Summe ausgeschöpft wird«, so Penzis. Immerhin kann Gelenau sich dies leisten: Der Ort ist schuldenfrei.
Zufrieden mit diesem Ausgang zeigt sich auch PDS-Gemeinderat Torsten Steidten. Der 40-jährige hatte zuvor den Gelenauer Ausschuss zur Rettung der Mittelschule geleitet, immerhin eine der modernsten in der Region, wie er versichert. So sieht er die freie Schule zwar nur als die »zweitbeste aber letztlich doch schöne Lösung«, nicht zuletzt, weil die Initiative von den Eltern ausging. Auch als Gewerkschafter - Steidten gehört dem GEW-Landesvorstand an - findet er diese Alternative »sympathisch«. Denn der »Erzgebirgsblick« sei einerseits nicht konfessionell ausgerichtet, und andererseits halte man sich an die Lehrpläne staatlicher Schulen.
Der Schulverein will dennoch eine »echte Alternative zur staatlichen Mittelschule und zum Gymnasium« schaffen, um den Kindern nach ihrer Schulzeit »einen optimalen Start ins Berufsleben zu ermöglichen«, so Vereinschef Fleischer. Offenkundig sieht man in der großen Nähe zur regionalen Wirtschaft eine besondere Note und wohl auch die Gewähr, das gewagte Projekt langfristig auf sichere Füße zu bringen. Diesem Ziel diente bereits eine Firmenpräsentation unlängst in die Mittelschule. Über 300 Kinder und Eltern hatten hierbei die Chance genutzt, sich zu informieren, was man als Melker oder Maschinenbauer, Fleischer, Koch oder Steinmetz auf dem Kasten haben muss.
Ein besonderes Profil gibt der freien Schule zudem die nahe Grenze zu Tschechien vor. »Wir werden mit tschechischen Lehrern, Schulen und Betrieben Kontakt knüpfen und einen Schüleraustausch sowie bilingualen Unterricht aufbauen«, erzählt Fleischer. Auch die sehr gute Sportinfrastruktur der Erzgebirgsgemeinde soll hierfür genutzt werden.
Zugleich gab Gelenau den Kampf gegen den Tod der Mittelschule noch nicht vollends auf. »Wenigstens ein Jahr Aufschub wäre nur fair und gerechtfertigt, damit sich Eltern und Kinder darauf einstellen können«, forderte Penzis noch im Mai. Danach trage die Gemeinde die Schulschließung auch mit. Dieses eine Jahr Galgenfrist wurde dem Ort jetzt auch gewährt, was PDS-Mann Steidten allerdings differenzierter sieht als die CDU-Mehrheit im Ort: »Wie kann man sich freiwillig von seiner Schule trennen wollen!« Mithin erlebt Gelenau nun ein Kuriosum: Im selben Haus residieren staatliche und private Mittelschule unter einem Dach.
Ein CDU-Gemeinderat war indes durch die sächsische Bildungspolitik so verschnupft, dass er die Partei verließ. Hendrik Seibt, der selbst Lehrer in der ebenfalls schließungsbedrohten Schule in Geyer ist, entwickelte zudem eine besonders originelle Form des Protestes: Mit seinen Schülern produzierte er eine CD unter dem Namen »Hurra, wir fahren Bus« - ein gallig-sarkastischer (Ab)Gesang auf Sachsens Schulpolitik, die immer Kinder aus dem ländlichen Raum zu morgendlichen Überlandfahrten zwingt. Schon in der ersten Woche nach dem Erscheinen hatte er 300 Exemplare abgesetzt.
www.freie-schule-erzgebirgsblick.de
www.schulband-geyer.de.vu
»Das ist der Hammer!«, durchfährt es den Gemeindechef wütend. Erst 2001 hatte die Erwin-Hartsch-Mittelschule ihr 100-jähriges Bestehen gefeiert, und nun solle sie ausgelöscht werden, »weil man mal zwei, drei Jahre keine 5. Klassen voll bekommt«, flucht er. Dabei hätten sie zum Tag der offenen Tür im Januar erneut um die 30 Anmeldungen gehabt. Dresden poche aber gerade bei Landschulen erbarmungslos auf Zweizügigkeit. »Hier wird sichtlich mit zweierlei Elle gemessen«, so Penzis wütend über die eigenen Parteifreunde. Dabei könnte Gelenau gute Geburtenzahlen aufweisen, es gebe Arbeit im Ort, jüngere Leute zögen zu, denn eben erst siedelte sich ein Automobilzulieferer an. So leide auch ihre Grundschule nicht an Nachfragemangel.
Für die Wirtschaftskraft in Gelenau, aber zugleich für das Selbst- und Zukunftsvertrauen der Einwohner spricht die nun auf den Weg gebrachte »Freie Schule Erzgebirgsblick«. Eben weil man im mittleren Erzgebirge damit rechnete, erneut keine 5. Klasse genehmigt zu bekommen, entstand die Idee dazu an jenem Tag der offenen Tür. »Mehr oder weniger spontan durch die Eltern«, so der Bürgermeister zufrieden. Denn ein prosperierendes 4800-Seelen-Dorf verliere natürlich sofort an Attraktivität für potenzielle Zuzügler und Investoren, wenn es seine Kinder zum Unterricht über Land schicken muss.
So unterstützte der Gemeinderat einstimmig das Vorhaben. Den Trägerverein der Schule leitet sogar Vizebürgermeister Ole Fleischer (CDU). Zuvor hatten Eltern und Lehrer, Schüler, Dorfpolitiker aller Parteien und auch Vertreter ortsansässiger Firmen Tage und Wochen über einem tragfähigen Modell gebrütet. Nun steht fest, dass der Verein einen Lehrer für Mathe, Deutsch und Ethik einstellt. Die anderen werden auf Honorarbasis angeheuert. Für die Eltern soll alles erschwinglich bleiben: Sie sind mit 50 Euro pro Monat dabei. So füllt sich denn jene 5. Klasse auch langsam und stetig. Das Gros der Schulkosten für zunächst vier Jahre - in denen stets eine neue »Fünfte« hinzukommen soll - will der Verein über einen Kredit aus der Gemeindekasse stemmen. »Wir stellen dafür 650 000 Euro in den Etat ein, unabhängig davon, ob die Summe ausgeschöpft wird«, so Penzis. Immerhin kann Gelenau sich dies leisten: Der Ort ist schuldenfrei.
Zufrieden mit diesem Ausgang zeigt sich auch PDS-Gemeinderat Torsten Steidten. Der 40-jährige hatte zuvor den Gelenauer Ausschuss zur Rettung der Mittelschule geleitet, immerhin eine der modernsten in der Region, wie er versichert. So sieht er die freie Schule zwar nur als die »zweitbeste aber letztlich doch schöne Lösung«, nicht zuletzt, weil die Initiative von den Eltern ausging. Auch als Gewerkschafter - Steidten gehört dem GEW-Landesvorstand an - findet er diese Alternative »sympathisch«. Denn der »Erzgebirgsblick« sei einerseits nicht konfessionell ausgerichtet, und andererseits halte man sich an die Lehrpläne staatlicher Schulen.
Der Schulverein will dennoch eine »echte Alternative zur staatlichen Mittelschule und zum Gymnasium« schaffen, um den Kindern nach ihrer Schulzeit »einen optimalen Start ins Berufsleben zu ermöglichen«, so Vereinschef Fleischer. Offenkundig sieht man in der großen Nähe zur regionalen Wirtschaft eine besondere Note und wohl auch die Gewähr, das gewagte Projekt langfristig auf sichere Füße zu bringen. Diesem Ziel diente bereits eine Firmenpräsentation unlängst in die Mittelschule. Über 300 Kinder und Eltern hatten hierbei die Chance genutzt, sich zu informieren, was man als Melker oder Maschinenbauer, Fleischer, Koch oder Steinmetz auf dem Kasten haben muss.
Ein besonderes Profil gibt der freien Schule zudem die nahe Grenze zu Tschechien vor. »Wir werden mit tschechischen Lehrern, Schulen und Betrieben Kontakt knüpfen und einen Schüleraustausch sowie bilingualen Unterricht aufbauen«, erzählt Fleischer. Auch die sehr gute Sportinfrastruktur der Erzgebirgsgemeinde soll hierfür genutzt werden.
Zugleich gab Gelenau den Kampf gegen den Tod der Mittelschule noch nicht vollends auf. »Wenigstens ein Jahr Aufschub wäre nur fair und gerechtfertigt, damit sich Eltern und Kinder darauf einstellen können«, forderte Penzis noch im Mai. Danach trage die Gemeinde die Schulschließung auch mit. Dieses eine Jahr Galgenfrist wurde dem Ort jetzt auch gewährt, was PDS-Mann Steidten allerdings differenzierter sieht als die CDU-Mehrheit im Ort: »Wie kann man sich freiwillig von seiner Schule trennen wollen!« Mithin erlebt Gelenau nun ein Kuriosum: Im selben Haus residieren staatliche und private Mittelschule unter einem Dach.
Ein CDU-Gemeinderat war indes durch die sächsische Bildungspolitik so verschnupft, dass er die Partei verließ. Hendrik Seibt, der selbst Lehrer in der ebenfalls schließungsbedrohten Schule in Geyer ist, entwickelte zudem eine besonders originelle Form des Protestes: Mit seinen Schülern produzierte er eine CD unter dem Namen »Hurra, wir fahren Bus« - ein gallig-sarkastischer (Ab)Gesang auf Sachsens Schulpolitik, die immer Kinder aus dem ländlichen Raum zu morgendlichen Überlandfahrten zwingt. Schon in der ersten Woche nach dem Erscheinen hatte er 300 Exemplare abgesetzt.
www.freie-schule-erzgebirgsblick.de
www.schulband-geyer.de.vu
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