Zunächst ging es nur ums Geld

Oskar Schindler in einer Biografie des amerikanischen Historikers David M. Crowe

Angesichts des überlangen Schatten, den Spielbergs Holywood-Schnulze vor über zehn Jahren warf, hat es ein Biograf nicht leicht, Oskar Schindlers Leben zu erzählen. Er muss gegen die historisch nicht immer wahren Bilder anschreiben, die ein Millionenpublikum im Kopf hat. David M. Crowe hat, wie er während der Buchpräsentation im Deutschen Historischen Museum bekannte, selbst natürlich ständig den Spielberg-Schindler vor Augen gehabt. Immer wieder musste er sich davon frei machen. Aber er schreibt keinen Anti-Spielberg. Er zieht einen viel weiteren Kreis um Schindler, fängt bei seiner Kindheit und Jugend in den Sudeten an, knüpft ein Band zu den Lebensverhältnissen in der Tschechoslowakischen Republik, zu der Symbiose zwischen Tschechen, Deutschen und auch Juden dort. Der Biograf beschreibt, wie Schindler an der Zerstörung dieser Möglichkeit des Zusammenlebens mitgewirkt hat, obwohl er zugleich geprägt von ihr war. Crowe entlarvt Schindlers Tätigkeit für die deutsche Abwehr unter Admiral Canaris und entdeckt sie als eine Voraussetzung für seine später so nützlich eingesetzten Beziehungen im Konkurrenzgeflecht zwischen Wehrmacht und SS. Der sudetendeutsche Nationalist Schindler war in die Vorbereitungen des Überfalls auf Polen einbezogen, er leistete Hilfsdienste beim fingierten Überfall auf den Sender Gleiwitz, der Hitler als Vorwand für die Kriegserklärung an Polen diente. Schindler war dekoriertes Mitglied der NSDAP und folgte den deutschen Truppen auf dem Fuß, um in Krakau den Glücksritter zu spielen - zunächst ging es ihm allein ums Geldverdienen. An diesem einzigartigen Fall wird alles so unangenehm klar. Crowe zerstört etwas vom Mythos der Listen des Oskar Schindler und baut damit an einem ganz anderen Bild des Retters von über tausend Juden. Die monumentale Biografie des Historikers von der Columbia University ist das Ergebnis einer sieben Jahre währenden Recherche und rekonstruiert ein auf den ersten Blick widerspruchsvolles Leben. Zugleich beschreibt Crowe minutiös die Ostpolitik der Nazis, die auf wirtschaftliche Ausbeutung der slawischen Bevölkerung und Vernichtung der Juden hinauslief. Im Verlaufe des Krieges wurden die arbeitsfähigen Juden zu Arbeitssklaven umfunktioniert. Vor diesem menschenverachtenden Hintergrund entfaltet der Biograf die einzigartige Geschichte und den fast spielerischen Einsatz Schindlers. Die Fragen, die Crowe aufwirft, gehen weit über die lebensgeschichtlichen Einzelheiten hinaus, betreffen die Bedingungen menschlicher Existenz grund sätzlich. Warum trauen wir einem Trinker und Frauenhelden wie Schindler eigentlich nicht zu, mutig und grundanständig zu handeln, wenn es um Leben und Tod geht? Weil wir von Tausenden von spießigen, so genannten »normalen Deutschen« wissen, die, mit allen bürgerlichen Tugenden gesegnet, so zu Massenmördern wurden, von denen Millionen dieser ehrenwerten Volksgenossen wissen, die gleichgültig waren, die wegsahen, irgendwie mitmachten und sich am selbst verschuldeten Ende des Krieges wie Opfer vorkamen? Widerspruchsvoll ist diese große Mehrheit, nicht die verschwindende Minderheit der Ret ter, der nichts Menschliches fremd war und die Selbstverständliches auch wie selbstverständlich tat! In Krakau kaufte Schindler ein in Konkurs gegangenes jüdisches Unternehmen, stellte zwei jüdische Häftlinge als Leiter und Berater ein und verdiente Millionen vor allem mit der Produktion von Kochtöpfen für den blühenden Schwarzmarkt. Mit zunehmendem Terror von SS und Gestapo gegen die Juden wuchs Schindlers Abscheu gegen diese Behandlung. Er heulte zwar mit den Wölfen, vor allem mit dem brutalen Leiter des Konzentrationslagers Plaszów, Amon Göth, stellte aber nach und nach immer mehr jüdische KZ-Insassen bei sich ein - mehr als er benötigte. Als die Rote Armee 1944 näher rückte, schaffte es Schindler, seinen Betrieb von Krakau nach Brünnlitz in seiner sudetischen Heimat zu verlegen. Hierfür beanspruchte er bei den Nazi-Behörden erfolgreich 700 männliche und 300 weibliche Arbeitskräfte aus dem KZ. Sie wurden nicht von Schindler selbst auf die berühmten Liste gesetzt. Crowe rekonstruiert den Auswahlprozess, in dem es ja um Leben und Tod ging, in einer kaum zu ertragenden Quellengenauigkeit. Nach lebensgefährlichen Umwegen über Groß-Rosen (Männer) bzw. Auschwitz (Frauen) trafen die Auserwählten tatsächlich in Brünnlitz ein. Gebraucht hat Schindler dort keinen einzigen, hergestellt wurde auch nichts, alles wurde verschleiert, um den Anschein eines für die Wehrmacht und die Rüstungsproduktion unabdingbaren Betriebes zu wahren. Unter größten Schwierigkeiten konnte Schindler dort »seine« Juden verpflegen. Ende 1944/Anfang 1945 gab er seine Schwarzmarktgewinne aus Krakau für Bestechungen und Lebensmittelkäufe in Brünnlitz aus. Bei Kriegsende muss Schindler fliehen, die über 1000 jüdischen Arbeiter werden in Brünnlitz von der Roten Armee befreit. Es beginnt das Leben nach dem Krieg, auf das Schindler nicht vorbereitet war und in dem er sich letzten Endes nie mehr zurechtfand. Viele der von ihm Geretteten unterstützten ihn materiell und sorgten dafür, dass er als ein »Gerechter unter den Völkern« in der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem geehrt wird. Schindler bleibt eine höchst widersprüchliche Person. Crowe zeigt, dass ein Lebemann wie Schindler, der es mit den Gesetzen nicht genau nahm, in der Frage um Leben und Tod die einzig richtige Antwort wusste. Seine Biografie wirft damit zugleich ein umso bezeichnenderes Licht auf die so korrekt Erscheinenden, die ihre weiße Weste mit dem Mordblut der durch angebliches Recht gedeckten Untaten besudelt haben. Diese bedrückende Wahrheit über Menschen unter Nazi-Bedingungen macht die Schindler-Biografie so wichtig. Die wenigen »Gerechten unter den Völkern« legen Zeugnis ab gegen die Heerscharen von Selbstgerechten. Alles, was man zu Schindlers Leben und zu seiner ominösen Liste wissen muss, steht in diesem Buch. Natürlich ist die spektakuläre Rettungsaktion ein dankbares Medienthema, zu dem es zahlreich Publikationen gibt. (Gerade eben erschien bei Hoffmann und Campe der Band »Der rettende Weg. Schindlers Liste« von Mietek Pemper, der als einstiger Lagerhäftling auf »die wahre Geschichte« Anspruch erhebt). Aber David M. Crowes Band hebt sich wohltuend vom allgemeinen Vermarktungsdrang ab. Tausendfach beglaubigt der Autor das alte jüdische Wort: »Wer ein Leben zerstört, zerstört die ganze Welt, und...

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