Die verrückte Grenze

Auf Usedom ist der direkte Weg zum EU-Nachbarn Polen noch immer versperrt

  • Stefan Tesch, Ahlbeck
  • Lesedauer: ca. 6.5 Min.

Zwei Bundesstraßen verbinden auf der Ostseeinsel Usedom den deutschen mit dem polnischen Inselteil. Doch aufgrund vielfach verflochtener Interessenkonflikte darf bis heute kein Auto die Grenze passieren - nicht einmal die Linie »Europabus« von Bansin nach Swinoujscie.

Im Sommer lassen sich am Grenzübergang bei Ahlbeck bizarre Szenen verfolgen: Der »Europabus«, der halbstündig zwischen Bansin und Swinoujscie (Swinemünde) pendelt, rollt am Checkpoint vor, die Leute müssen raus, trippeln mit Sack und Pack über den teuren neuen Straßenasphalt, schlängeln sich am Schlagbaum vorbei und steigen dann in einen anderen Bus ein. Der sieht genauso aus, selbes Design, selbe Firma, und weiter geht es die letzten Meter bis zum Ziel. Grund der Schildbürgerei: Das deutsch-polnische Grenzabkommen von 1992 verbietet bisher die Grenzquerung per Automobil. Nur Radfahrern und Fußgängern steht sie offen. 13 Jahre lebt die geteilte Insel, die in Polen Uznam heißt, bereits mit diesem verrückten Zustand, und ob sich das je ändert, scheint offen. Denn das hat nicht nur etwas mit dem Schengener Abkommen über den Schutz der EU-Außengrenzen zu tun, in das das EU-Neumitglied Polen erst ab 2008 vollwertig integriert sein soll. An dieser kleinen Grenzschranke prallt vielmehr die Realität der neuen größeren EU in all ihren Facetten krasser aufeinander als irgendwo sonst. Alles, was im Kleinen wie im Großen derartige Wohlstandsgrenzen anziehend wie abschreckend macht, bündelt sich hier wie in einem Brennglas. Natürlich habe man in Berlin und Warschau für den Bus - den im ersten Jahr immerhin 80000 Passagiere benutzten - eine Ausnahme beantragt, berichtet Klaus Kottwittenborg, Bürgermeister der im Januar zur Gemeinde Dreikaiserbad vereinigten Orte Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin. »Noch aber erfolglos. Und allein können wir das nicht lösen«, bedauert er. Der Gemeindechef stimmt damit in den Tenor auf der Insel ein, der die Schuld für die Malaise gern nach oben weiterreicht, vor allem an die Landesregierung in Schwerin. Die geht das Problem in der Tat nicht eben forsch an, denn ein frei passierbarer Straßenübergang bindet die neue Ostseeautobahn A 20 an den expandierenden polnischen Hafen in Szczecin (Stettin) an. Wozu hätte man dann soviel Geld für Mukran auf Rügen investiert? Dennoch ist das Land nicht Hauptgrenzblockierer. Bereits 2002 empfahl der Schweriner Landtags-Rechtsausschuss, in Ahlbeck zumindest befristet Pkw zuzulassen. Auch das närrische Bus-Hopping gäbe es nach Schweriner Lesart nicht mehr. Sorge um glückseliges »Dreikaiserbad«? Doch nunmehr befürchten im Dreikaiserbad selbst viele eine riesige Stauwelle entlang der Bäderstraße, andere sehen schon Schwerlasttransporter an den Sandburgen vorbei donnern. Und vor allem die lokale Wirtschaft schreit Zeter und Mordio. Denn anders als in sächsischen und brandenburgischen Grenzorten lebt man im abgeschotteten Usedom fast im Tal der Glückseligen: null Tanktourismus, kaum Billigtaxi-Konkurrenz und auch viele Urlauber verkneifen sich die preiswerteren Strandvillen in Polen, so lange sie nicht automobil vorfahren dürfen. So ist man vor allem in Swinoujscie stinksauer auf die autofreie Grenze. »Wir leben auf einer Insel und werden noch immer so schizophren getrennt«, schimpft Bürgermeister Janusz Smurkiewicz von der sozialdemokratischen SDL etwas pathetisch. Doch auch er hat handfeste Interessen: In einem früheren Kriegshafen entsteht gerade eine schmucke Marina, die natürlich auch auf deutsche Yachtkapitäne zielt. Er vermisst unter den ausländischen Anlegern, die in seiner Stadt bereits kräftig in Industrieansiedlungen investierten, spürbar die Deutschen und schiebt das auf das Grenzdilemma. Denn dies zwinge zu langen Umwegen und Fährpassagen über Szczecin. Zudem beeinträchtigt der geschlossene Schlagbaum wohl auch Smurkiewicz' Selbstverständnis als heimlicher Inselchef: Denn in Swinoujscie leben 44000 Leute, auf dem deutschen Teil Usedoms kaum 30000. Bürgermeister übt sich im Seiltanz Doch Bürgermeister Kottwittenborg, Westfale und parteilos, den einst Freunde aus der SPD nach Vorpommern lockten, zeigt sich zögerlich. Das divergierende Interessengewirr allein auf deutscher Inselseite zwingt ihn permanent zum Lavieren und zu diplomatischen Seiltänzen. So waren beispielsweise auch in Heringsdorf die Pläne weit fortgeschritten, am Sackkanal eine kleine, feine Marina zu bauen - und der Kaiserbäder-Chef galt lange als Befürworter des umstrittenen Vorhabens. Dann trat aber der Vorsitzende einer »Bürgerinitiative für eine unverbaute Außenküste«, Klaus Lettner, zur Bürgermeisterwahl im Mai gegen ihn an, und Kottwittenborg ruderte brav zurück. So siegte er am Ende noch klar mit 55,54 Prozent. Dass das deutsche Marinaprojekt vom Tisch ist, glaubt freilich keiner auf Usedom. Dem Vernehmen nach sind die potenziellen Investoren weiterhin hinter den Kulissen aktiv, und auch Lettner, mittlerweile Fraktionschef seiner Initiative im Gemeinderat, zeigt sich plötzlich mehr zu Zugeständnissen bereit als bislang vermutet. Aber nur, »wenn der Strand nicht unterbrochen wird«, tat er mittlerweile kund. Problematischer könnte es freilich werden, wenn wegen einer Hand voll mondäner Luxusyachten eine Bundesstraße beeinträchtigt wird. Denn Usedoms Bäderstraße ist immerhin die B111. Das ist aber für den Grenzübergang in Ahlbeck unwichtig, dennoch gibt sich Kottwittenborg auch hier unerwartet sperrig. Ja, sicher wolle man den Checkpoint wenigstens für Busse und den lokalen Verkehr öffnen, beteuert er, doch vorher sei noch eine Verkehrserhebung nötig. Erst wenn die vorliege, werde man entscheiden. Das riecht nach Verzögerungstaktik, denn dass jährlich 1,5 Millionen Urlauber auf Usedom Ferien machen und die meisten im Wagen anreisen, weiß man längst. Mithin geht es um andere Bewerbchen. So wuchert um die Strandpromenaden die Angst, dürfe erst der Bus passieren, führe das zu einem Dammbruch, der nicht mehr zu kitten sein. Nur am Rande sei erwähnt: So um die 30 Ausnahmeregelungen für Pkw-Benutzer vergab der BGS bereits, darunter auch an die Bürgermeister Smurkiewicz und Kottwittenborg, auch an einige Handwerker, Journalisten sowie polnische Eltern, die morgens ihre Knirpse in einen zweisprachigen Kindergarten nach Ahlbeck bringen. Freilich gäbe es auch eine Alternative zur B111, der Bäderstraße. Das ist die B110, die knapp südlich von Ahlbeck bei Garz nach Polen führt. Ursprünglich legte die bilaterale Grenzkommission auch fest, den Bus- und den Kraftverkehr hier die Grenze queren zu lassen. Doch 13 Jahre später gibt es hier kaum einen Übergang, geschweige eine ordentliche Straße. »Das ist die Logik dieses Grenzabkommens«, spöttelt der Hotelier Gerd Schulz, Chef des Tourismusverbandes Insel Usedom. 27 Dörfer und vielerlei Interessen Schulz selbst plädiert ganz klar für einen soliden Pkw-Übergang bei Garz, weiß aber, dass die Öffnung eines weiteren Checkpoints die ohnehin vorhandenen Interessenkonflikte auf der in 27 Dörfer zersplitterten deutschen Seite nur weiter vertiefen wird. Eben hier zeigt sich ein besonders hemmendes Strukturproblem für Usedom. Denn Schulz ist faktisch der einzige, der wirklich mit einer Zunge für das Eiland sprechen kann. Es gibt keinen Inselbürgermeister, kein Inselparlament, und regional gehört man zum infrastrukturell schwachen Landkreis Ostvorpommern, Sitz Anklam, dessen Probleme weiß Gott andere sind als ein Knatsch um Strände, Yachten und Grenzpoller. Der Tourismusmanager, so scheint es, ist Pragmatiker. Er weiß, dass die Insel nur eine Zukunft hat, wenn diese grenzüberschreitend begriffen wird, und er versteht auch die Polen, wenn es sie verärgert, dass die vielen deutschen Partikularinteressen die sehnlichst erwartete feste Swinequerung noch immer blockieren. So war es wohl auch ein Stück entschuldigende Geste, als sein Verband die Nachbarn zu ihrem EU-Beitritt am 1. Mai 2004 mit einem Willkommensfest begrüßte. Doch mancher Krämer und Mittelständler auf deutscher Seite beschimpfte Schulz dafür als »Polenadel«. Frust wegen Verkehr und Konkurrenz Frust gegenüber wachsendem Verkehr und künftiger Konkurrenz - und wohl auch eine noch tiefe Fremdheit in Bezug auf die Usedomer hinterm Schlagbaum - scheinen halt stärker als die Chance, endlich die Gelder abrufen zu können, die Brüssel für den nötigen Brückenschlag bereit hält. Freilich nur für gemeinsame Projekte. Dabei sehen das nicht alle Deutschen so. Das auflebende Seebad Swinoujscie lockt auch potente Geschäftsleute aus dem Westen. Um die hundert Anfragen erreichten ihn monatlich von jenseits der Grenze, erzählt etwa Immobilienmakler Piotr Romanowicz. Er könne in seinen Agenturen zwischen Swinemünde und Stettin gar nicht so viele Häuser, Apartments, Pensionen oder auch Büros vorhalten, wie mittlerweile nachgefragt würden. Zuletzt verdichteten sich dennoch die Anzeichen, dass der Straßenübergang womöglich ab 2006 bei Garz entstehen kann. Alle Vernunft spräche wohl dafür. Es wäre zumindest von zwei umstrittenen Lösungen die weniger strittige, wenn - ja, wenn diese Strecke nicht durch den Golm führen würde. Das ist ein kleiner, vitaler Buchenwald rund um die mit 71 Metern höchste Erhebung der Insel in unmittelbarer Grenznähe, in dessen überraschend ursprünglichen Pflanzengesellschaften sich allerlei Getier wohl fühlt. »Allein 13 Greifvogelarten!«, schwärmt Ulf Wigger vom Nationalpark Usedom. Und die bekämen im Smog endlosen sommerlichen Grenzrückstaus natürlich schnell Atemnot, warnt er eindringlich. Und so ist auch für Wigger die Sache sonnenklar: Natürlich gehöre die Insel wieder vereint, natürlich müssten Autos nach Polen rollen dürfen, aber doch bitte dort, wo die Menschen sind, über die Bäderstraße, und nicht durch die geschützte Natu...

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