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Arbeit reicht nicht

Neuer Sozialreport über Ostdeutschland befaßt sich mit den Chancen Erwerbsloser Von Tilo Gräser

  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Legende der freien Marktwirtschaft besagt, daß der Arbeit findet, wer eine solche will und sucht. Doch wie sieht die Realität aus? Wer arbeiten will, bekommt dazu keine oder kaum eine Chance. Besonders kraß ist die Situation in Ostdeutschland.

Toni Hahn vom Brandenburgischen Institut für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsentwicklung e.V (biab) bestätigt im neuesten Sozialreport (II. Quartal 1999) des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums (SFZ) die Erfahrungen der Betroffenen in den neuen Ländern. »Unter den gegenwärtigen Bedingungen« fehlten für einen großen Teil der Arbeitslosen der »Entscheidungs- und Handlungsspielraum, um lageverändernd wirksam werden zu können«. Da blieben selbst starke Motivation und ausgeprägter Wille samt intensiver Bemühungen und flexiblem Agieren »mehrheitlich erfolglos«, stellt der Sozialwissenschaftler fest. Hahn beschäftigt sich anhand von Studien mit der Frage, »inwieweit Arbeitslose eigentlich in der Lage sind, selbst auf ih-

ren weiteren Erwerbsverlauf Einfluß zu nehmen.« Eine Bevölkerungsgruppe bleibt nach seinen Erkenntnissen gerade in Ostdeutschland aussichtslos: »Wer z. B. älter als 50 Jahre ist, hat faktisch keine Chance auf eine dauerhafte Rückkehr in die Berufstätigkeit, selbst bei allergrößten Bemühungen und Zugeständnissen.« Die subjektiven Einstellungen und ihre Rolle beim Versuch, wieder Arbeit zu finden, interessieren den Sozialwissenschaftler. Auch hier ein klares Fazit: Einstellung, Motiviertheit und Engagement haben »mit zunehmend enger werdenden Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktes abnehmendes Gewicht«. Nur vorhandene Arbeitsplätze eröffneten Arbeitslosen die Chance, aktiv und flexibel ihre Lage zu verändern. Die zeitlich und regional konkreten Arbeitsmarktbedingungen seien von »entscheidender Bedeutung«.

Hahn zeigt auch den Zusammenhang zwischen einer optimistischen und flexiblen Haltung und dem Geschlecht der Betroffenen. Die - »objektiv gegenüber anderen« - Begünstigten sind nach seiner Analyse »männlich, jünger als 40 Jahre, höherqualifiziert« und haben eine »gute gesundheitliche Konstitution«. Eigenaktivität ohne diese »prädestinierenden objektiven soziodemographischen Merk-

male« führe in der Regel nicht zum Erfolg. Männer hätten gegenüber Frauen »eine nahezu dreifach höhere Chance«, aus der Arbeitslosigkeit herauszufinden. Frauen, die wieder Arbeit fanden, gelang das »erst nach längerer Zeit, mit mehr Ausdauer und mehr Zugeständnissen bei der Arbeitssuche und unter häufigerem Verkraften von Mißerfolgen«.

Ostdeutsche Arbeitslose seien stärker auf Berufsarbeit und -erfolg orientiert, stellt der Wissenschaftler zuvor in seinem Beitrag fest. Dadurch kämen aber westdeutsche Betroffene »subjektiv besser« mit Mißerfolgen zurecht. Eine Ursache sei die soziale Erfahrung aus der DDR-Zeit mit dem garantierten Arbeitsplatz. In beiden Teilen der Bundesrepublik werde aber Arbeitslosigkeit »mehrheitlich als kritisches Lebensereignis mit Verlusten von Lebensqualität erfahren«.

Die Ostdeutschen geben längst ihre eigene Antwort. Nach einer Schätzung der EU bis zum Jahr 2025 gehören die ostdeutschen Regionen weiter zu den Gebieten mit dem stärksten Bevölkerungsrückgang (zwischen -15 und -18 Prozent). Ein hoher Anteil älterer Menschen sowie weniger Kinder und Jugendliche werden zu den Ursachen gezählt. Hinzu kommen die hohe Arbeitslosigkeit und daß »diese Regionen im Durchschnitt ärmer sind«. Die EU-Statistiker benennen außerdem als Ursache, daß junge hochqualifizierte Arbeitskräfte abwandern.

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