Diagnose falsch

Die große Depression von Konstantin Faigle

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Deutschland ist depressiv, findet der schwäbische Filmemacher Konstantin Faigle. Und da seine sich ziemlich zänkisch gebende Freundin gerade ein Kind von ihm erwartet, soll das anders werden. Mehr Optimismus bitte! Also wird Deutschland therapiert. Zu diesem Zwecke reist Faigle durchs Land und sucht nach dem »deutschen Depressionsgen«. Im indischen Kerala leben angeblich die glücklichsten Menschen der Welt. Und die sind viel ärmer. Warum sind wir nicht so glücklich wie die? Alles ein Frage der richtigen Einstellung oder der richtigen Drogen, wer weiß.
Die notorische Frohnatur Faigle jedenfalls spricht immerzu vom »schweren deutschen Geist«, der auch auf ihm liege. Davon ist hier nichts zu bemerken. Allerdings kann man schon schwermütig werden, wenn intellektuelle Leichtgewichte Filme über den angeblich so schweren deutschen Geist machen - der dann auch noch an allem Schuld sei. Mehr fröhlich-buntes Multikulti, dann wird das schon, empfiehlt das Schwabenkind Faigle und nennt das ganze eine Komödie zur Lage der Nation, gedreht fürs »Kleine Fernsehspiel« des ZDF. Als Film zur Bundestagswahl kommt er nun sogar ins Kino. Wieso das denn?
Zu besichtigen ist der Geist des Filmemachers. Das Kind einer satten Wohlstandsgesellschaft, heute Mitte dreißig, das hier sein völliges Unverständnis für die - nicht wegtherapierbare - Dramatik von Geschichte offenbart. Im Fernsehen kann man, wenn es genug ist, wegzappen, im Kino aber muss man Eintritt bezahlen. Mich nervte am Ende gewaltig die privatime Art Faigles, gekoppelt mit handwerklichem Unvermögen. Wenn er das liest, wird er nun erst recht depressiv werden. Schade, denn er wirkt sympathisch und sein Film ist so gut gemeint. Ja, peinigend gut gemeint, kommt er daher wie ein Werbespot für alle Parteien, für Regierung und Opposition. Die Botschaft heißt: nicht jammern, sondern positiv denken!
So bewegt sich »Die große Depression« auf der Ebene von »Das Glas ist halb voll und nicht halb leer«, atmet von Anfang bis Ende die wahrhaft melancholisch machende Durchschnittlichkeit, die bundesrepublikanisch die Medien besetzt hält. Welch kolossale intellektuelle Harmlosigkeit! Kein gefährliches Denken, nirgends, aber dafür mit Moralklischees bewaffnete Political Correctness. Ein Weltbild aus moralischen Ge- und Verboten und dazu das ohnmächtige Staunen, dass sich die Geschichte doch irgendwie anders verhält. Und als letzter Ausweg bleibt immer die Therapie.
Ja, als Fallbeispiel taugt der Film schon. Dafür, wie man so ganz und gar nicht wahrzunehmen in der Lage ist, was die Stunde geschlagen hat. So wie bisher wird es - ganz objektiv - mit diesem Land nicht weitergehen. Aber wie dann? Das ist etwas, worum gestritten (man darf auch sagen: gekämpft) werden muss. Auch mit Satire, mit böser Ironie. Mit »großer Depression« aber hat das alles nichts zu tun, eher mit deren Ende.
Gründlicher als Faigle kann man die Stimmung im Lande nicht verfehlen. Sein Film wirkt wie von einer Therapiegruppe für eine Therapiegruppe gemacht. Zudem entgleitet ihm ständig der Episodenstil ins Peinlich-Privatime. Wenige beherrschen diesen Stil. Nanni Moretti etwa, der mit »Liebes Tagebuch« oder »Wasserball und Kommunismus« intimste Details mit geschichtlichen Ereignissen verknüpfte, um persönliche Entscheidungen zu dokumentieren. Wenn er in »Aprile« die Frage stellt, in was für eine Gesellschaft (Berlusconi!) sein Kind hineingeboren wird, dann wird daraus ein Film, der präzise eine herrschende Atmosphäre spiegelt. Bei Faigle aber wird daraus nur eine fade Nummernschau, Abfolge von Kuriositäten, ohne jede intellektuelle Prägnanz. Ein Bilderbogen, den niemand braucht.
Am Ende wird er bei der »Bild«-Zeitung nicht empfangen, was ihn zu dem Kommentar veranlasst, er sei wohl doch kein Michael Moore. Dem lässt sich nicht widersprechen. Sein Tochter wird geboren und trägt den schönen Namen Alma. Die Mutter seiner Tochter gibt sich weiter zänkisch und alle finden das emanzipiert.
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