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»Ich habe meine Schwester getötet«

Geständnis zum Prozessauftakt um den »Ehrenmord« an der Deutsch-Türkin Hatun Sürücü

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 4 Min.
»Ich habe meine Schwester getötet. Ich habe diese Tat allein und ohne Hilfe begangen.« Mit diesen Worten leitete gestern vor dem Berliner Landgericht der 19-jährige Ayhan S. sein Geständnis ein, das er von seinem Anwalt verlesen ließ. Heute bereue er seine Tat, habe erkannt, dass er damit seine Familie zerstört, Unheil über sie gebracht und einem kleinen Jungen seiner Mutter beraubt habe, lässt er erklären. Damit nahm der Prozess um den so genannten Ehrenmord an der 23-jährigen Deutsch-Türkin Hatun Sürücü eine überraschende Wendung. Denn die drei des Mordes angeklagten Brüder hatten bis zu Prozessbeginn geschwiegen und die Staatsanwaltschaft war bis zu diesem Zeitpunkt von einer gemeinschaftlich geplanten und ausgeführten Tat aus Heimtücke und niederen Beweggründen ausgegangen. Nun aber entlastete der jüngste seine zwei älteren Brüder. Und auch die ließen vor Gericht erklären, dass sie mit dem Mord nichts zu tun hätten. Erst am nächsten Tag seien sie über die Bluttat informiert worden und hätten sie missbilligt. Als gläubige Moslems könnten sie nur erklären, dass solch eine Tat nicht mit dem Glauben gerechtfertigt werden könne und die Ehre der Familie auch nicht gerettet wurde. Die Gerichtsverhandlung wird nun klären müssen, ob das Geständnis abgesprochen war, um zwei vor dem Gefängnis zu bewahren. Denn auf Mord steht eine lebenslange Freiheitsstrafe. Der Jüngste kann als Heranwachsender - wird er nach Jugendstrafrecht verurteilt - mit einer Freiheitsstrafe von maximal 15 Jahren rechnen. Die Tat geschah am 7. Februar gegen 21 Uhr. An einer Bushaltestelle im Berliner Stadtteil Tempelhof war die Frau mit drei Kopfschüssen getötet worden. Eine Woche später wurden ihre drei Brüder verhaftet. Einer soll die Waffe besorgt, der zweite die Tat überwacht und der dritte geschossen haben. Dem gestrigen Geständnis zufolge war bei dem Täter schon lange der Plan gereift, seine Schwester umzubringen. Durch ihren freizügigen Lebensstil habe sie das Ansehen der Familie verletzt. Nur ihr Tod hätte die Ehre wiederherstellen können. Die Waffe habe er sich von einem Russen am Bahnhof Zoo für 800 Euro besorgt. Mit seinen Brüdern sei er unzufrieden gewesen. Als die älteren Geschwister hätten sie die Ehre der Familie wiederherstellen sollen. Als die aber nicht reagierten, habe er selbst gehandelt. Am Tatabend habe er seine Schwester aufgesucht, bei einem heftigen Streit die Nerven verloren. Hatun Sürücü war in Deutschland aufgewachsen und 1998 in der Türkei zu einer Ehe mit einem Cousin gezwungen worden. Zur Geburt ihres Sohnes kam sie nach Berlin und weigerte sich, in die Türkei zurückzukehren. Sie verließ die Wohnung ihrer Eltern, um sich ein selbstbestimmtes Leben aufzubauen. Eine Lehre als Elektroinstallateurin hatte sie fast abgeschlossen und war nicht bereit, wieder bei den Eltern zu wohnen. Sie sprengte damit die Fesseln und forderte den traditionellen Familienverbund heraus. Aus den Erklärungen der drei beschuldigten Brüder wurde auch deutlich: Die Verhältnisse in der großen Familie waren alles andere als intakt und ehrenvoll. Zu ihrer ermordeten Schwester hatten zwei der Brüder über Jahre keine Kontakte, auch untereinander waren die Beziehungen spannungsgeladen. Von ständigem Streit, Gewalt und Vergewaltigung war die Rede. Mit einer bewegenden Trauerkundgebung am Tatort hatten am 22. Februar Menschenrechtsorganisationen und Parlamentarier der Ermordeten gedacht. Mit Briefen und Kerzen hatten viele muslimische Frauen auf ihr eigenes Schicksal aufmerksam gemacht. »Dein Tod gibt mir den Auftrag, auch für meine Gleichberechtigung zu kämpfen«, war zu lesen. Eine andere handgeschriebene Botschaft lautete: »Lasst uns nicht allein, schaut nicht weg, wenn muslimische Frauen gequält werden«. Es gab aber auch andere Reaktionen: Schüler einer Tempelhofer Schule billigten die Tat und zeigten Verständnis für den Täter. Das hatte die Wogen der Empörung hochschlagen lassen. Nach Schätzungen der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes werden jährlich weltweit 5000 Frauen im Namen der Ehre umgebracht. Gewalt in Familien gehört zum Alltag. In Berlin werden jährlich 13000 Fälle häuslicher Gewalt registriert - Spitze des Eisbergs. Der Abgeordnete der Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus Giyas Sayan, der auch der Gerichtsverhandlung beiwohnte, kannte das Opfer und ist mit vielen Familientragödien in Berlin vertraut. Oft versuchte er zu vermitteln, wenn es um »Familienehre« ging. »Verschiedene Volksgruppen leben hier in Berlin jenseits der Gesellschaft«, sagt er. Teilweise sind die überlieferten Familien- und Stammesstrukturen erhalten, es herrschen andere Vorstellungen von Recht und Moral. Während der Mann keinen Beschränkungen unterworfen ist, muss die Frau traditionell zum Gehorsam verpflichtet sein. Sayans Appell: »Die Gesellschaft muss einen Nerv bekommen für die Probleme dieser Frauen, damit der Tod von Hatun nicht umsonst war.«

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