Schalter für die Gene

Schering-Preis für Erkenntnisse über die RNA Mehr als nur Transportmittel für Erbinformationen

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Bis vor wenigen Jahren fand sich die RNA (Ribonukleinsäure) in Bio-Lehrbüchern und vielen Nachschlagewerken nur als Transportmolekül für Erbinformationen oder Aminosäuren. Doch in den 90er Jahren entdeckte man immer mehr Funktionen der »kleinen Schwester« des Erbmoleküls DNA (Desoxyribonukleinsäure). Nicht nur das, es fanden sich auch Varianten des Moleküls, deren Zweck im Mechanismus der Zellgenetik unbekannt war. Die Erbinformation aller Lebewesen mit Ausnahme der RNA-Viren ist auf DNA-Molekülen gespeichert. Diese bestehen aus zwei miteinander verbundenen spiegelverkehrten Strängen. Um Informationen zum Bau von Zell-eiweißen aus der DNA abzulesen, muss dieser Doppelstrang abschnittsweise aufgebrochen werden. Dann können RNA-Moleküle andocken, eine spiegelverkehrte Kopie der »Buchstaben«-Folge auf der DNA entsteht. Diese wird aus dem Zellkern ausgeschleust und zu den Eiweißfabriken der Zelle gebracht. Diese so genannte Boten-RNA (mRNA) besaß naturgemäß nur einen Strang, damit die Information direkt abgelesen werden kann. Doch dann entdeckte man doppelsträngige RNA-Moleküle, die es nach diesem Schema gar nicht geben dürfte. 1998 zeigte sich, dass diese Doppelstrang-RNA (dsRNA) die Umsetzung von Erbinformation in Eiweiße verhindern kann. Diesen Vorgang nannte man RNA-Interferenz. Unklar war allerdings, wie das Ganze funktioniert. Denn bis dato glaubte man, dergleichen könne nur eine einsträngige RNA, die genau spiegelverkehrt zu dem zu blockierenden RNA-Molekül ist. Das fand auch der frisch promovierte Biochemiker Thomas Tuschl höchst seltsam, als er bei seinem Postdoc-Aufenthalt am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, USA, davon las. Bei eigenen Experimenten an Fruchtfliegen kam Tuschl dem Mechanismus auf die Spur. Die Lösung: Aus den Doppelsträngen werden in der Zelle Einzelstränge. Zunächst zerschnipselt ein Enzym die dsRNA-Moleküle in kleinere Einheiten, die dann in Einzelstränge aufgespaltet werden. Im Verbund mit einem bestimmten Eiweißkomplex sind diese einsträngigen RNA-Schnipsel dann in der Lage, sich an die spiegelbildlich gleichen mRNA-Einheiten anzulagern - und deren Zerfall auszulösen. Die Folge: Das entsprechende Gen wird nicht umgesetzt. Tuschl ging nun noch weiter. Zurück am Göttinger Max-Planck-Institut, gelang es ihm 2001 als Erstem, Doppelstrang-RNA in menschliche Zellen einzuschleusen und dort eine RNA-Interferenz auszulösen. Auch das galt bis dahin für unmöglich, da ein alter Schutzmechanismus gegen Viren beim Eindringen von RNA-Doppelsträngen den Zellselbstmord der befallenen Zelle auslöst. Tuschl kam jedoch auf eine ungewöhnliche Idee. Er setzte RNA-Stränge ein, die so kurz waren, dass die Immunabwehr sie »übersah«. Für diesen erfolgreichen Versuch, der eine ganz neue Technik zum gezielten Ausschalten von Genen in Säugetieren erlaubt, wurde der seit 2003 wieder in den USA forschende Tuschl am Mittwoch mit dem Ernst Schering Preis 2005 geehrt. Der seit 1992 jährlich vergebene Preis ist mit einem Preisgeld von 50 000 Euro verbunden. Die RNA bietet ganz sicher noch etliche Überraschungen. So wurde am Rande der am Mittwoch in Berlin beendeten Jahrestagung der Gesellschaft für Biochemie darauf hingewiesen, dass es noch zehntausende von RNA-Fragmenten in den Zellen gebe, die nicht für irgend ein Eiweiß kodieren. Eine so große Zahl dieser Moleküle könne jedoch kaum ohne jede Funktion sein, meinte der Biochemiker Volker A. Erdmann von der gastgebenden Freien Universität Berlin. Möglicherweise liegen einige der Artenunterschiede gar nicht in der DNA begründet, sondern in den verschiedenen RNA-Molekülen und deren regulierendem Einfluss auf die Realisieru...

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