Zu viele Pestizide für den Hopfen
Immer weniger und größere Brauer und Bauern teilen sich den Markt für Bier
»Achtung: Seit dem 19.07.2005 besteht ein 2. Spritzaufruf für alle Hopfensorten! Da weiterhin mit einer wechselhaften Witterung zu rechnen ist, sind Peronospora-Fungizide mit einer Nebenwirkung gegen Botrytis zu bevorzugen. Dabei sollte das Strobilurin Ortiva aus Resistenzgründen nicht häufiger als 2 Mal angewendet werden.« Dieser kollegiale Aufruf zur Anwendung der chemischen Keulen stammt von der Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft, und er ist alltäglich im konventionellen Anbau von Hopfen, einem der zwei wichtigsten Rohstoffe für Bier.
Azoxystrobin, Captafol, Cymoxanil, Dimetomorph, Dithiocarbamate, Dichlofluanid, Fosethyl, Myclobutanil, Quinoxyfen, Tolyfluanid und 45 weitere Pestizide aus der Giftküche der chemischen Industrie stehen zwar nicht auf der Liste des legendären deutschen Reinheitsgebots für Bier. Zur Bekämpfung der Hopfenkrankheiten und »Schädlinge« wie Botrytis, Mehltau, Peronospora-Pilzen, Liebstöckelrüßler, Hopfenblattlaus und Gemeiner Spinnmilbe sind sie jedoch staatlich erlaubte chemische Kampfstoffe, die je nach staatlichem »Spritzaufruf« auf die Hopfenkulturen zu verteilen sind.
Doch nicht alle Hopfenbauern folgen dem Aufruf. Einige wenige, die aber stetig mehr werden, ignorieren ihn: die Bio-Hopfenbauern. Sie produzieren den bitterwürzigen Pflanzenrohstoff für das Bier so, dass er wirklich dem Reinheitsgebot entspricht. Denn Spritzmittel der chemischen Industrie sind ihnen verboten, genauso wie der Einsatz von gentechnisch veränderten Pflanzen. Dafür benötigen die Bio-Felder mehr menschliche Arbeitskraft je Hektar als die konventionell bewirtschafteten Flächen.
Zugegeben: Gentech-Hopfen wächst noch nicht bei den Bauern in der Hallertau, in Tettnang oder im fränkischen Spalt, wo man schon 1538 den ersten Herkunftsnachweis, das so genannte Hopfensiegel, einführte. Doch auch in Deutschland forscht man seit einigen Jahren an der Genmanipulation von Hopfen. Unterstützt mit Steuergeldern, wachsen bereits seit Februar 2003 transgene Hopfenpflanzen in Gewächshäusern bayerischer Forscher.
Ob der Gentech-Hopfen ein (noch) gesünderes Bier oder wenigstens mehr Jobs schaffen kann, darf bezweifelt werden. Daran glauben wahrscheinlich nicht mal die Gentechniker selbst. Im Gegenteil. Gentech-Pflanzen könnten das deutschland- und weltweit seit Jahren andauernde »Bauernsterben« eher noch beschleunigen, befürchten Umweltschützer und alternative Agrarexperten.
Schon jetzt gaben - parallel zur Zunahme des Arsenals an chemischen Pflanzenschutzmitteln - in den vergangenen Jahrzehnten Tausende von Hopfenbauern auf. Gab es 1953 noch 14 631 Hopfenbauernhöfe mit durchschnittlich einem halben Hektar Anbaufläche, waren es 2003 nur noch 1788 mit im Schnitt fast zehn Hektar Anbaufläche je Hof. Somit sind in diesem Zeitraum nicht nur rund 88 Prozent der Hopfenbauern inklusive Tausender Jobs, sondern auch eine kleinräumige, vielfältige Anbaukultur verloren gegangen.
Nicht anders sieht es bei der Braugerste aus, dem anderen wichtigen Pflanzenrohstoff für Bier. Wer sich die Zahlen der Arbeitsplatzverluste in der Landwirtschaft und den verarbeitenden Betrieben, von den Mälzereien bis zu den Brauereien, in den vergangenen Jahrzehnten vornimmt, muss sich über die heutigen hohen Arbeitslosenzahlen und die schleichende Landflucht nicht wundern.
Obwohl sich absolut gesehen die Bierproduktion seit Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland in etwa verdoppelt hat, ist die Zahl der Brauerein nicht angestiegen, sondern drastisch zurückgegangen. Von 19 110 gewerblichen Braustätten im Jahre 1880 sind bis heute noch 1270 übrig geblieben. Und die Zahl der Mälzereien ging von über 200 Anfang der 1960er Jahre auf weniger als 50 zurück: Die »Kleinen« müssen weichen, die »Großen« werden größer. Arbeitsplätze, Regionalität und Geschmacksvielfalt bleiben auf der Strecke. Und wenige Großbrauereien versuchen, den Preis für die Rohstoffe wie Braugerste zu drücken, wo und wie es nur geht. Schon »muss« Deutschland ein Drittel der benötigten Braugerste vom Weltmarkt kaufen, weil ihr heimischer Anbau für unsere Bauern immer weniger rentabel ist. »Als Bierbrauer kann man diese Entwicklung mit Besorgnis sehen«, klagt Joachim Rösch, der erste Vorsitzende der Braugerstenstelle Südbaden.
Einen Gegentrend bilden die Bio-Brauereien. Sie nehmen langsam, aber stetig zu, schaffen Arbeitsplätze, wo sie benötigt werden. Wer das Massenbier der großen Brauerein in den Regalen lässt und stattdessen zu regional erzeugtem Bio-Bier greift, erhält und schafft deshalb nachhaltige Arbeitsplätze, verringert unnötigen Lkw-Verkehr auf den Straßen. Außerdem erspart man damit der Umwelt Tonnen von Pestiziden und die bislang ungeklärten Risiken genmanipulierter Pflanzen. Generell muss es Ziel einer vernünftigen Wirtschafts- und Verbraucherschutzpolitik sein, das Bier im wahrsten Sinne des Wortes im Dorf zu lassen. Lokale Produktion, kurze Wege, bester Geschmack, Vielfalt zum Wohl von artenreicher, schöner Kulturlandschaft und zur För...
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