Hanns Hopps Eigenheime für die Intelligenz
In der Erich-Weinert-Siedlung in Niederschönhausen wirkt die Atmosphäre ihrer ersten Besitzer nach
Fast unbemerkt und bis heute namenlos schmuggelt sich von der Heinrich-Mann-Straße in Niederschönhausen die Straße 201 rechtwinklig ins Gelände. Wundervoll begrünt sind die Grundstücke zu beiden Seiten des schmalen Pfads, jeder Garten wahrt sein Gesicht. Man spaziert durch dieses Viertel wie durch ein Wäldchen: So hoch ragen mittlerweile Gartenbäume und Gebüsch, so weit zugunsten der Natur rückversetzt stehen besonders die Häuschen linkerseits, die mit den ungeraden Nummern. Und doch ist die Straße 201 eine Magistrale, denn sie teilt die Erich-Weinert-Siedlung, deren Eigenheime sich an beiden Gassenflanken bis zur Hermann-Hesse-Straße und zur Homeyerstraße hinziehen.
Bereits um 1900 legte man diese Straßenzüge unter anderem Namen am Rand der Schönholzer Heide an; bau- und geistesgeschichtlich interessant wurden sie erst ein halbes Jahrhundert später. Die »Bündnispolitik mit der Intelligenz« gehörte frühzeitig zu den wesentlichen Interessen der DDR. So datiert bereits im März 1950 eine als Nr. 28 im Gesetzblatt verankerte »Verordnung zur Entwicklung einer fortschrittlichen demokratischen Kultur des deutschen Volkes und zur weiteren Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Intelligenz«.
Was mit der »Wohnzelle Friedrichshain« als Bauprogramm hauptsächlich für Arbeiter in einem schwer zerstörten Stadtbezirk begonnen hatte, sollte rasch auch der Intelligenz zugute kommen, namentlich jenen, die Emigration oder Konzentrationslager überlebt hatten. Kraft obiger Verordnung plante man für sie in weniger dicht besiedelten Gebieten drei Wohnkomplexe: an der Platanenstraße, an der ehemaligen Seckendorffstraße (heute Hermann-Hesse-Straße) ebenfalls in Pankow und an der Regattastraße in Grünau. Das erforderliche Siedlungsgelände stellte die Stadt im Erbbaurecht zur Verfügung. Der Magistrat übernahm aus einem Sonderprogramm 1950 die 725 000 Mark für die Geländeaufschließung und trug überwiegend die Baukosten, der Förderungsausschuss der DDR beteiligte sich mit vier Millionen Mark aus einem Kreditfonds.
Von den vorgesehenen 94 »Intelligenz-Bauten« konnten 91 durch den VEB Wohnungsbau im Auftrag des Ministeriums für Aufbau zwischen Juli 1950 und Dezember 1951 realisiert werden. Städtebaulich entwickelt vor allem die Erich-Weinert-Siedlung den Einfamilienhausbau der 30er Jahre fort. Architekt ihrer 22 Eigenheime war Hanns Hopp, seit Anfang 1950 Leiter der Abteilung Hochbau im Institut für Städtebau und Hochbau jenes Ministeriums. Hopp (1890-1971) hatte an den Technischen Hochschulen Karlsruhe sowie München studiert und gehörte in den 1920ern zu den Vertretern der Moderne. An diese Bautradition knüpfen nach einheitlichem Plan sein Entwurf und die Einordnung der Gebäude und Gärten um die Straße 201 an - abseits von den heftigen Architekturdebatten in der frühen DDR.
Vier Gebäudetypen, die gegen Kostenübernahme durch den späteren Besitzer Sonderwünsche gestatteten, gruppiert er auf dem Baukarree: für die ungeradzahligen Nummern der Straße 201 das eingeschossige Traufenhaus mit Satteldach und Gartenterrasse; an der Hermann-Hesse-Straße sowie für Nr. 8 der Straße 201 das zweigeschossige Traufenhaus mit Satteldach und mittiger Haustür unter einem säulengestützten Vordach; für beide Straßen das zweigeschossige Traufenhaus mit flachem Satteldach, schwebend überdachtem Seiteingang und Fensterband im Obergeschoss. Sondertypen gliedern sich in die Häuserreihen ein, so die aus Wohnbereich und Atelier bestehenden, bildenden Künstlern zugedachten sechs Baugruppen an den Ecken der Siedlung. Sie, die Künstler-Eigentümer, machten das Flair jenes Karrees aus, das auf dem Aushub für die U-Bahn-Linie Vinetastraße errichtet wurde. Wie eine Burg thront mit seinem Atelierhinterbau das Haus Nr. 1 der Straße 201 auf einem Hügel. Die Bildhauerin Ruthild Hahne konnte von hier aus direkt auf das umwachsene Heim Max Lingners blicken, des Malers schwingender Linien. Neben ihm wohnten Erich Weinert, auch er 1950 Gründungsmitglied der Akademie der Künste, sowie die Schriftsteller Kurt Bartel und Willi Bredel, schräg gegenüber der Publizist Henryk Keisch. Ebenso gehörte Walther Victor vor seiner Übersiedlung nach Weimar auf ein Jahrzehnt dem erlauchten Zirkel an. In frischem Gelb erstrahlt in der Homeyerstraße 37 das Haus des Grafikers und Karikaturisten Herbert Sandberg, Eckhäuser bewohnten der Karl-Hofer-Schüler Fritz Duda und der Bildhauer Theo Balden.
Kommt man mit den heutigen Bewohnern der Siedlung ins Gespräch, hat jeder etwas zu erzählen, ob Nachfahre, Archivmitarbeiter oder Neumieter. Man sieht dann vielleicht hinterm Gartenzaun die Reporterlegende Heinz Florian Oertel oder trifft auf Edith Balden. Die Witwe des Bildhauers kennt ihre Siedlung seit 1951, zog - Zufall - am 17. Juni 1953 dort ein. Nachts rollten die Panzer. Anfangs, erzählt die liebenswürdige Dame, die an der Kunsthochschule Weißensee Textilgestaltung studiert und dort den Dozenten Balden kennen gelernt hatte, grasten noch Ziegen auf den umliegenden Wiesen.
Seit dem Mauerfall beeinträchtigen Durchgangsstraßen die Ruhe, Flugzeuge taten das bereits früher, was einst Ernst Busch, zwar außerhalb der Siedlung ansässig, zu einem wütenden Anruf bei Honecker veranlasst haben soll. Abgeschottet lebte man hier nie, sagt sie und beklagt, dass damals »mit gutem Willen, aber schlechtem Material« gebaut worden sei, und das räche sich jetzt. An der Bushaltestelle winkt über dem Halbrund des Erich-Weinert-Memorials von 1961 wie aus einer anderen Zeit...
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