Der letzte Fahnenappell

Ein Eppelmannscher Treppenwitz und die Abwicklung der NVA

Hunderte Offiziere, Fähnriche, Unteroffiziere und Zivilbeschäftigte hatten sich vor dem Haus 20 des Verteidigungsministeriums in Strausberg versammelt, um einen wichtigen Abschnitt in ihrem Berufsleben - unfreiwillig - zu beenden: Am 2. Oktober 1990 fand der letzte Fahnenappell der Nationalen Volksarmee statt. In der Folge war auch die 1956 gegründete NVA gemäß eines General-Auftrags des damaligen Justizministers Klaus Kinkel zu diskreditieren. Insbesondere der nunmherige Vizepräsident der Strausberger Wehrbereichsverwaltung Gerd A. Engelmann betonte wiederholt: »Die NVA war eines der Machtinstrumente des stalinistischen Unrechtsregimes der SED.« Noch am 20. Juli 1990 hatte der Abrüstungs- und Verteidigungsminister der letzten DDR-Regierung, Rainer Eppelmann, NVA-Angehörige einen Eid ablegen lassen: »Ich schwöre, meine ganze Kraft zur Erhaltung des Friedens und zum Schutz der Deutschen Demokratischen Republik einzusetzen.« Wider besseres Wissen, denn der damalige oberste Dienstherr der DDR-Streikräfte wie auch sein Leiter des Personalamtes wussten längst, dass es nichts mehr zu bewahren galt. Dieser Treppenwitz der Geschichte weist denn auch auf die Ambivalenz von öffentlichen Gelöbnissen oder Diensteiden. In diesem Sinne geradezu grotesk liest sich die Formulierung auf den Entlassungsurkunden vom 30. September 1990, auf denen den nunmehr verabschiedeten Soldaten und Offizieren der NVA bescheinigt wurde: »Für 40 Jahre treue Dienste. In Würdigung langjähriger gewissenhafter Pflichterfüllung spreche ich... (hier stand der Name des jeweiligen Offiziers) meinen Dank aus. Rainer Eppelmann, Minister für Abrüstung und Verteidigung.« Wenige Wochen zuvor hatte Staatssekretär Werner Ernst Ablaß noch das Hoheitsrecht für die NVA und ihre Führung durch einen Ost-Länderbeauftragten popularisiert. Und Staatssekretär Dr. Bertram Wieczorek proklamierte: »Darum darf es zwischen Elbe und Oder weder NATO-Truppen noch Bundeswehrsoldaten geben.« Es ist alles anders gekommen. »Ab 3. Oktober 1990, Null Uhr geht die Befehlsgewalt an den Bundesminister für Verteidigung.« (»Die Welt«, 30.9.1990). In den Streitkräften vollzog sich der Anschluss wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Die Bundeswehr übernahm von 135 000 NVA-Angehörigen (März 1990) nur 18 000. Berufssoldaten wurden unisono im Dienstgrad herabgesetzt. Bereits am 28. September 1990 hatte Ablaß 23 Generale und Admirale der NVA entlassen. Mit dem Übergang der Befehlsgewalt an den Bundesminister für Verteidigung erfolgte auch fast über Nacht die Eliminierung von 299 antifaschistischen Traditionsnamen an Armeeeinrichtungen, darunter Rudolf Breitscheid, Bruno Leuschner, Harro Schulze Boysen, Arvid Harnack, auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, ebenso Clausewitz, Blücher, Lützow. Kein Objekt durfte mehr den Namen des Spanienkämpfers Hans Beimler oder der revolutionären, 1918 »meuternden« und hernach umgebrachten Matrosen Albin Köbis und Max Reichpietsch tragen. Der Vollständigkeit halber und in memoriam der 17 in Afghanistan getöteten Bundeswehrsoldaten sei angemerkt:...

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