Calvis spektakulärer Abgang
Prozess soll Tod des »Bankier Gottes« nach 23 Jahren aufklären
In Rom beginnt heute ein Prozess, der Licht in einige der geheimnisvollsten Ereignisse der letzten Jahrzehnte bringen soll. Es geht um die Ermordung des Bankiers Roberto Calvi.
Es ist ein Ausflug in die jüngste italienische Vergangenheit - mit vielen Weiterungen, die bis in die Gegenwart hineinreichen. Auf der Anklagebank im Mordprozess Calvi sitzen Vertreter der geheimen Freimaurerloge P2 und der Mafia. Roberto Calvi trug den Beinamen »Bankier Gottes«. Den hatte er aufgrund seiner hervorragenden Beziehungen zum Vatikan und vor allem zur Vatikanbank IOR erhalten, für die er Ende der 70er Jahre mehrere Geschäfte tätigte, die man problemlos als »unsauber« bezeichnen kann. Mit von der Partie waren damals zwei »Organisationen«: auf der einen Seite die geheime Freimaurerloge P2, die in Italien ein reaktionäres Regime errichten und möglicherweise auch einen Staatsstreich durchführen wollte, und auf der anderen die Mafia. Es war ein schier undurchdringliches Geflecht aus wirtschaftlichen, politischen und kriminellen Interessen, das den Hintergrund bildete. Am 18. Juni 1982 wurde die Leiche Roberto Calvis in London gefunden: aufgeknüpft unter der Themsebrücke »Black Frairs« (Schwarze Brüder), mit Backsteinen und 15 000 US-Dollar in den Taschen. Die Londoner Polizei hatte keine Zweifel: Selbstmord war ihr Verdikt, obwohl ungezählte Indizien und Beweise gegen diese These sprachen. Wie hätte es ein nicht mehr junger Mann überhaupt schaffen sollen, schwer beladen auf das hohe Brückengerüst zu klettern, sich irgendwie im Gleichgewicht zu halten und zu erhängen? Und warum war er absolut trocken, obwohl es zur angeblichen Tatzeit in Strömen regnete? Den englischen Untersuchungsbehörden aber war das alles egal: Sie wollten offensichtlich den Fall nur möglichst schnell vom Tisch haben. In Italien glaubten nur wenige an den Selbstmord. Zu viele Zeichen und Symbole wiesen auf einen Mord und auch gleich auf die Täter hin: Der Ort, die Steine und das Geld ließen für die Experten nur den Schluss zu, dass sowohl die Mafia wie die Freimaurer ihre Hände mit im Spiel hatten. Inzwischen aber verliefen alle Untersuchungen, die irgendetwas mit den unsauberen Geldgeschäften des Vatikans (unter anderem ging es möglicherweise um Gelder, die nach Polen geschafft wurden, um dort die Kirche und die politische Opposition zu finanzieren), mit den Beziehungen zwischen Freimaurern, Mafia und Politik zu tun hatten, mehr oder weniger im Sande. Morde und geheimnisvolle Selbstmorde, die damit offensichtlich zu tun hatten, wurden nie aufgeklärt, und verhaftet beziehungsweise. verurteilt wurden, wenn überhaupt, immer nur die berühmten kleinen Fische. Der Tod Roberto Calvis wurde indes sowohl in England wie in Italien weiter hinterfragt. In London kam man irgendwann zu der Überzeugung, der Bankier sei auf einem Schrottplatz von mindestens zwei Personen erwürgt und dann unter der Brücke aufgeknüpft worden. In Rom beginnt heute der Mordprozess. Auf der Anklagebank sitzen der Mafiaboss Pippo Calò, seit fast 20 Jahren wegen anderer Delikte im Gefängnis, der Finanzmakler und Freimaurer Flavio Carboni (übrigens mit dem derzeitigen italienischen Innenminister Giuseppe Pisanu und mit Silvio Berlusconi gut bekannt), seine österreichische Freundin Manuela Kleinszig, der Unternehmer Ernesto Diotallevi, der mit der Mafia verbandelt war, und der ehemalige Schmuggler aus Triest Silvano Vittor, der Calvi nach London begleitet haben soll. Für die Staatsanwaltschaft wurde der »Bankier Gottes« ermordet, weil er Mafiagelder »veruntreut« und weil er versuchte hatte, die beteiligten Organisationen zu erpressen. Sein Tod sollte gleichzeitig eine unmissverständliche Drohung an alle Beteiligten sein, den Mund zu halten. In den nächsten Monaten wird sich...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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