Die andere Geschichte vom kalten Herz

Die Eiserne Lady wird 80: Maggie ist passé, der Thatcherismus nicht

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: ca. 6.5 Min.
Die Eiserne Lady hat Rost angesetzt, natürlich. Die Frau wird am kommenden Donnerstag 80. Sie ist 15 Jahre aus dem Amt des britischen Premierministers, sie hat drei Hirnschläge, ihre Erhebung in den nichterblichen Adelstand und die Abschiebung ins Oberhaus überstanden. Aber in der Öffentlichkeit erscheint sie makellos gestylt wie eh und je. Die Frisur eine Haube, in der kein Härchen aus der Reihe tanzt. Die Garderobe stets exquisit, häufig königlich. Ob sie nach wie vor »Whisky als bevorzugten Schlaftrunk« nimmt und ob sie weiter darauf geeicht ist, »mit vier Stunden Schlaf pro Nacht auszukommen« - wir wissen es nicht. Doch als Energiebündel, als das sie während ihrer elfeinhalb Jahre in Downing Street galt, gilt sie noch heute. Als Frau, die oft als einziger Mann in ihrem Kabinett beschrieben wurde, sowieso. Als Verfasserin von Weisheiten wie »Zu Hause ist, wo man hingeht, wenn man nichts Besseres zu tun hat«, ebenfalls. Die Frau war der erste weibliche Regierungschef der westlichen Welt, der am längsten amtierende Premier Britanniens seit über 150 Jahren (Mai 1979 - November 1990) und der einzige Prime Minister ihres Landes, der seinen Namen im vorigen Jahrhundert einem -Ismus lieh. Es gab keinen Lloyd-Georgismus, keinen Macdonaldismus, keinen Wilsonismus, nicht mal einen Churchillismus. Aber es gibt den Thatcherismus, Margaret Thatcher sei Dank. Kein Mensch kann bündig und exakt sagen, was Thatcherismus ist. Das liegt daran, dass »eine Ideologie eben keine Wissenschaft ist« (Friedrich Dürrenmatt). Eine Ideologie jedoch ist der Thatcherismus so sehr, wie Frau Thatcher eine Ideologin geblieben ist. Oder um eine ihrer Selbstbeschreibungen zu zitieren: Die Tochter eines Kolonialwarenhändlers aus dem kleinstädtischen ostenglischen Grantham sah sich immer als »Überzeugungs-«, nie als »Konsens-Politikerin«. Kompromisse waren ihr grundsätzlich ein Gräuel. An ihnen war sie nicht interessiert, nur daran, was sie für »richtig« befand. Daraus erwuchs ihre frühe Einteilung in Menschen »für uns« und »gegen uns«. Darin zeigte sich ihre quasi stalinistische Grundhaltung. Überhaupt ließe sich sagen: Thatcherismus ist Stalinismus, der aus freien Wahlen hervorging. Die Frau, die als erster britischer Regierungschef einen akademischen Abschluss in Naturwissenschaften (Chemie) machte, die ein Jurastudium absolvierte und als Anwältin zugelassen war, die es als erste Frau zur Präsidentin der konservativen Vereinigung der Studenten in Oxford brachte und vor ihrer Zeit als Unterhaus-Abgeordnete der Konservativen (1959 - 1992) in einem Chemieunternehmen Wege zur besseren Konservierung von Speiseeis finden half - diese Frau holte mit ihrer Politik und ihrem Stil den Eiskeller ins gesellschaftliche Leben Großbritanniens. Jedenfalls in einer Art und in einem Umfang, wie dies Ende der 70-er Jahre seit langer, langer Zeit unbekannt war. Thatcherismus wurde ein Symbol- und Sammelbegriff für radikale Privatisierungen in der britischen Gesellschaft, beispiellose soziale Kürzungen, den Monetarismus, genauer, dass der Zuwachs des Geldumlaufs zwecks Inflationsvermeidung den Zuwachs der Wirtschaft nicht übertreffen dürfe. Weiter die Neue Rechte, die einerseits die »freie« statt die »soziale« Marktwirtschaft und andererseits die persönliche Verantwortung jedes Einzelnen betonte, bei gleichzeitig traditioneller Erziehung von Familienwerten, nach Thatchers Vorstellung am besten in viktorianischem Zuschnitt. Eine Politik der Stärke, der Aufrüstung und bei Bedarf des militärischen Abenteuers (die Entscheidung ihres engsten politischen Freundes Ronald Reagan für das aberwitzige Sternenkriegs-Projekt SDI nennt sie noch in ihren persönlichen Erinnerungen »die bedeutsamste seiner gesamten Präsidentschaft«). Und nicht zuletzt ein Stil kompromissloser Härte (»no nonsense«), sowohl im Umgang mit eigenen Parteigängern und Kabinettskollegen als auch mit den Opponenten von Labour Party, Gewerkschaften und Bürgerrechtsverbänden, ganz besonders jedoch mit politischen Feinden, allen voran »dem Kommunismus« in der damaligen Sowjetunion und deren Machtgebiet. Bereits die Aufzählung einiger Zutaten des Thatcherismus ruft die Polarisierung in Erinnerung, die der Kurs der Ex-Premierministerin (drei Wahlsiege 1979, 1983, 1987 in Serie) für ihr Land mit sich brachte. Die Regierungschefin, die bei ihrem Amtsantritt vor dem Eingang zu Nr. 10, Downing Street, mit schriller Stimme und unter Berufung auf Franz von Assisi versprach, da, wo Zwietracht herrsche, Einigkeit und dort, wo Verzweiflung herrsche, Hoffnung zu bringen, sorgte mit ihrer Politik im folgenden Jahrzehnt für die größte gesellschaftliche Spaltung, die Großbritannien nach dem 2. Weltkrieg erlebt hat. Viele Briten fühlten sich von »Maggie« auf den Müll geworfen. Die Eiserne Lady (wie die sowjetische Nachrichtenagentur TASS Frau Thatcher 1976, also noch vor ihrem Amtsantritt - ganz zu ihrem Entzücken - getauft hatte) löste mit ihrem industriellen Kahlschlag zur Gesundung Britanniens, des damaligen »Kranken Manns von Europa«, eine Verdreifachung der Arbeitslosigkeit in wenigen Jahren aus. Thatcher sah darin einen bedauerlichen, aber hinnehmbaren »Kollateral-Schaden in einem im übrigen gerechten Kri...

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