Eine Rose für ein altes Haus

Dem Tagebau Cottbus-Nord musste am Freitag in Lakoma das letzte Gebäude weichen

Es dürfte eine ihrer kleinsten improvisierten Andachten gewesen sein: Am Donnerstagnachmittag ging Heilgard Asmus, die Generalsuperintendentin für Berlin und Brandenburg, zum alten Hof der Kossacks, las den Psalm »Der Herr ist mein Hirte« und betete mit der 83-jährigen Else Kossack und zwei ihrer Angehörigen. Am nächsten Morgen - am Freitag - sollte der Hof an den Bergbau übergeben werden. Am Freitagmorgen dann rührte in dem Haus mit der niedrigen Decke kaum einer der Freunde das Essen an. Von draußen beobachtete der Wachschutz durch die Fenster das Geschehen, dann fuhren die Leute vom Energiekonzern Vattenfall an der Nummer 11 von Lakoma vorbei zum Haus von Frieda Balzke (73), die ihren Hof ebenfalls zu übergeben hatte. Schließlich kam der Tross zurück. Joachim Kretschmer, der Beauftragte von Vattenfall, betrat das Zimmer, sagte ohne Umschweife: »Übergeben sie mir jetzt bitte das Grundstück.« Auch Polizei war gekommen, wie immer in Lakoma, allerdings diesmal unnötig. Denn diesmal stieg niemand aufs Dach, kettete sich keiner an. Es war im Frühling 1983, als die Bewohner von Lakoma offiziell erfuhren, dass sie dem Braunkohle-Tagebau weichen sollen. Im Mai sind dann fünf Frauen zum Zentralkomitee der SED gefahren, unter ihnen Else Kossack. Sie wollten mit Hermann Axen sprechen, den sie für den Verantwortlichen hielten. Was herauskam, war erstaunlich: Der Plan der ersten geschlossenen Umsiedlung eines Dorfes auf angemessene Grundstücke und ein Zuschuss plus Kredit für den Neubau. »Ich geh nicht weg«, sagte Else Kossack damals trotzdem und zumindest zum Teil gelang ihr das Bleiben. Weil nach der Geburt ihrer Kinder das alte Haus zu klein geworden war, hatten die Kossacks am Rand des Dorfes neu gebaut. Das Haus der Eltern blieb in der Mitte Ortes und somit im Bereich des Tagebaues. Der Neubau am Dorfrand unmittelbar neben der Bundesstraße darf auch jetzt stehen bleiben. Nach dem Ende der DDR unterschrieben zweitausend Menschen, damit das Dorf, die Teiche und der Hammergraben doch noch erhalten bleiben. Geholfen hat es nicht. Der Konzern Vattenfall bereitet die Entwässerung des Naturschutzgebietes vor. Durch den rigorosen Dorfabriss wurden im Laufe des Jahres fast alle der nach und nach angekommenen Künstler und Umweltschützer vertrieben. Einige wenige zogen sich auf das Kossacksche Grundstück zurück. Der Holzbildhauer Ralf Röhr hat sein wendisches Blockhaus auf dem Acker der Else Kossack zwischengelagert, und irgendwo steht noch ein Wohnwagen. »Wo gibt es das schon noch«, fragt Karin, die Tochter von Else Kossack leise, »dass wir Jugendlichen die Bedingungen geben können, die sie brauchen?« Der Bagger fährt am Freitag an den Giebel des »letzten verbliebenen Gebäudes in der Ortslage Lakoma innerhalb des Abbaugebietes des Tagebaus Cottbus-Nord« wie es in einer Pressemitteilung von Vattenfall heißt, dann poltern die Steine und Glas splittert. Die Kossacks stehen dicht beieinander, fassungslos sehen sie, wie die Erinnerungen, die Arbeit von Generationen sich im Kalkstaub lösen, unmittelbar nach der Übergabe. Else Kossack kam erst, als alles vorbei war. Vorher nicht. »Es ist zu riskant«, sagt Tochter Karin, »der Pfarrer ist bei ihr.« Sie selbst umarmt einen der früheren »Hausbesetzer«. Der Wachschutz ist verunsichert. Die Arbeiter sehen dem Schauspiel betreten zu. Ein Arbeiter fegt den Kalkstaub von der Dorfstraße, die Freunde fahren nach Hause und Karin legt eine Rose in die Trümmer. Wenig später wird die Pflanze mit den Steinen weggeräumt. Lakoma ist G...

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