Die Wasserbetriebe via Klage günstig rekommunalisieren

Gastbeitrag von Thomas Rudek

  • Lesedauer: 4 Min.

Als Anfang letzten Jahres über 660 000 Berliner den Wasser-Volksentscheid in den sicheren Hafen brachten, waren mit der gesetzlichen Offenlegung der geheimen Teilprivatisierungsverträge viele Erwartungen verbunden. Denn eines war allen bewusst: Die Offenlegung war lediglich der erste Schritt. Die eigentliche Arbeit, die Prüfung und juristische Anfechtung der Verträge mit dem Ziel einer gerichtlichen Nichtigkeitsfeststellung stand noch bevor, oder anders formuliert: Der »Sprengstoff«, mit dem gegen die Teilprivatisierung vorgegangen werden kann, ist vorhanden. Jetzt galt es, einen Weg zu finden, um den »Sprengstoff« zu zünden.

Unmittelbar nach dem Volksentscheid machte sich ein »Arbeitskreis unabhängiger Juristen« (AKJ) ans Werk und erarbeitete ehrenamtlich über mehrere Monate die Anleitung zur Zündung in Form des Leitfadens »Nichtigkeit der Berliner Wasserverträge und ihre Geltendmachung«. Die Grundaussage dieses Leitfadens ist einfach: Die Gewinngarantien für die privaten Anteilseigner, die Konzerne RWE und Veolia, sind juristisch als eine Sicherheit zu klassifizieren, und für diese hätte es nach der Verfassung einer gesetzlichen Grundlage bedurft!

Um es in aller Deutlichkeit herauszustellen: Es ist nicht ausreichend, dass das Abgeordnetenhaus den Gewinngarantien zugestimmt hat, sondern die Verfassung schreibt für die Gewährung einer Sicherheit eine gesetzliche Grundlage vor. Und genau diese ist nicht geschaffen worden. Es wird niemanden überraschen, dass nach der Veröffentlichung des Leitfadens Bombenentschärfungskommandos – und zwar von allen Seiten – zum Einsatz gebracht wurden, die den Auftrag hatten, die Sprengkraft des Leitfadens zu entschärfen und die Befürworter einer kostengünstigen Rekommunalisierung zu isolieren und zu diffamieren. Dieser Versuch einer repressiven Großoffensive erklärt sich aus der Bedeutung, der einer gerichtlichen Vertragsanfechtung für eine kostengünstige Rekommunalisierung beizumessen ist. Es reicht eben nicht aus, wenn das Land Berlin die Anteile von RWE und Veolia einfach zurückkauft, ohne die Privatisierungsverträge von den Gerichten vorher prüfen zu lassen!

Von dem geplanten Rückkauf-Deal des Senats in Höhe von 654 Millionen Euro für die RWE-Anteile profitiert nur RWE. Hingegen müsste nach einer gerichtlichen Anfechtung der Privatisierungsverträge die Privatisierung rückabgewickelt werden: Die Konzerne würden ihre Einlagen rückerstattet bekommen, allerdings – und das ist entscheidend – müssten bei dieser Rückerstattung alle bisher erzielten Gewinne gegen gerechnet werden. Statt RWE für den Rückkauf seiner Anteile 654 Millionen Euro in den Hals zu werfen, wären im Fall einer solchen Rückabwicklung nach einer erfolgreichen Vertragsanfechtung lediglich 251,5 bzw. 336,3 Millionen Euro auszugeben. Eine gerichtliche Vertragsanfechtung würde sich somit für Berlin auszahlen.

Auch ist der Weg zu diesem Ziel bekannt, denn im Leitfaden ist dargestellt, was zu tun ist. Der AKJ hat allen Abgeordneten – auch denen der Opposition – nicht nur ein Organstreitverfahren vor dem Verfassungsgericht empfohlen, sondern Rechtsanwalt Olav Sydow und die Volljuristin Sabine Finkenthei vom AKJ haben den Abgeordneten auch angeboten, die Organklage für klagewillige Abgeordnete kostenfrei durchzuführen. Und selbst der juristische Experte, Prof. Andreas Musil, den die Regierungsfraktionen im Sonderausschuss zur Anhörung eingeladen hatten, bestätigte die Rechtsauffassung des AKJ. Mehr noch: Er eröffnete zugleich auch dem Senat eine taktisch wichtige Verhaltensoption: Sollte der Verfassungsgerichtshof entscheiden, dass die Verträge und die Gewinngarantien das Budgetrecht des Parlaments verletzen, dann hat der Senat eine juristische Grundlage, um gegenüber den privaten Vertragspartnern seine Weigerung zur Erfüllung der Vertragspflichten verfassungsrechtlich zu begründen. Den schwarzen Peter hätten in diesem Fall die Privaten, die gegen den Senat klagen müssten.

Nun gehört es zum Polit-Poker, dass unliebsame Rechtsauffassungen durch Gegengutachten entkräftet werden. Allerdings ist auch das Gegengutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes kein Ersatz für eine gerichtliche Klärung offener Rechtsfragen. Und so wären alle Abgeordneten gut beraten, juristisch umstrittene Fragen von den zuständigen Gerichten klären zu lassen und die Unterstützung des AKJ anzunehmen.

Thomas Rudek ist Politikwissenschaftler & Privatisierungskritiker, Verfasser des Volksgesetzes, weiterführende Infos unter www.wasserbuerger.de. In der losen Reihe »Gastbeiträge zur Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe« schrieben bisher für »nd« am 21. August Harald Wolf (LINKE), am 27. August Heidi Kosche (Grüne), am 20. September Frank Hüesker (Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung.

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