Exodus

ITALY - Love It or Leave It von Hofer/Ragazzi

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 2 Min.

Noch bevor Griechenland zum Sorgenkind Europas wurde, bevor Spaniens Wirtschaft auch offiziell zu bröckeln begann und Italien in der Liste der Kandidaten auftauchte, die vielleicht demnächst Wirtschaftshilfe brauchen würden, hatten viele junge, gut ausgebildete, vielleicht auch noch schwule Italiener mit den Füßen abgestimmt und das Land verlassen. Luca Ragazzi und Gustav Hofer, die sich ihrem Land und seinen Haltungen zu Homosexualität und Homo-Ehe schon einmal in essayistisch-komödiantischer Weise genähert hatten (»Plötzlich letzten Winter« lief 2008 im Panorama der Berlinale), fragen sich nun besorgt, ob man in Italien überhaupt noch leben könne.

Gustav Hofer möchte wegziehen - nach Berlin. Als Südtiroler, beschwert sich sein Freund, der Römer ist und seine tägliche Fahrradfahrt am Colosseum vorbei nicht missen möchte, sei er ja ohnehin ein Italiener mit Akzent. Zur Klärung der Wegzugsfrage wollen sie sich erst mal im Lande umhören, ob die Lage denn wirklich so schlimm ist. Mit einem historischen Fiat 500 fahren sie deshalb erst im Modell auf einer bunten Italien-Karte, dann mit dem realen Wagen von Turin bis nach Kalabrien und befragen Menschen, die von der selben gesellschaftlichen Misere betroffen sind wie sie: Berlusconi, Krise, Krise, Berlusconi. Dass der inzwischen das Land nicht mehr regiert, macht wenig Unterschied, die Spätfolgen seiner Jahre an der Spitze sind im gelockerten Gefüge der Zivilgesellschaft an jeder Ecke zu spüren.

Sie stoßen auf Seen voller ungeklärter Abfälle, auf Schulen, in denen die Schüler ihr eigenes Klopapier mitbringen müssen, auf Fa-brikarbeiter, die nur dank elterlicher Unterstützung über die Runden kommen. Auf entlassene Arbeiter, deren Arbeitsplätze bereits nach Rumänien wanderten, der hohen Lohnnebenkosten wegen, und auf einstürzende Altbauten in den Ausgrabungen von Pompeji. Auf afrikanische Immigranten, die ohne fließendes Wasser in Abrisshäusern leben, während sie zu Dumpingpreisen Obst und Gemüse für Europa pflücken. Auf frauenfeindliche Werbung, rabiate Berlusconi-Anhänger, Müllberge in Neapel und Schutzgelderpressungen auf Sizilien. Und sind am Ende zwar bestürzt, aber auch wieder entzückt von der Schönheit ihres Landes, der auch die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse (noch) nicht viel anhaben konnten. Ein »Doku-Trip«, an dessen Ende zwar ein Umzug steht - aber vielleicht nicht unbedingt der nach Berlin.

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