Langer Marsch gen Westen

Wölfe waren hierzulande ausgerottet - jetzt leben wieder 150 Tiere in sechs Bundesländern

  • Torsten Richter, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Wölfe vergrößern ihren Lebensraum in Deutschland. Sie waren vor einigen Jahren aus Gebieten östlich der Neiße in die Lausitz eingewandert. Inzwischen sind sie auch in Niedersachsen angekommen.

Cottbus. Vor genau 200 Jahren erschien das Märchen vom Rotkäppchen und dem Wolf im ersten Band der Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm. Im 19. Jahrhundert wurden die Wölfe dann durch gezieltes Nachstellen in den deutschen Wäldern ausgerottet, doch inzwischen sind sie in mehr und mehr Gebieten Deutschlands wieder zu finden. Von der Lausitz in Brandenburg ziehen sie gen Westen. Jäger und Landwirte sehen diesen Trend skeptisch und befürchten massive Verluste bei Wild und Nutzvieh.

Lebte im Jahr 2000 lediglich ein Wolfsrudel in der Bundesrepublik, sind es aktuell bereits 16. Zu einem solchen Rudel gehören nach Angaben des brandenburgischen Wolfsexperten Reinhard Möckel im Schnitt acht Tiere. Deutschlandweit ergibt sich daraus eine Gesamtzahl von rund 120 bis 150 Wölfen. Wer in freier Natur tatsächlich auf den Graupelz stößt, braucht aus Sicht der Fachleute keine Angst zu haben, sondern darf sich glücklich schätzen. Die Chance, einen Wolf zu erblicken, sei so hoch wie ein Sechser im Lotto, erzählt Markus Bathen vom Naturschutzbund Deutschland.

Die Reviere der Raubtiere können schon mal bis zu 350 Qua-dratkilometer groß sein. Das entspricht in etwa der Fläche des Stadtstaats Bremen. Doch langsam wird in der Lausitz, in der nach Angaben des Kontaktbüros »Wolfsregion Lausitz« allein zwölf Rudel leben, der Platz knapp. Deshalb wandern die jungen Wölfe weiter - vorwiegend nach Nordwesten.

Seit dem Frühjahr 2012 ist ein Rudel in Niedersachsen ansässig. Per Fotofalle wurden in der Lüneburger Heide drei Welpen nachgewiesen. Das Rudel Munster-Nord, benannt nach dem dortigen Truppenübungsplatz, gilt zurzeit als das westlichste in Deutschland. Das könnte sich aber mittelfristig ändern. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) kalkuliert bundesweit mit rund 400 Wolfsfamilien. Experte Bathen hält 1000 Graupelze zwischen Oder und Rhein für realistisch. Als Lebensräume würden sich zahlreiche Gebiete mit Ausnahme der großen Städte sowie riesiger Feldfluren eignen.

Die Tiere wandern aber nicht nur aus dem Osten ein. Von Südwesten her sind ebenfalls Wölfe auf der Suche nach neuem Lebensraum. Nach Angaben des Kontaktbüros »Wolfsregion Lausitz« gehörte der im April 2012 im Westerwald illegal geschossene Wolf der Alpenpopulation an, die in Frankreich und Italien beheimatet ist. Experte Möckel rechnet damit, dass sich Tiere der Alpen- und der Lausitz-Population irgendwo in Deutschland treffen und paaren.

In Niedersachsen wird das Wolfsrudel, das erste in den alten Bundesländern, wohlwollend aufgenommen. »Mit der natürlichen Wiederansiedlung wird die frühere biologische Vielfalt wiederhergestellt«, sagt die Sprecherin des Umweltministeriums in Hannover, Silke Schaar . Andere Gremien sehen die Rückkehr des Wolfes eher mit Skepsis. »Mit der Zuwanderung sind auch Probleme verbunden«, heißt es in einem Positionspapier des Deutschen Jagdschutz-Verbandes (DJV).

Die Jäger fordern Pläne dafür, wie sie mit dem Wolf umgehen sollen. In Brandenburg ist solch ein Papier in Vorbereitung. Darüber hinaus sollten die Rudel dauerhaft beobachtet werden. Nur so könne Schäden vorgebeugt werden, heißt es. Der Sächsische Landesbauernverband fordert etwa von der Landesregierung, die Beweislast im Schadensfall umzukehren. Wird beispielsweise ein Schaf gerissen, müsste der Freistaat schlüssig nachweisen, dass der Wolf nicht der Verursacher war. Im Jahr 2011 wurden in Sachsen etwa 70 Schafe durch die Raubtierart gerissen.

Doch müssen Menschen keine Angst vor Wölfen haben, versichern die Experten. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges wurden laut Bathen europaweit nicht einmal zehn Menschen von einem solchen Tier getötet. In den allermeisten Fällen waren die angreifenden Wölfe krank (Tollwut) oder durch Menschen angefüttert worden. Treffe tatsächlich ein Wanderer im Wald auf einen Wolf, ergreife das Tier sofort die Flucht, erklärt Bathen. Oftmals bleibt nicht mal mehr die Zeit, um die Kamera für ein Beweisfoto zu zücken.

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