Ideale und Traumata

Die Zweite Generation: Kinder von Widerstandskämpfern und Emigranten

  • Suzanna Kupfermann
  • Lesedauer: 3 Min.

Endlich reden wir miteinander, war zu hören. Unter den über hundert Teilnehmern eines Kolloquiums vergangenes Wochenende in Berlin waren zahlreiche Nachfahren von Widerstandskämpfern in Deutschland und im Exil. Die Angehörigen der sogenannten Zweiten Generation, ein Begriff, der Differenzen nicht andeutungsweise abbildet, brachten ihre Familiengeschichten mit - die Geschichte ihrer Mütter und Väter, von in der Zeit des Hitlerfaschismus Verfolgten, Vertriebenen, Verhafteten, Gefolterten, Hingerichteten, Emigranten, Spanienkämpfern, Kämpfern in alliierten Armeen oder im Untergrund.

Die nunmehr selbst in die Jahre gekommenen »Kinder« erinnerten sich erneuter Ausgrenzung ihrer kommunistischen und/oder in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) organisierten Eltern im Nachkriegswestdeutschland. In der DDR waren Widerstandskämpfer und Verfolgte des Naziregimes geachtet und übernahmen, sofern sie nicht an sich selber, an stalinistischen oder anderen Rankünen scheiterten, häufig führende Positionen, was wenig Zeit und Kraft für die Kinder ließ. Der Erwartungsdruck, den heroischen Eltern zu entsprechen, überforderte jene vielfach. Verschwiegene biografische Brüche und traumatische Erfahrungen der Eltern, Verluste und Zweifel in den politische Auseinandersetzungen des Kalten Krieges konnten bei den Kindern zuweilen Identitätskrisen auslösen. Die komplizierten Lebenswege der Eltern entsprachen oft nicht der parteioffiziellen Geschichtsschreibung. Aus Schutz-, Scham- und Schmerzgründen unterlassene offene Eltern-Kind-Gespräche schürten Generationskonflikte.

Darüber nunmehr offen zu reden, war das Anliegen des von der Berliner VVN/BdA mit Unterstützung der Hellen Panke ausgerichteten zweitägigen Kolloqiums. Hans Coppi sprach von seinem Verlust als Sohn hingerichteter Hitlergegner. Andrée Fischer-Marum erzählte über seinen Großvater, der als jüdischer SPD-Reichstagsabgeordneter 1934 ermordet wurde, und von seinen kommunistischen Eltern, die über Frankreich nach Mexiko emigriert, mit zwei Kindern in die Heimat zurückgekehrt und in der DDR als »Sympathisanten« von Noel H. Field in die »Säuberungen« der frühen 50er Jahre geraten waren. Alice Czyborra, geborene Gingold, reflektierte, wie in der Bundesrepublik zu gleicher Zeit jüdische Kommunisten verwaltungstechnisch gemaßregelt, denunziert und verfolgt wurden.

Auch Wissenschaftler kamen zu Wort. Dieter Nelles, Armin Nolzen und Heinz Sühnker berichteten über ihre Befragung von über 200 »Kindern des Widerstands« in Wuppertal. Das Projekt dokumentiert die Folgen elterlicher Haft auf die Lebenswege der Nachfahren nach. Manche »Kinder« verweigerten sich nach 1945 jeder Form politischer Arbeit, andere, wie Christa Bröcher und Klara Tuchscherer, geborene Schabrodt, lebten die Ideale der Eltern weiter. Irene Fick und Merilyn Moos aus London informierten über Netzwerke der »second generation«, die Kinder von nicht nach Deutschland zurückgekehrten, zumeist jüdischen Emigranten zur gegenseitigen Hilfe und Kommunikation gegründet haben. Aus Wien berichtete Helene Maimann über die jüdisch-sozialistische »Kinderjause«, ein Forschungsprojekt über sozial und politisch engagierte Emigrantenkinder. Irene Runge sprach über die Mitte der 80er Jahre in Ostberlin entstandene jüdische Selbstfindungsgruppe säkularer Nachfahren politischer jüdischer Emigranten und Holocaustüberlebender, aus der 1989 der Jüdische Kulturverein Berlin hervorging. Wolfgang Herzberg wiederum untersuchte Grundmuster des mentalen Erbes und wies auf systemimmanente politische, kulturelle und psychologischen Barrieren, die Eltern- wie auch Kindergeneration beschädigten, was die Gesellschaft nicht zur Kenntnis nahm. Micha Brumlik und Irene Dieckmann stellten ihre Forschungen über im Westexil Geborene vor, über biografische Besonderheiten sowie Anpassungen und Aneckung im veränderten gesellschaftlichen Klima in der DDR.

Der Tagung waren Kolloquien über das Sowjetexil und das verordnete Schweigen über Stalins Terror aus eigener oder elterlicher Erinnerung vorausgegangen. Oswald Schneidratus, der jener Zweiten Generation angehört, plädierte für ein Zusammenbringen der unterschiedlichen Erinnerungsstränge und sprach sich, wie auch andere Teilnehmer, gegen eine Opferhierarchisierung aus.

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