»Bruderland ist abgebrannt«

Veranstaltungsreihe zu Fremdsein in der DDR sorgt für Diskussionen

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war einer ihrer ersten Schultage. Die kleine Angelika wurde von Mitschülern in eine Ecke gedrängt und dann sangen sie mit den Fingern in ihre Richtung abfällig ein Chinesenlied. Das dauerte nur wenige Minuten. »Dann war alles wieder vorbei und ich war eine ganz normale Mitschülerin«, erzählt Angelika Nguyen im Zentrum für Demokratie in Schöneweide.

Nguyen, Jahrgang 1961, wuchs innerhalb ihrer Generation als eines der wenigen binationalen Kinder im Osten Berlins auf. Der Vater kam aus Vietnam und hatte nur dank der Hartnäckigkeit ihrer Mutter in die DDR einreisen dürfen. Dass Kinder sie »Mischling« schimpften, gehörte zu ihrem Alltag. Auch, dass sie durch die Straßen gehetzt wurde. Aber auch, dass ihre Mutter und Lehrerinnen sich öffentlich damit auseinandersetzten und der Hetzjagd ein Ende bereiteten.

»Bruderland ist abgebrannt«, heißt die Reihe im Zentrum für Demokratie, die sich mit Fremdheitserfahrung, Vertragsarbeitern, Antisemitismus und Nazis in der DDR beschäftigt. Diese Woche ging es ums Fremdsein. Die rund 40 Zuhörer hörten den Referenten aufmerksam zu, die von ihren Erfahrungen als binationale Kinder in der DDR und von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen berichteten.

Das war nicht immer so bei der Reihe, die Anfang September begann. Auftaktveranstaltung war die Eröffnung einer Wanderausstellung zur Geschichte der Vertragsarbeiter in der DDR, einer Ausstellung, die seit 2008 durch Berlin, Sachsen und Thüringen tourt und bisher immer positiv besprochen wurde. Doch hier hatte die Arbeitsgemeinschaft Cuba sí der Linkspartei Protest mobilisiert. Etwa 30 Leute folgten dem Aufruf, darunter frühere Mitglieder des ZK der SED oder des Staatssekretariats für Arbeit und Löhne. Sie störten sich an der Ausstellungsankündigung. Dort war die Rede von der »maroden DDR-Wirtschaft« und »billigen Arbeitskräften auf Zeit«. Nicht von Solidarität. Das widersprach ihren Erfahrungen.

»Die haben die Ausstellung gar nicht richtig angeguckt, sondern gleich losgebrüllt«, erinnert sich eine Teilnehmerin. Tamara Hentschel vom Verein Reistrommel, die als Referentin geladen war, fühlte sich von der Art der Diskussion geradezu überrollt. »Die Diskutanten haben nichts anderes gelten lassen als ihre vorgefassten Meinungen und Fakten auf ironische und unsachliche Weise ignoriert«, sagt sie. Klaus Lederer, Landeschef der LINKEN, und der Bezirksverband Treptow-Köpenick hatten sich trotz Kritiken aus Teilen der Mitgliedschaft hinter die Veranstaltungsreihe gestellt.

Das Zentrum für Demokratie lud wegen des Diskussionsbedarfes zu einer zusätzlichen Veranstaltung ein. Hier wurde sachlicher darüber diskutiert, ob der Einsatz der Vietnamesen, Mosambikaner, Angolaner und Kubaner in der DDR ein solidarischer Akt war oder ob damit personelle Lücken in der DDR-Wirtschaft gestopft wurden.

Mehrere Redner zitierten aus einst geheimen ZK-Protokollen. Daraus ging beispielsweise hervor, dass Mosambikaner mit einem Teil ihres Einkommens Schulden ihres Herkunftslandes bei der DDR abzahlen mussten oder dass schwangere Vertragsarbeiterinnen ausreisen mussten. Ausbildungen erhielten Vertragsarbeiter zwar zu Beginn der 80er Jahre. Ab 1985 war das aber die absolute Ausnahme.

Der Historiker Patrice Poutrus, als Kind einer deutsch-sudanesischen Familie in der DDR aufgewachsen, versuchte, die Widersprüche zwischen dem Geschichtsbild und den Erfahrungen Einzelner zu erläutern: Geschichtswissenschaft habe die Aufgabe, historische Zusammenhänge zu erklären. »Ihre Aufgabe ist es nicht, dass sich Zeitzeugen in ihren Erfahrungen bestätigt fühlen. Wer mit diesem Anspruch an Geschichtsschreibung hergeht, wird immer enttäuscht sein.« Das Argument, es gäbe etwas nicht, weil Zeitzeugen das nicht erlebt hätten, sei irreführend. »Es gab in der DDR Schändungen jüdischer Friedhöfe. Es gab Gewalt gegen Fremde. Es gab binationale Familien. Und es gab Menschen, die das alles nicht wussten.«

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