Klassisch bis improvisiert

Das 49. JazzFest Berlin lädt vom 1. bis 4.November zu Konzerten ein

  • Hans John
  • Lesedauer: 4 Min.

An vier Tagen und Nächten, von Donnerstag bis Sonntag, unter Mitwirkung von 26 Gruppen, findet in diesem Jahr die 49. Ausgabe des JazzFest Berlin an vier Auftrittsorten statt. Bert Noglik, neuer künstlerischer Leiter, verweist stolz auf drei Projekte, die im Haus der Berliner Festspiele ihre Uraufführung erfahren werden.

2008 war das K.o.-Jahr für die Free Music Production (FMP), die seit 1968 parallel zum JazzFest die freien Spielweisen des Jazz nach Art eines Workshop vorstellte. Denn die Senatsverwaltung für kulturelle Angelegenheiten bewilligte lediglich einen symbolischen Gesamtzuschuss von 3600 Euro. Noglik möchte daher zumindest bruchstückhaft frei improvisierte Musik in Form von Duo-Auftritten in der Akademie der Künste anbieten. Abgesehen von gestandenen Musikern wie Schlagzeuger Han Bennink sind Nachwuchskünstler, wie Silke Eberhard und Alex Huber auch dabei.

Doch ebenso möchte der künstlerische Leiter Jazz in Verquickung mit anderen Künsten vorstellen, zweier Wegbereiterinnen des europäischen und amerikanischen Jazz gedenken lassen, und den musikalischen Einfluss türkischer und arabischer Migranten berücksichtigen. Das geschieht durch Gruppen wie Lab-e-Darya und Masaa. Leider sind deren Auftritte im A-Trane bereits hoffnungslos ausverkauft.

Erhält der Schweizer Schlagzeuger und Bandleader Pierre Favre Gelegenheit, sich in zwei Gruppen vorzustellen, so tritt der Posaunist Nils Wogramm sogar mit vier unterschiedlichen Formationen im Quasimodo auf. Auch der studio- und fernsehbekannte Schlagzeuger Manu Katche oder die maßgeblichen Euro-Klarinettisten Rolf Kühn, Michel Portal und Louis Sclavis fehlen nicht. Unverständlich ist allerdings, warum hierbei Theo Jörgensmann übergangen wurde.

Für JazzFest-Neuzugänge, also Marius Neset oder Christian Brückner, gibt es ebenfalls Platz, und mit »Julianes Wilde Bande«, ein früh-sonntägliches Jazz-Kinderprogramm.

Die drei JazzFest-Projekte reflektieren ein tragisch-künstlerisches Schicksal und zwei politisch-musikalische Betrachtungen. Die Pianistin Jutta Hipp, anerkannter deutscher Jazzstar, ging 1955 in die USA. Als erste weiße Instrumentalistin und dazu noch Europäerin spielte sie auf dem Blue Note Label erfolgreich mehrere LP ein. Beständiges Lampenfieber, Alkoholmissbrauch und Probleme in den zwischenmenschlichen Beziehungen ließen sie ab 1958 der Bühne entsagen. Nie wieder spielte sie Klavier, arbeitete als Näherin, zeichnete, und schrieb Gedichte - siehe hierzu äußerst eindrucksvoll das kostenlose Programmheft. Sie verstarb im Jahre 2003. Miles Davis in den 50er Jahren nach ihr befragt, erklärte: »Diese Deutsche kann richtig Klavier spielen.« Die Jutta-Hipp-Hommage besorgen die Pianistin Julia Hülsmann und Rolf Kühn. Auf dessen Wunsch wurde der Tenorsaxofonist Joe Lovano angeheuert.

»Songs for Kommeno« basiert auf Erfahrungen, die Schlagwerker, Bandleader und Komponist Günter Baby Sommer in einem griechischen Dorf machte. 1943 hatte die deutsche Wehrmacht dort 317 Bewohner ermordet. Sommer fordert musikalisch zum Gedenken auf, zusammen mit dem griechischen Saxofonisten Floros Floridis und der großartigen Vokalistin Savina Yannatou, die am 10.10. bei »Music 'n' Migration« so zu begeistern vermochte. Warum die US-griechische Vokalistin Diamanda Galas, eine Spezialistin für experimentellen und tragischen Gesang, in diesem Zirkel fehlt, bleibt ein Rätsel.

Spielte das Bass-Saxofon-Quartett Deep Schrott auf der Vorveranstaltung zum JazzFest Bearbeitungen von Dylan- und Eisler Songs, so hat das deutsch-dänisch-französische Trio Das Kapital nur Eisler-Kompositionen im Programm. Doch dafür gesellt sich »Manic Cinema« zu der Combo, also die Filmemacher Nicolas Humbert und Martin Otter, deren Filmbilder die Improvisationen begleitend kontrastieren oder untermalen werden. Das fantastische Geri Allen Trio, außer der Jazzprofessorin am Piano sind Reggie Workman am Kontrabass und Schlagzeuger Andrew Cyrille zu erleben, setzt sich musikalisch mit dem Einfluss von Mary Lou Williams auseinander. Sie öffnete das Jazzgeschäft für Frauen, kam aus der Ragtime- und Stride-Tradition und eignete sich die Modern-Jazz-Harmonik an.

Der verstorbene Enja-Records-Produzent Horst Weber erzählte, dass er Archie Shepp in München in den 70er-Jahren in einem Plattenladen getroffen habe, als er eine Mary Lou Williams Einspielung kaufte. Auf seine Frage warum, antwortete der damals zornige junge schwarze Free-Jazzer, der den Rassismus in den USA anprangerte: »Ich hatte bisher nie Zeit, meine musikalische Vergangenheit kennenzulernen.« Beim JazzFest 2012 tritt Tenorsaxofonist Archie Shepp u.a. mit Amina Claudine Myers am 3.11. auf. Für eine Zusammenarbeit mit Geri Allen, die sich auf Mary Lou Williams spezialisiert hat und gleichviel mit dem Stepptänzer Maurice Chestnut gebucht wurde, reichte die Zeit leider nicht. Abgesehen von Joe Lavano und Archie Shepp ist das lang ersehnte Konzert des dritten Tenorsaxofonisten Wayne Shorter schon lange ausverkauft.

Konzerte: 1.-4. November, unterschiedliche Anfangszeiten, an vier Auftrittorten, mehr unter 25 48 90 oder im Internet bei: www.berlinerfestspiele.de

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