Das Vietnam-Syndrom ist lebendig

Mark Solomon: Mehrheit in den USA sieht keine Alternative zum Krieg

Mark Solomon, Professor für Geschichte, ist Führungsmitglied der linken »Committees of Correspondence« (Komitees der Übereinstimmung). Die Organisation wurde 1994 gegründet, überwiegend von ausgetretenen beziehungsweise ausgeschlossenen Mitgliedern der KP der USA. Sie treten für eine radikale Transformierung des gegenwärtigen gesellschaftlichen Systems ein und sind Teil der USA-Friedensbewegung.

ND: Der Krieg gegen Afghanistan dauert über einen Monat. Gibt es in der US- amerikanischen Öffentlichkeit einen Stimmungswandel oder herrscht weiter überwältigende Zustimmung?
Direkt nach den Anschlägen war eine überwältigende Mehrheit bereit, dem Präsidenten einen Freibrief für Aktionen gegen den Terrorismus zu geben. Auch den Bombardierungen stimmen laut Umfragen über 80 Prozent der Bevölkerung zu, aber nicht mit Enthusiasmus, sondern weil keine Alternative dazu gesehen wird. Wie lange die Zustimmung so halten wird, ist aber fraglich. Denn die Bombardierungen schwächen vielleicht die Taleban, aber sie sind sicher kein glaubwürdiger Versuch, ein Terroristennetzwerk zu treffen, das sich auf der ganzen Welt ausgebreitet hat. Und sie helfen wohl auch nicht, um bin Laden zu fangen.

ND: Spielt das so genannte Vietnam-Syndrom eine Rolle in der öffentlichen Diskussion - die Angst vor massiven Verlusten an eigenen Soldaten im Falle eines Bodenkrieges?
Das Vietnam-Syndrom ist nicht tot. Die Sorge, dass viele Soldaten in den Krieg gezogen werden, besteht durchaus, noch vielmehr, weil Afghanistan als ein Land bekannt ist, in dem fremde Truppen immer sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben - Briten, Russen, wer auch immer. Der Einsatz von Bodentruppen könnte einen Stimmungswandel bewirken.
Abgesehen davon, ist die US-amerikanische Öffentlichkeit immer noch tief geschockt darüber, dass zum ersten Mal seit dem Bürgerkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts US-amerikanische Zivilisten sozusagen im Kampf gefallen sind - als Folge einer kriegerischen Aktion. Das Gefühl der nationalen Krise führt zum Beschwören patriotischer Werte, zu Demonstrationen, zu dem Schwenken von Flaggen. Ich halte das aber nicht für einen Ausdruck von Chauvinismus oder für Kriegsgeheul.

ND: Also eher eine psychologische Reaktion auf die Ereignisse?
Exakt. Der einfache Wunsch nach einem Gefühl von Gemeinschaft. Aber gleichzeitig herrscht ein sehr rigides politisches Klima. Die Bush-Administration stellt klar, dass jetzt nicht die Zeit für Kritik ist, für das Infragestellen des Supermachtdenkens, für die Ablehnung der Bombardierungen. Alle, die Kritik äußern, werden als unpatriotisch beschuldigt. So sind die oppositionellen Demokraten sehr still, auch jene sagen nichts, die nicht mit der Bush-Politik übereinstimmen.

ND: Wie stehts um die Friedensbewegung?
Sie hat es schwer. Dennoch hat sie sich gut entwickelt, schneller als das beim Vietnam-Krieg der Fall war. Damals hat es drei bis vier Jahre gedauert, bis sich die Friedensbewegung organisiert hatte. Schon kurz nach dem 11. September gab es auf mehr als hundert Universitätsgeländen Demonstrationen, die sich gegen eine militärische Reaktion wandten. Doch die Friedensbewegung steht vor dem Problem, mit ihrem Anliegen an die breite Öffentlichkeit durchzudringen, weil sie aus deren Sicht keine glaubwürdige, kurzfristige Alternative bieten kann. Die Menschen haben ganz einfach Angst vor dem Terrorismus - insbesondere vor dieser Form des Terrorismus. Sie argumentieren, sie hätten selbst in einem der Flugzeuge sitzen oder in einem der Gebäude sein können. Die Friedensbewegung hat, glaube ich, weltweit derzeit Schwierigkeiten, mit Überzeugung darzustellen, dass es einen friedlichen Weg der Terrorismusbekämpfung geben kann, einen, der auf diplomatische Mittel und den Weg der internationalen, politischen Kooperation setzt, der die Geldquellen kappt, eine breite geheimdienstliche Zusammenarbeit bewirkt und an die Wurzeln des Terrorismus geht. Viele sehen durchaus ein, dass man langfristig eine andere Politik fahren muss, trotzdem sehen sie kurzfristig keine Alternative zu militärischen Mitteln.

ND: Welche Argumente setzt denn die Friedensbewegung dieser kurzfristigen Logik entgegen?
Erst einmal machen wir deutlich, dass wir natürlich auch strikt den Terror bekämpfen wollen - nur mit anderen Mitteln. Das Hauptargument gegen den Krieg ist, dass ihm die afghanische Zivilbevölkerung zum Opfer fällt. In Kanada soll es Schläfer geben, in Hamburg und an vielen anderen Orten der Welt - sollen die alle bombardiert werden? Der Krieg trifft in erster Linie nicht das weltweite terroristische Netzwerk. Ein weiteres Argument ist die fragile Situation in Pakistan, einer Atommacht. Der Krieg sorgt dort für eine weitere Destabilisierung mit unabsehbaren Folgen. Inzwischen hat sich das Mitleid der Bevölkerung durchaus von den Terroropfern in den USA zu der Zivilbevölkerung in Afghanistan verschoben.

ND: Rechnen Sie mit weiteren Terrorschlägen und würden diese nicht die Argumentation der Friedensbewegung entkräften?
Ja, wir befürchten neue Anschläge und dann wird es für die Friedensbewegung noch schwerer. Doch wir werden weiter versuchen, Überzeugungsarbeit zu leisten.

Fragen: Martin LingND: Der Krieg gegen Afghanistan dauert über einen Monat. Gibt es in der US- amerikanischen Öffentlichkeit einen Stimmungswandel oder herrscht weiter überwältigende Zustimmung?
Direkt nach den Anschlägen war eine überwältigende Mehrheit bereit, dem Präsidenten einen Freibrief für Aktionen gegen den Terrorismus zu geben. Auch den Bombardierungen stimmen laut Umfragen über 80 Prozent der Bevölkerung zu, aber nicht mit Enthusiasmus, sondern weil keine Alternative dazu gesehen wird. Wie lange die Zustimmung so halten wird, ist aber fraglich. Denn die Bombardierungen schwächen vielleicht die Taleban, aber sie sind sicher kein glaubwürdiger Versuch, ein Terroristennetzwerk zu treffen, das sich auf der ganzen Welt ausgebreitet hat. Und sie helfen wohl auch nicht, um bin Laden zu fangen.

ND: Spielt das so genannte Vietnam-Syndrom eine Rolle in der öffentlichen Diskussion - die Angst vor massiven Verlusten an eigenen Soldaten im Falle eines Bodenkrieges?
Das Vietnam-Syndrom ist nicht tot. Die Sorge, dass viele Soldaten in den Krieg gezogen werden, besteht durchaus, noch vielmehr, weil Afghanistan als ein Land bekannt ist, in dem fremde Truppen immer sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben - Briten, Russen, wer auch immer. Der Einsatz von Bodentruppen könnte einen Stimmungswandel bewirken.
Abgesehen davon, ist die US-amerikanische Öffentlichkeit immer noch tief geschockt darüber, dass zum ersten Mal seit dem Bürgerkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts US-amerikanische Zivilisten sozusagen im Kampf gefallen sind - als Folge einer kriegerischen Aktion. Das Gefühl der nationalen Krise führt zum Beschwören patriotischer Werte, zu Demonstrationen, zu dem Schwenken von Flaggen. Ich halte das aber nicht für einen Ausdruck von Chauvinismus oder für Kriegsgeheul.

ND: Also eher eine psychologische Reaktion auf die Ereignisse?
Exakt. Der einfache Wunsch nach einem Gefühl von Gemeinschaft. Aber gleichzeitig herrscht ein sehr rigides politisches Klima. Die Bush-Administration stellt klar, dass jetzt nicht die Zeit für Kritik ist, für das Infragestellen des Supermachtdenkens, für die Ablehnung der Bombardierungen. Alle, die Kritik äußern, werden als unpatriotisch beschuldigt. So sind die oppositionellen Demokraten sehr still, auch jene sagen nichts, die nicht mit der Bush-Politik übereinstimmen.

ND: Wie stehts um die Friedensbewegung?
Sie hat es schwer. Dennoch hat sie sich gut entwickelt, schneller als das beim Vietnam-Krieg der Fall war. Damals hat es drei bis vier Jahre gedauert, bis sich die Friedensbewegung organisiert hatte. Schon kurz nach dem 11. September gab es auf mehr als hundert Universitätsgeländen Demonstrationen, die sich gegen eine militärische Reaktion wandten. Doch die Friedensbewegung steht vor dem Problem, mit ihrem Anliegen an die breite Öffentlichkeit durchzudringen, weil sie aus deren Sicht keine glaubwürdige, kurzfristige Alternative bieten kann. Die Menschen haben ganz einfach Angst vor dem Terrorismus - insbesondere vor dieser Form des Terrorismus. Sie argumentieren, sie hätten selbst in einem der Flugzeuge sitzen oder in einem der Gebäude sein können. Die Friedensbewegung hat, glaube ich, weltweit derzeit Schwierigkeiten, mit Überzeugung darzustellen, dass es einen friedlichen Weg der Terrorismusbekämpfung geben kann, einen, der auf diplomatische Mittel und den Weg der internationalen, politischen Kooperation setzt, der die Geldquellen kappt, eine breite geheimdienstliche Zusammenarbeit bewirkt und an die Wurzeln des Terrorismus geht. Viele sehen durchaus ein, dass man langfristig eine andere Politik fahren muss, trotzdem sehen sie kurzfristig keine Alternative zu militärischen Mitteln.

ND: Welche Argumente setzt denn die Friedensbewegung dieser kurzfristigen Logik entgegen?
Erst einmal machen wir deutlich, dass wir natürlich auch strikt den Terror bekämpfen wollen - nur mit anderen Mitteln. Das Hauptargument gegen den Krieg ist, dass ihm die afghanische Zivilbevölkerung zum Opfer fällt. In Kanada soll es Schläfer geben, in Hamburg und an vielen anderen Orten der Welt - sollen die alle bombardiert werden? Der Krieg trifft in erster Linie nicht das weltweite terroristische Netzwerk. Ein weiteres Argument ist die fragile Situation in Pakistan, einer Atommacht. Der Krieg sorgt dort für eine weitere Destabilisierung mit unabsehbaren Folgen. Inzwischen hat sich das Mitleid der Bevölkerung durchaus von den Terroropfern in den USA zu der Zivilbevölkerung in Afghanistan verschoben.

ND: Rechnen Sie mit weiteren Terrorschlägen und würden diese nicht die Argumentation der Friedensbewegung entkräften?
Ja, wir befürchten neue Anschläge und dann wird es für die Friedensbewegung noch schwerer. Doch wir werden weiter versuchen, Überzeugungsarbeit zu leisten.

Fragen: Martin Ling

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