Ein fast unbegreiflicher Irrtum

Der Streit um Nofretete - ein Buch und eine Ausstellung klären auf

  • Ronald Sprafke
  • Lesedauer: 4 Min.

Internationale Kunstikone oder zwischenstaatlicher Zankapfel, Opfer von Betrug oder Objekt eines bilateralen Vertrages - nur wenige Kunstwerke polarisieren wie die Porträtbüste von Nofretete.

Im Dezember 1912 von Ludwig Borchardt im mittelägyptischen Tell el-Amarna ausgegraben, kam sie durch Fundteilung nach Berlin. 1924 erstmals öffentlich gezeigt, wurde sie zur Sensation und zugleich zum Streitobjekt. Rückgabeforderungen wies die deutsche Seite stets als grundlos zurück. Doch was ist dran an diesem zählebigen deutsch-ägyptischen Restitutionskonflikt? Die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy hat diesen anhand neu entdeckter Dokumente kritisch hinterfragt.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts kämpften die europäischen Mächte nicht nur um Kolonien, Rohstoffe und Absatzmärkte, sondern auch um archäologische Grabungsplätze und Kunstschätze. Frankreich beanspruchte die Ägyptologie als »patrimoine moral«, als moralisches Erbe, für sich - hatte doch Napoleons »Ägyptische Expedition« 1798 bis 1801 diese quasi begründet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stand Ägypten aber unter britischer Verwaltung. Die Überwachung der Altertümer war zwar noch Sache der französischen Altertümerverwaltung, doch drohte diese letzte Vormachtstellung an England und Deutschland verloren zu gehen.

Ein Erlass von 1891 legte fest, dass alle Grabungsfunde in Ägypten von Rechts wegen dem Staat gehörten; aber »in Anbetracht der Ausgaben, die der Ausgräber hatte, (überlässt) die Regierung diesem einen Teil der gefundenen Altertümer«. Diese sollten »in zwei Teile von gleichem Wert« geteilt werden. Der französische Archäologe und Direktor der Antikenverwaltung Gaston Maspero setzte jedoch mehr auf »gütliche Einigung«.

Im Juni 1912 wurde von den Briten ein neues Antikengesetz verabschiedet, das eine strenge Kontrolle der Fundteilung forderte. Maspero lehnte es ab. Davon nun blieb die Teilung der Funde von Amarna am 20. Januar 1913 nicht unberührt.

Maspero schickte seinen Vertreter Gustave Lefebvre. Zwei Objekte wurden als gleichwertig angesehen: der »bunte Kopf einer Prinzessin«, die berühmte Nofretete, und ein bemalter Klappaltar. Erstere erhielt Berlin, letzterer blieb in Kairo. »Wir teilten par distance und nach Photographien«, schrieb Borchardt, der sehr wohl die Bedeutung der Büste erkannt haben dürfte, sich aber wohl nicht genötigt fühlte, die andere Seite darauf hinzuweisen.

Kurz vor Kriegsausbruch trat Maspero zurück. Neuer Direktor in Kairo wurde sein Schüler Pierre Lacau, der als streitsüchtig und deutschfeindlich galt. Er sah seine Aufgabe darin, »die boches in Ägypten loszuwerden«. Dem Kriegsgegner Deutschland wurde die Grabungskonzession entzogen. Als Borchardt im April 1925 für das Deutsche Archäologische Institut (DAI) eine neue Grabungserlaubnis beantragte, wurde sie ihm von der französischen Altertümerverwaltung verweigert und mit der Forderung nach Berichtigung »eines eindeutigen Irrtums«, der Fundteilung von 1913, verknüpft. Im persönlichen Nachlass Lacaus fand Bénédicte Savoy nun die Akte »Tête Nefertiti« mit 24 Dokumenten von 1925 bis 1931 zu Restitutionsforderungen. Da findet sich das Bekenntnis von Lacau hinsichtlich Nofretete, man habe »die wahre Bedeutung dieses einzigartigen Stückes nicht erkannt«. Und er gestand: »Es handelt sich also um unseren Fehler. Ich gebe zu, daß rechtlich gesehen nichts zu machen ist und daß die Forderung keine rechtliche Grundlage hat. Tatsächlich ist die Frage gänzlich moralischer Natur.«

Anfang 1929 schien das deutsche Feindbild Lacaus aufzuweichen. Mit dem Direktor des Ägyptischen Museums in Berlin, Heinrich Schäfer, verständigte er sich darin, dass die Teilung 1913 nicht das Ergebnis »unzulässiger Machenschaften«, sondern eines »fast unbegreiflichen Irrtums bei den teilenden Archäologen« gewesen sei. Anfang 1930 schien eine Übereinkunft in greifbare Nähe gerückt: Kairo sollte den Klappaltar behalten und Nofretete erhalten, Berlin sollte zwei Statuen zum Ausgleich bekommen, zudem sollte die Grabungssperre gegen das DAI aufgehoben werden. Doch dem stand eine scharfe Pressekampagne in Deutschland entgegen, »die bereits das ganze Repertorium von Argumenten ausbreitet, die noch heute zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Berichterstattung beherrschen«, bemerkt Bénédicte Savoy. Sie richtete sich nicht gegen die Franzosen, sondern gegen die schuld- und machtlosen Ägypter. Mitte 1930 versagte Berlin dem Tausch die Zustimmung. Damit endete Lacaus Akte »Tête Nefertiti« und die erste Etappe im Restitutionsstreit.

Nach der Ausrufung der Republik durch Gamal Abdel Nasser 1953 übernahm die ägyptische Altertümerverwaltung die nationalen Kulturschätze und »damit auch ein äußerst kompliziertes deutsch-französisches Erbe«, schreibt Bénédicte Savoy.

Am kommenden Freitag wird im Ägyptischen Museum in Berlin die Ausstellung »Im Lichte von Amarna. 100 Jahre Fund der Nofretete« eröffnet. Sie erinnert an die 17-jährige Regierungszeit Echnatons und seiner Gemahlin, an Kunst, Kult und Religion, Arbeit und Alltag um 1430 v. Chr. in deren neuer Hauptstadt Achet-Aton, heute Amarna. Es werden 600 der durch die Fundteilung nach Berlin gelangten über 5000 Objekte zu sehen sein, Gefäße, Schmuck, Glas und Metallarbeiten sowie 300 Funde aus der Werkstatt des Bildhauers Thutmosis. Dazu gehört eine bemalte, teilvergoldete, leider beschädigte Modellbüste Echnatons, in der Borchardt dennoch ein gleichwertiges Pendant zur Nofretete-Büste sah. Und natürlich widmet sich die Ausstellung auch der Grabungs- und Fundteilungsgeschichte. Präsentiert werden das offizielle Fundteilungsprotokoll und das Grabungstagebuch. Der Besucher kann darin digital blättern und Borchardts berühmte Notiz zur Nofretete lesen: »Beschreiben nutzt nichts, ansehen.«

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal
Mehr aus: