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Der Ankläger

»Harlans Kinder« in der Vierten Welt nähert sich dem Sohn des »Jud Süß«-Regisseurs

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
Thomas Harlan ist der Sohn von »Jud Süß« - Regisseur Veit Harlan. Er hat seinen Vater konsequentest zur Rede gestellt über dessen Verantwortung im nationalsozialistischen Staat. Die Veranstaltungsreihe »Harlans Kinder« in Berlin begibt sich auf die Spuren von Thomas Harlan.

Der wichtigste Satz fiel schon zu Beginn. »Thomas Harlan ist ein Gigant, denn es gab keine Lücke zwischen Reden und Handeln«, schoss es spontan aus einem Gast der Auftaktsession der Veranstaltungsreihe »Harlans Kinder« in der Vierten Welt am Sonntag heraus. Und tatsächlich ist Thomas Harlan - mit Geist, Anmut und Esprit gesegneter Sohn eines talentierten Schauspielers und Regisseurs der 20er und 30er Jahre - die Person, die wohl am konsequentesten, schonungslosesten und hartnäckigsten den eigenen Vater zur Rede stellte über dessen Verantwortung im nationalsozialistischen Staat. Sein Vater Veit Harlan war der Regisseur des antisemitischen Films »Jud Süß«. Dessen Vertrieb wurde in Nazizeiten von offizieller Seite - in Person von Propagandaminister Joseph Goebbels - massiv unterstützt. Wegen seiner offenbar außerordentlichen Hetzwirkung darf er in der Bundesrepublik nur in Ausnahmefällen gezeigt werden.

Harlan senior galt wegen seiner Dienstfertigkeit gegenüber dem Regime als noch finsterer als der in Klaus Manns »Mephisto«-Figur beschriebene Theatermann Gustav Gründgens. Harlan junior, von Gottfried Benn in jungen Jahren als ein herausragendes Talent gefeiert, trug zeitlebens an der Last, einen solchen Mann als Vater zu haben. Er besichtigte früh die Schauplätze der Massenvernichtung, die man als konsequente Verlängerung der Quintessenz des väterlichen Films betrachten könnte. Er betrieb akribische Recherchen zu den Dreharbeiten von »Jud Süß«. Er rückte aber auch den konkreten Ingenieuren der Massenvernichtung, denen etwa, die die Vergasungsanlagen installierten, auf den Leib.

Eine Zeit lang verließ er angewidert Deutschland und stellte den Gebrauch der deutschen Sprache komplett ein. Thomas Harlan klagte seinen Vater an. Anders als andere, eher selbstgerechte Ankläger bekannte er sich aber auch zur Liebe zu diesem Vater. Er überhöhte ihn. Und er arbeitete als Künstler mit ihm zusammen. 1954/55 drehte er mit ihm in Japan einen Film über Richard Sorge. Der hatte Stalin rechtzeitig über die Angriffspläne Hitlers in Kenntnis gesetzt. Seine Warnung war aber in den Wind geschlagen worden. Weil in dem Film historisch korrekt die Kriegseröffnung gegen die Sowjetunion als Angriffskrieg beschrieben wurde, wurde dieses Produkt von Harlan & Harlan in der Bundesrepublik verboten.

Thomas Harlan muss Veit als Künstler geschätzt haben. Man darf auch annehmen, dass das luxuriöse Leben, den der einstige Erfolg des Vaters erlaubte, dem jungen Harlan sehr wohl gefiel. Man sieht das blonde Kind in den 30er Jahren in schmucker Uniform. Später erinnerte er sich an ein Deutschland seiner Kindheit, das Erfolg hatte, schnelle Rennwagen baute, Olympische Spiele ausrichtete, eine starke Armee hatte und in die Weltpolitik zurückgekehrt war. Nach dem Krieg brauste er mit dem Boot des Vaters auf dem Starnberger See herum. Ein Unfall, den sein damals enger Freund Klaus Kinski in seinem Beisein baute, legt Zeugnis ab von den Vergnügungen dieser Jeunesse dorée der Nachkriegszeit. Mit Kinski gründete Harlan in Berlin auch das »Junge Ensemble«, eine in den 50er Jahren recht erfolgreiche Theaterkompanie.

Den Spuren dieses Mannes, der am Totenbett des Vaters saß und kurz vor dem eigenen Sterben die Verantwortung für die Taten des Vaters auf sich nahm, damit also etwas tat, was die Kindergeneration stets empört ablehnte und worauf die Enkelgeneration völlig verständnislos schaut, geht das Kollektiv der Vierten Welt bis zum Sonntag in verschiedenen Formaten nach. Szenische Lesungen - auch von Werken Harlans - wechseln sich mit Filmnacherzählungen, Diskussionen und szenischen Miniaturen ab. Sie fügen der Schicht der Suche von Harlan nach Harlan eine weitere Schicht hinzu.

Dass Thomas Harlan nicht als eine große Gestalt in die Geschichte eingegangen ist, sondern lediglich Objekt der Beschäftigung eines kleinen Performancekollektivs ist, das sich neben einem meist von türkischstämmigen Männern frequentierten Wettbüro versteckt, mag Bedingungen geschuldet sein, die Harlan selbst so zusammenfasste: »Nach 45 sind die Nazis noch mächtiger geworden«, bemerkte er mit Blick auf die Altbundesrepublik. »Der Bruch war 33, nicht 45«, sagte er noch. Das ist eine Deutung, die zunächst wirr klingt, die aber mit der Affäre um das Mordtrio des »Nationalsozialistischen Untergrunds« eine späte Neuaufladung erfuhr. »Harlans Kinder« darf man als die Ausgrabung eines Antiserums gegen solche Mentalitäten betrachten.

Bis 9.12, täglich ab 19 Uhr, So. ab 17 Uhr, Vierte Welt, Neues Kreuzberger Zentrum, Galerie 1. OG, Zugang über Außentreppe Adalbertstr 99

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