Wagner. Wessen Wagner?

Eine Ausstellung in der Akademie der Künste zeigt »Positionen« zum Werk des Komponisten

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 4 Min.

Bloß keine große Wagner-Feier! »Das wollte Klaus Staeck auf keinen Fall«. Sagt Nele Hertling auf einem Pressetermin zur Ausstellung »Wagner 2013« in der Akademie der Künste, die sie mitorganisiert hat. Sie sagt es so, als hätte das Verdikt ihres Präsidenten, eine Huldigung zu vermeiden, den Gestaltern der Schau beständig in den Ohren geklungen. Staeck sitzt daneben, freundlich bestimmt, weiß Gott nicht diktatorisch. Kein Verhinderer, ein Ermöglicher. Ein kritisch geschulter allerdings, dem der »Typ des Wagnerianers« zuwider ist. Der »Kult«, den eine »gesellschaftliche Elite« alljährlich bei den Bayreuther Festspielen »zelebriere«, müsse »beobachtet« werden. Und Wagner, das einstige Akademie-Mitglied, den »großen Verführer«, das »gefährliche Genie«, diesen Wagner müsse man »im Auge, im Ohr, in der Seele behalten«.

Initiiert wurde die Ausstellung von der Sektion Darstellende Kunst, unter deren Mitgliedern die Auseinandersetzung mit Wagner noch längst an kein Ende gelangt ist. Heute aktive Künstler arbeiten sich, auch wenn kein Jubiläum »Anlass« gebietet, am soghaften Werk des umstrittenen Meisters ab, dessen Geburt bald 200 Jahre zurückliegt. Sie tun das mit denkbar verschiedenen Voraussetzungen, Mitteln und Absichten. Mehr als der Gegenstand selbst, ein toter Komponist und seine hinterlassenen Schöpfungen, interessiert die Ausstellungsmacher der Grund dieser fortwirkenden Anziehungs- und Abstoßungskräfte.

Revolutionär und antisemitisch. Genial und größenwahnsinnig. Innerlichst deutsch und Welten erschließend. Totalitär allemal im Anspruch, das »Gesamtkunstwerk« zu schaffen. Wagner polarisiert. Das produktive Spannungsverhältnis zwischen den Polen sichtbar zu machen, ist das wesentliche Anliegen der Schau. Im Wechselspiel sollen die in Installationen gezeigten Deutungen, die im Archiv geborgenen (Herz, Berghaus, Müller, Schleef), in Videoaufzeichnungen und auf Veranstaltungen vorgetragenen »Positionierungen« von mehr als 50 Komponisten, Regisseuren, Bühnenbildnern, Filmemachern, bildenden Künstlern und Schriftstellern mehrerer Generationen ein »Panorama zeitgenössischer Arbeitsweisen und persönlicher Lesarten des Werks von Richard Wagner« bilden.

Zwischen Fotografien, Kostümen, Arrangements, Vor- und Nacharbeiten diverser Inszenierungen thematisiert eine Medieninstallation des Videokünstler-Duos »fettFilm« den Eingang von Wagner-Musik in Filme wie Chaplins »Der große Diktator« (1940), Coppolas »Apocalypse Now« (1979) und von Triers »Melancholia« (2011). Passagen daraus laufen auf großen Flachbildschirmen hinter Glasplatten, auf denen ihrerseits transparente Wald-, Wasser- und Feuerbilder flimmern, die erst einmal vom Blick durchdrungen werden müssen. Das junge australische Künstlerinnen-Trio »Hold Your Horses« zeigt im nächsten Saal mit vier großformatigen Fotoarbeiten halb ironisch, halb melancholisch, wie sich Figuren-Konstellationen der »Ring«-Opern an heutigen Berliner Orten nachstellen lassen. Und im letzten, nebeldurchwobenen Raum gibt eine Luke die Sicht frei in Christian Boltanskis und Jean Kalmans apokalyptische Licht-Raum-Installation »The Day After«. Hinten in der Flucht schweigt ein schwarzer Flügel mit aufgeschlagenem Deckel, verlassen wie der ganze dunstig-düstere Ort.

»Nicht die geringsten Ansätze von Rassismus oder tagespolitisch missbrauchbaren Elementen« habe er im »Ring des Nibelungen« finden können, sagt Regisseur Achim Freyer, der Wagners vierteiliges Hauptwerk »zeitlos« und ein »Weltwunder« nennt. Dagegen Barrie Kosky, neuer Intendant der Komischen Oper: »Ich kann nicht glauben, dass Menschen sagen, es gäbe keinen Antisemitismus in Wagners Stücken. Das ist so klar und stark gemacht in den Stücken, dass es eine komplette Lüge ist, das zu sagen!« Dritte Stimme, Regisseur Hans Neuenfels: Antijüdisches in der Musik habe er nicht gehört, aber in der »scheußlichen« Schrift »Das Judenthum in der Musik« manifestiere sich das »Problem Wagner« auf abstoßende Weise. Spät erst sei an die Seite seines Abscheus die Faszination getreten. In Wagners Werken, sagt Neuenfels heute, habe er tiefschürfende Analysen entdeckt zur Verführbarkeit der Massen - mittels der Kunst.

Freyer, Kosky, Neuenfels und andere mehr sprechen aus Monitoren. Neben einer Vielzahl von Filmgesprächen, die Alexander Kluge über Jahre hinweg mit Wagner-Interpreten geführt hat, entstanden Interviews auch unmittelbar für »Wagner 2013«.

Ein wichtiger Ideengeber der Ausstellung war der im Februar verstorbene Regisseur Thomas Langhoff. Dessen Konzept, die prozessuale Auseinandersetzung mit Wagner zu veranschaulichen, indem man die Schau in leeren Räumen beginnen und sich dann entwickeln lässt, wurde leider verworfen: »zu radikal«. Als außergewöhnlich kontrovers und deutungsoffen erweist sich die fertige Ausstellung nichtsdestotrotz.

Klar, dass Dokumentarisches über Wagners eigenes Wirken hier kaum zu finden ist. Einzig eine lange Tafel mit Ausschnitten aus Friedrich Dieckmanns Buch »Wagner in Venedig« im Eingangsraum beleuchtet das turbulente Leben und Werk in Zitaten und Kommentaren. Alles andere ist Reibung und Reflexion: einander überlappende, auch widersprechende, vielstimmig tönende und leuchtende Dokumentation der zu neuer Kunst geronnen Beschäftigung mit Kunst. Je besser ein Ausstellungsbesucher mit Wagner vertraut ist, desto mehr An- und Aufregendes wird er aufnehmen können. Um es mit Nele Herling zu sagen: »Nicht alles vermittelt sich von selbst.«

Bis 17. Februar, Hanseaten-
weg 10, 10557 Berlin, dienstags bis sonntags, 
11–19 Uhr. www.adk.de.

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