Die Armenier, die Politik und der Lehrplan

Eine Fachtagung in Ludwigsfelde befasste sich mit dem Unterrichtsthema Völkermorde

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
So sah es aus: Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) geht mit dem türkischen Generalkonsul Aydin Durusay essen. Anschließend verschwindet der Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich aus dem Lehrplan für das Fach Geschichte im Land Brandenburg. Bekanntlich leugnet die Türkei bis heute, dass es sich bei den Ereignissen in den Jahren 1915 und 1916 um Völkermord handelte. Dass der Mord an den Armeniern aus der Internet-Fassung des Lehrplans gestrichen wurde, machte im Januar 2005 Aufruhr. Armenier, Historiker und Politiker beschwerten sich. Die PDS-Fraktion beantragte eine Missbilligung Platzecks, fand im Landtag allerdings keine Mehrheit dafür. Ziemlich am Ende der Aufregung stand das Versprechen, der gewaltsame Tod von hunderttausenden Armeniern werde weiter als ein Beispiel für Völkermord genannt. Gestern nun befasste sich eine Fachtagung des Landesinstituts für Schule und Medien (LISUM) in Ludwigsfelde mit »Völkermorden und staatlichen Gewaltverbrechen im 20. Jahrhundert«. Laut Programm stellte LISUM-Referentin Viola Tomaszek dabei die entsprechende neue Handreichung für die Pädagogen vor. Zu Wort kam auch Christian Lange, der die Arbeit an der Handreichung koordinierte. In Arbeitsgruppen wurde über Erfahrungen mit dem Unterrichtsthema Völkermord an den Armeniern gesprochen. Nur ein einziges Beispiel im Lehrplan zu nennen, werde dem wichtigen Thema »Völkermord« nicht gerecht, hatte Platzeck im Februar zu seiner Verteidigung vorgebracht. In der Handreichung sind auch andere Beispiele genannt: Der Feldzug des deutschen Kaiserreiches gegen die Herero in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika 1904 bis 1907, die Massaker an den Tutsis 1994 in Ruanda, die Gewaltverbrechen der Roten Khmer in Kambodscha 1975 bis 1979 und der in der Stalin-Zeit »organisierte Hungertod« ukrainischer Kulaken. Hier weist die Handreichung darauf hin, dass die Klassifizierung als Völkermord in den beiden zuletzt genannten Fällen wissenschaftlich umstritten sei. Kein Zweifel bestehe hingegen im Fall der Armenier, der auf 18 von insgesamt 88 Seiten der Handreichung sehr eingehend beleuchtet wird. Als Verantwortliche für die Deportationen und die Gemetzel 1915 und 1916, an denen Gendarmerie, reguläre Streitkräfte und kurdische Freischärler beteiligt gewesen seien, nennt das Papier die »jungtürkische Bewegung und Teile des türkischen Staates«. Schuld habe auch das Deutsche Reich auf sich geladen, dass zu seinem Verbündeten im Ersten Weltkrieg hielt. Die Haltung der höheren deutschen Diplomatie und der Berliner Regierung sei weitgehend von einer »Duldung der Vernichtungspolitik« bestimmt gewesen, heißt es. Aus der Türkei hört man bis heute die Rechtfertigung, dass die Armenier sich seinerzeit auf die Seite des Kriegsgegners Russland geschlagen hätten. Bezeichnend ist eine in der Handreichung abgedruckte Stellungnahme des türkischen Generalkonsulats in Berlin vom April 2005. Darin steht: »Türken und Armenier waren zugleich Opfer und Täter in den Fängen der Kräfte, die das Osmanische Reich zu zerstören versuchten. Um die tragischen Ereignisse von 1915 als "Völkermord" bewerten zu können, müssen die anderen tragischen Vorfälle, die sich zur selben Zeit abspielten, ignoriert und andere Geschehniss...

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