Staatsoper gibt Farce

Die gigantische Sanierung des Musiktheaters Unter den Linden zieht sich und wird noch teurer

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
Nicht arienfähig, nur bänkelballadenreif ist die Sanierung der Staatsoper. Von geplanten 242,3 Millionen Euro erhöht sich die Bausumme auf mindestens 287,9 Millionen. Die Neueröffnung wird verschoben, was ein Konkursrisiko für die Bühne heraufbeschwört. Das Desaster war jedoch vermeidbar. Eine Begehung.

Die junge Roma, die auf den Stufen der St. Hedwigs-Kathedrale um kleine Gaben bittet, weiß von dem Millionengrab zu ihren Füßen nichts. Sie freut sich eher, dass der Bauzaun den Weg zu ihrem Sitzplatz verengt und ihr potenzielle Geberschaft zuführt. Der Pförtner auf der Baustelle reagiert gelassen, wenn man ihn nach der Kostensteigerung befragt. Von den ca. 45 Millionen Euro Mehrkosten kommt bei ihm direkt nichts an. Er ist nur erleichtert, dass sein Arbeitsplatz für ein paar Monate länger gesichert ist. Etwa 600 000 Euro mehr für Wachschutz prognostiziert die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung aufgrund der Bauzeitverlängerung. Dies ist ein Posten unter insgesamt 18, die für die neuen Bau- und Baunebenleistungen anfallen und sich auf insgesamt 29,1 Millionen Euro belaufen.

Diese Kosten sind für Brigitte Lange, kulturpolitische Sprecherin der SPD im Abgeordnetenhaus, »sachlich nachvollziehbar«. Sie resultieren vor allem aus Komplikationen im Bauablauf. Die größte davon stellt der Grundwasserspiegel dar. Verfaulte Holzpfeiler mussten ersetzt werden. »Das war gar nicht so viel Arbeit«, grummelt der Wachmann. Für die Abdichtung der Baugrube und die Auftriebssicherung der Stahlwanne, auf der das Gebäude dann ruht, sind jedoch zusätzliche 10 Millionen Euro veranschlagt.

Ganz unerwartet kommt eine solche Komplikation nicht. Bereits beim Bau des Palasts der Republik in den 70er Jahren stellte der Baugrund in der sumpfigen Stadtmitte ein Problem dar. Der Abriss dürfte in den delikaten Druckverhältnissen zwischen Gebäudekörpern und Grundwasserspiegel für neuerliche Turbulenzen gesorgt haben. Der Opernumbau passt ins Szenario. Beim Schlossneubau sind weitere Grundwasserspiele zu befürchten.

Gewöhnlich sind für solche Risiken zehn Prozent der Bausumme als Puffer vorgesehen. Laut Bauverwaltung hatte der alte Projektsteuerer Drees und Sommer nur acht Prozent eingestellt. Ob dabei Druck auf den Projektsteuerer ausgeübt wurde, um zumindest auf dem Papier eine Kostendeckelung bei 242,3 Millionen Euro zu erhalten, ist ungewiss. Eine Auskunft lehnte Drees & Sommer mit Hinweis auf eine »vereinbarte Vertraulichkeitserklärung« ab. Für die weiter zu verbauenden 165 Millionen Euro - 120 Millionen sind offenbar schon in den Berliner Schlamm gesetzt - setzt der Bausenat jetzt zehn Prozent Risikovorsorge, also 16,5 Millionen Euro, an. Das führt zu einer Gesamterhöhung der Bausumme um ca. 45 Millionen Euro. Ob es bei dieser Berechnung bleibt, war vom neuen Projektsteuerer SPM nicht zu erfahren - das komplette Berliner Büro befand sich am Freitag auf einer Weiterbildung. Mit Kulturbauten hat die Berliner Filiale laut Homepage bislang jedenfalls keine Erfahrung.

Die aktuellen Schwierigkeiten sind durch Hin und Her in der Planungsvorbereitung mitverursacht worden. Die ursprünglich als Bedarf festgestellte Gesamtfläche von 24 000 Quadratmetern (Kostenansatz damals: 272 Millionen Euro) wurde zunächst auf 17 600 Quadratmeter reduziert, dann wieder auf 19 100 und in einem weiteren Schritt auf 20 980 Quadratmeter erhöht. »Inhaltliche Erwägungen gab es dabei nicht. Es ging immer nur ums Sparen«, erinnert Wolfgang Brauer, kulturpolitischer Sprecher der LINKEN.

Der Spardruck führte auch zum gegenwärtig heiß umstrittenen Tunnelprojekt. Die gesamte Haustechnikanlage, die den Tunnel laut Auskunft der Oper zum »Kernprojekt der Renovierung« macht, hätte laut Brauer zuvor durchaus im Magazingebäude untergebracht werden können. Dessen angeblich nicht benötigte Hälfte steht nun der Barenboim-Akademie zur Verfügung. Brauer vermutet, dass dies der Auslöser für die Flächenverkleinerung gewesen sein könnte. Jetzt ist zudem der Sachzwang Tunnel da. Resultat: Weniger Platz für die Oper kostet mehr Geld. Der Kostendeckel ist geborsten.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) nannte mehr als 242 Millionen Euro vor drei Jahren »politisch nicht vermittelbar«. Heute meint die kulturpolitische Sprecherin der SPD: »Vielleicht hätten wir lieber gleich sagen sollen: Es kostet 300 Millionen Euro und dauert drei Jahre.« Die verzögerte Wiedereröffnung kostet die Staatsoper zudem 4 Millionen Euro jährlich. Im Schillertheater fehlen jeden Abend Einnahmen für die 400 Plätze, die die Lindenoper mehr hat. Bis 2013 deckt die Oper diesen Verlust aus eigenen Rücklagen, bestätigte ein Sprecher der Staatsoper. Weil erst für den Oktober 2015 die Rückkehr geplant ist, prophezeit Wolfgang Brauer gegenüber »nd«: »Anfang 2015 steht die Staatsoper vor dem Konkurs.«

Intendant Jürgen Flimm wird sich dann freilich nicht neben die jungen Roma auf die Stufen setzen müssen. Die Staatsoper rechnet fest damit, dass der Kultursenat die Deckungslücke übernimmt.

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