Erich Honecker und die Weihnachtsbotschaft

Die FDJ, das Jahr 1946, die Kirchen: ein historisches Streiflicht von Arno Klönne

  • Arno Klönne
  • Lesedauer: 4 Min.
Im Dezember 1946 erscheint die Jugendzeitschrift „Neues Leben“ mit einem Leitartikel, der Christen und Nichtchristen zusammenführen sollte. Der Verlauf der Geschichte machte der Idee eines antifaschistischen Jugendbündnisses ohne weltanschauliche Abgrenzungen bald ein Ende. Und die Weihnachtsbotschaft geriet zwischen die Fronten des Kalten Krieges.
Jahreswechsel 1946 auf 1947 : Die Folgen des Krieges beherrschen den Alltag, der kälteste Winter seit Jahrzehnten, in den Trümmerstädten Hunger und Obdachlosigkeit. Und dennoch der Versuch, jungen Menschen etwas Hoffnungsvolles mitzuteilen, "Neues Leben" ist der Titel einer Jugendzeitschrift, die in Berlin erscheint.

In ihrem Dezemberheft 1946 heißt es im Leitartikel: "Die Weihnachtsbotschaft spricht unmittelbar nur zu dem, der sie gläubig aufnimmt. Aber sie muß auch dem Andersdenkenden etwas zu sagen haben... Hinter uns liegen die furchtbaren Jahre einer Weltanschauung, in der der Mensch dem Raubtier gleichgestellt wurde. Umso stärker wurde die Sehnsucht nach Menschlichkeit. Friede auf Erden den Menschen, die guten Willens sind. Christen und Nichtchristen spüren die Verpflichtung, die vom Inhalt der Weihnachtsbotschaft gestellt ist, finden sich im gemeinsamen Bekenntnis dazu..."

Autor war der Berliner Domvikar Robert Lange. In demselben Heft dann eine Seite mit der Erzählung über die Geburt in Bethlehem, eine andere mit einem mittelalterlichen Bild der Maria mit dem Kinde. Und als Titelblatt eine Kirche in winterlicher Umhüllung. Ein Blatt zur Erbauung traditionskirchlicher Jugend? Keineswegs, sondern die Zeitschrift der Freien Deutschen Jugend,in hoher Auflage erscheinend, Herausgeber: Erich Honecker.

Der plumpe kommunistische Versuch, sich bei christlichen jungen Leuten einzuschmeicheln, um sie dann in Atheisten zu verwandeln? Das Ablenkungsmanöver bei einer schon vorbereiteten Attacke von FDJ und SED gegen jeden Einfluss der Kirchen in der Jugendgeneration? Wer das historische Fundstück so deuten wollte, kennt die Geschichte der frühen Jahre nach dem Untergang des "Dritten Reiches" nicht. Als 1946 die FDJ in der Nachfolge Antifaschistischer Jugendausschüsse gegründet wurde, hatten dabei Kommunisten maßgeblichen Einfluss , aber die spätere Entwicklung zur "Kampfreserve" der Sozialistischen Einheitspartei mitsamt der Orientierung am sowjetischen Komsomol war nicht vorentschieden. Noch schien das Konzept eines organisierten antifaschistischen Jugendbündnisses eine Chance zu haben, in dem unterschiedliche weltanschauliche Richtungen ihren Platz haben sollten, so auch christliche.

Der katholische Vikar Lange, Jugendseelsorger seines Bistums, war einer der Unterzeichner des Antrags an die Sowjetische Militäradministration, die Gründung der FDJ in der östlichen Besatzungszone und in Berlin zu gestatten. Als Pfingsten 1946 das Erste Jugendparlament der FDJ in Brandenburg/Havel zusammenkam, standen Gottesdienste beider Kirchen auf dem Programm. Die Gedenkansprache für die Opfer der Politik des NS-Staates hielt bei diesem Treffen Vikar Lange, das Lied "Brüder zur Sonne zur Freiheit" schloss sich an. Die FDJ, so war damals in der Zeitschrift "Neues Leben" zu lesen, solle eine Jugendorganisation werden, " die keine Partei- und Glaubensschranken kennt". Die Bergpredigt neben dem Kommunistischen Manifest - hätten sie in einem Bund der Jugend koexistieren können?

Zu vermuten ist, dass Erich Honecker zu jener Zeit keine Vorbehalte hatte, die Weihnachtsbotschaft in seiner Zeitschrift zur Geltung kommen zu lassen. Zu denken ist da an seine persönlichen Erfahrungen, mit dem Katholizismus in seiner saarländischen Heimat und insbesondere dann mit jungen Katholiken, als er im Nazi-"Reich" illegal für den Kommunistischen Jugendverband tätig war. Es hatte eine heimliche Zusammenarbeit zwischen Jungkommunisten und katholischen Jugendgruppen gegeben, 1937 machte der Volksgerichtshof dem Kaplan Joseph Rossaint und einer Reihe katholischer Jugendführer den Prozess wegen "kommunistisch-katholischer Vorbereitung zum Hochverrat". Rossaint wurde zu 11 Jahren Zuchthaus verurteilt, 1946 war er beteiligt an der Gründung der Freien Deutschen Jugend in Westfalen. Noch schien vieles möglich, was dann rasch durch den Konflikt der Besatzungsmächte und der teildeutschen Machtgruppen aus dem historischen Prozess verdrängt wurde.

Bereits 1947 verließ Robert Lange die FDJ, und der katholische Jugendführer Manfred Klein, Mitglied des Zentralrates der FDJ und in der CDU aktiv, wurde von der Sowjetischen Militärbehörde verhaftet. ( Er kam 1956 wieder in Freiheit, 1994 rehabilitierte ihn der russische Militärgerichtshof. ) In Westdeutschland wiederum wurde 1951 die FDJ verboten, noch weit vor dem Verbot der KPD.

Als die FDJ-Zeitschrift in christlicher Weihnachtsthematik herauskam, hatte es deutschlandpolitisch den Anschein, die staatliche Trennung könne vermieden werden. Dies war, vom Interesse der sowjetischen Besatzungsmacht her betrachtet, die Voraussetzung für eine pluralistische Konzeption der Jugendarbeit, also eine Freie Deutsche Jugend mit Bündnischarakter. Der Verlauf der Geschichte machte dem binnen weniger Monate ein Ende. Und die Weihnachtsbotschaft geriet zwischen die Fronten des Kalten Krieges.

Arno Klönne ist Soziologe und Politikwissenschaftler, Anfang der 1960er Jahre war er Mitgründer des Plattenlabels „pläne", als kritisches SPD-Mitglied geriet er mehrfach unter den Bannstrahl der Sozialdemokratie, bis er 2004 die Demokratische Initiative Paderborn gründete. In der Stadt war Klönne 1974 zum Professor berufen worden, seine Studie zur „Jugend im Dritten Reich" wurde Standardwerk, heute ist der 1931 in Bochum geborene Linke Mitherausgeber der Zeitschrift Ossietzky.
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