Die Wiege des modernen Polos

Im indischen Bundesstaat Manipur ist das mannschaftliche Reiterspiel mit Ball und Schläger ein Volkssport

  • Stefan Mentschel, Imphal
  • Lesedauer: 4 Min.
Manipur im Nordosten Indiens gilt als Wiege des modernen Polo-Sports. Die Engländer hatten ihn dort Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckt. Nach Jahrzehnten des Niedergangs geht es mit dem Reiterspiel in der Region inzwischen wieder aufwärts. Beleg dafür ist auch ein hochgradig besetztes internationales Turnier.

Die Zuschauer sind aus dem Häuschen. Mit Sprechchören und tosendem Applaus feuern sie die Heimmannschaft an. Immer wieder stürmt diese Richtung gegnerisches Tor und markiert einen Treffer nach dem anderen. Den überforderten Gästen bleibt kaum Zeit zum Durchatmen. Schließt man für einen Moment die Augen, fühlt man sich wie in einem Fußballstadion, wo eine Spitzenmannschaft ein unterklassiges Team wegputzt. Doch im Stadion Mapal Kangjeibung von Imphal, der Hauptstadt des indischen Bundesstaates Manipur, stehen sich berittene Sportler gegenüber. Denn seit Jahrhunderten wird hier Polo gespielt.

Knapp 2000 Menschen verfolgen an diesem Tag das einseitige Match, in dem Team Manipur eine tapfer kämpfende Auswahl aus Deutschland mit 14 zu 5 bezwingt. Mit dem Sieg hat sich Manipur für das Halbfinale eines internationalen Polo-Turniers qualifiziert, zu dem neben den Deutschen auch Mannschaften aus England, Frankreich und Thailand sowie eine gesamtindische Auswahl nach Imphal gereist sind.

Für die Organisatoren ist das etwas Besonders. »Es ist das erste Turnier dieser Art seit mehr als zwölf Jahren«, sagt Ranjit Singh, Vizepräsident des Verbandes für Pferdesport und Polo in Manipur. Ein Grund für die lange Pause ist die angespannte politische Lage in der Region an der Grenze zu Myanmar. Dutzende bewaffnete Gruppen sind dort aktiv, einige davon kämpfen für die Unabhängigkeit des früheren Königreiches von Indien.

Der Konflikt war auch Grund für restriktive Zugangsbeschränkungen in die Region. So brauchten Besucher noch 2010 eine schriftliche Erlaubnis des Innenministeriums in Delhi, um nach Manipur reisen zu können. Das hat viele abgehalten. Inzwischen sind die Bestimmungen gelockert, wovon auch der Polo-Sport profitiert.

»Wir sind froh, Polo-Freunde aus aller Welt bei uns zu begrüßen, schließlich ist Manipur die Wiege dieses Spiels«, sagt Singh. »Laut unserer königlichen Chronik wurde Polo hier unter dem Namen Sagol Kangjei schon vor über 2000 Jahren gespielt. Das Stadion Mapal Kangjeibung gilt als ältester Spielort der Welt. Wer hier erfolgreich war, gewann an Ansehen in der Gesellschaft.« Um 1850 sei das Spiel dann von britischen Kolonialoffizieren entdeckt worden.

»Polo wurde auch in anderen Teilen der Welt gespielt«, weiß Günter Kiesel, Kapitän der deutschen Auswahl. »Es gibt Aufzeichnungen, dass etwa in Persien Reiterspiele stattgefunden haben.« Ungeachtet dessen habe das moderne Polo seinen Ursprung tatsächlich in Manipur. »Die Engländer haben das Spiel bei Einheimischen gesehen. Sie haben es von hier nach England gebracht und dort zu dem Sport entwickelt, den wir heute betreiben«, so der Arzt aus Bayern.

Doch trotz der Tradition gewinnt Polo erst seit kurzer Zeit wieder an Stellenwert in Manipur. Vorausgegangen waren Jahrzehnte des Niedergangs, die mit der Abschaffung der Monarchie und dem Beitritt zur indischen Union im Jahr 1949 begonnen hatten. Ein Grund: Pferde waren nur am königlichen Hof gezüchtet und gehalten worden. Ohne den König fehlten die Ressourcen dafür. »Und wo es keine Pferde gibt, da gibt es auch kein Polo«, berichtet Singh.

Sein 1977 gegründeter Verband versucht dem entgegenzusteuern. »Wir haben ein Gestüt aufgebaut und wollen die Anzahl der Pferde erhöhen«, sagt der ehemalige Oberstleutnant der indischen Armee. Im Fokus stehe die Aufzucht des mittelgroßen Manipuri Ponys. Diese traditionelle einheimische Rasse sei zeitweise vom Aussterben bedroht gewesen. »Derzeit haben wir 96 Ponys. In drei Jahren sollen es 200 sein.«

Die Pferde seien der Hauptunterschied zu anderen Spielorten, berichtet Günter Kiesel. Zwar werde auch in Manipur mit vier Spielern nach den britischen Hurlingham-Regeln gespielt. Die im weltweiten Vergleich jedoch kleineren Ponys veränderten den Charakter des Spiels. »Natürlich eignen sich die wendigen Tiere besser fürs Polo, aber wir mussten uns erheblich umstellen, denn kleinere Pferde bedeuten auch kürzere Stöcke mit anderem Schlagverhalten«, so der 67-jährige Veteran. Eine Ausrede für die »wenig überzeugenden« Resultate seines Teams sei das aber nicht.

Auch die anderen Turnierteilnehmer taten sich schwer. Frankreich scheiterte wie Deutschland in der Vorrunde, Thailand und England im Halbfinale. Das Endspiel bestritten Manipur und eine Auswahl des indischen Polo-Verbandes, dessen Zentren die Hauptstadt Delhi sowie die Metropolen Mumbai und Kolkata sind. Ein Chance hatten die Topspieler allerdings nicht: Manipur gewann das Finale deutlich mit 15 zu 5.

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