Polen fast wie vor einem Jahr

Derzeit kann niemand die Tusk-Regierung in Bedrängnis bringen

  • Holger Politt, Warschau
  • Lesedauer: 3 Min.
Regierungschef Donald Tusk klagte in diesem Jahr über einen neuen Kalten Krieg in Polen. Die Erben der »Solidarnosc« hoben Schützengräben aus, die nationalistische Rechte blies das Angriffssignal.

Ein wenig sieht es wie Verzweiflung aus. Polens Nationalkonservative unter Jaroslaw Kaczynski, Chef der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), lassen nichts unversucht, ihrer Prophezeiung näher zu kommen. Im Herbst vorigen Jahres meinten sie, auch an der Weichsel werde es bald Budapester Verhältnissen geben. In Ungarn regieren die Nationalkonservativen unter Viktor Orban bekanntlich mit absoluter Mehrheit. Zwar hatte in Polen die rechtsliberale Bürgerplattform (PO) gerade ihren Wahlsieg von 2007 wiederholen können und Donald Tusk eine zweite Amtszeit als Ministerpräsident beschert, aber Kaczynski sah bereits einen Stern aufgehen, der seine PiS über kurz oder lang wieder in die Position der stärksten Partei zurückbringen werde.

Nichts von dieser Prophezeiung ist eingetreten, da halfen zuletzt auch die national gefärbten Märsche nicht, die am 11. November und am 13. Dezember durch Warschaus Innenstadt zogen. Der Abstand zwischen PO und PiS ist deutlich geblieben, obwohl die Zahl derjenigen, die in Umfragen angeben, unzufrieden mit der Regierungsarbeit zu sein, stetig zugenommen und sich verfestigt hat. Kaczynski ist es nicht gelungen, diese Unzufriedenheit auf die nationalkonservativen Mühlen zu lenken. Seine Partei käme gegenwärtig auf ein Viertel der Wählerstimmen, während die PO meistens mit fünf oder mehr Prozentpunkten voraus liegt.

Bliebe die linke Flanke, die aus dem zunehmenden Potenzial der Unzufriedenen neuen Zulauf gewinnen könnte. Den Part linksliberaler Bürgerrechtler spielt seit letztem Herbst die Palikot-Bewegung (RP). Zwar hat sie in Umfragen etwa die Hälfte ihres damaligen Wahlerfolgs von zehn Prozent verloren, aber Janusz Palikot sieht die junge Partei weiterhin auf erfolgreichem Weg. Nur ihm war es damals gelungen, von der PO kräftig Stimmen zu gewinnen, die allein die Hälfte des RP-Ergebnisses ausmachten. Im Parlament streitet die Partei eifrig für mehr Säkularisierung und für die Liberalisierung des erzkonservativen Abtreibungsrechts. Umfassende Minderheitenrechte, die rechtliche Gleichstellung unterschiedlicher Lebensgemeinschaften sind weitere Schwerpunkte der Parlamentsarbeit, die sich vor allem an Auffassungen jüngerer Wählerschichten richten.

Die Linksdemokraten der SLD geben sich seit einem Jahr betont sozialdemokratisch, was beim Wähler Anklang zu finden scheint. Gerne verweist Leszek Miller auf Umfragewerte, die wieder im unteren zweistelligen Bereich liegen. Vielfach ist die Meinung zu hören, der erfahrene Politiker habe überhaupt die SLD vor Zerfall und Untergang bewahrt. Ein Meilenstein auf diesem Weg war die konsequente Haltung in der Frage der Rentenreform. Die SLD hatte die Erhöhung des Renteneinstiegsalters auf einheitlich 67 Jahre abgelehnt. Während Palikot sich anbot, das Gesetzesvorhaben an der Seite Tusks durchzuboxen, erklärte Miller, solche sozialen Einschnitte ließen sich mit sozialdemokratischer Politik schlecht vereinbaren. Während die PiS bei dieser Gelegenheit den neuerlichen Schulterschluss mit der Gewerkschaft »Solidarnosc« übte, fand die SLD gute Gelegenheit, das Verhältnis zur OPZZ-Zentrale aufzufrischen. Darin dürfte einer der Gründe für die gestiegenen Umfragewerte zu finden sein, denn die SLD hatte in den zurückliegenden Jahren stetig an Zuspruch unter organisierten Gewerkschaftern verloren. Dennoch bleibt das Lager links von der PO zusammengerechnet deutlich unter 20 Prozent. Im Umfeld des ehemaligen Präsidenten Aleksander Kwasniewski hält man das für einen enttäuschenden Wert, wobei als eine Ursache ausgemacht wird, dass dem Wähler das Bestehen zweier linksgerichteter Parlamentsgruppierungen, die meistens sogar in gleicher Weise abstimmten, angesichts der entscheidenden politischen Konstellation gegenüber PO und PiS kaum noch plausibel gemacht werden könne. Doch da bleibt Miller Traditionalist, von einem organisatorischen Zusammengehen mit Palikot will er nichts hören. Sein Hauptargument: die RP sei nicht sozialdemokratisch.

Da Marek Siwiec, bislang EU-Abgeordneter der SLD, der als enger Kwasniewski-Vertrauter gilt, kürzlich der Partei den Rücken kehrte, darf man davon ausgehen, dass eine gemeinsame Liste von SLD und RP auch für die Europawahlen 2014 nicht auf Millers Plan steht.

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