Von der Oase zur Betonwüste

Von Bauprojekten bedrohte Kleingärtner beklagen Rückfall in alte Zeiten

  • Alfred Loesdau
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, Michael Müller (SPD), hat seine Absicht in die Öffentlichkeit getragen, Stadtgrün zugunsten des Wohnungsbaus zu liquidieren. Bauspekulanten soll es ermöglicht werden, Kleingartenanlagen und Parkflächen mit Beton zu versiegeln.

Diese Praxis würde die Stadt Berlin ans Ende des 19. Jahrhunderts zurückwerfen. Zu jener Zeit konnten Kleingärtner nur bis zu dem Zeitpunkt eine Parzelle pachten, bis sich ein Bauunternehmer fand, der die Fläche für den Wohnungsbau beanspruchte. Und das war meistens in ein bis zwei Jahren der Fall. Übrigens hätte die Wiedereinführung dieses - wie es damals hieß - »Generalpächtersystems« für den Senat noch einen Vorteil: Die Generalpächter waren zugleich Kantinenpächter und sehr am Alkoholverbrauch der Kleingärtner interessiert: Wer viel trank, war bei ihnen gut angesehen - wer wenig trank, wurde bald seine Parzelle wieder los. So könnte der Senat durch erhöhten Alkoholkonsum weitere Steuereinnahmen verbuchen.

Nachdem jedoch das Generalpächtersystem im Jahre 1919 durch die Nationalversammlung außer Kraft gesetzt wurde, setzten sich vor allem die Arbeiterparteien für die Interessen der Kleingärtner ein. Im Jahre 1921 ermöglichte der Bürgermeister von Neukölln, der Sozialdemokrat Alfred Scholz, den deutschen Kleingärtnern, ihren Reichsverband im Rathaus von Neukölln zu gründen. Im Jahre 1929 wurde als Musterstück einer vorbildlichen Kleingartenanlage in einer Großstadt die Dauerkolonie »Rehberge« im Arbeiterbezirk Wedding inmitten eines Volksparks errichtet. Stadtbaurat von Berlin war damals der Sozialdemokrat Martin Wagner, der eng mit Architekten wie Bruno Taut, Ludwig Mies van der Rohe, Walter Gropius, Hans Scharoun zusammenarbeitete.

Gerade diese Architekten haben den Beweis angetreten, dass eine moderne Stadtentwicklung mit Grünflächen zu verbinden ist. Seinerzeit wurde der Ruf Berlins als Großstadtoase begründet. Soll dieses Kulturerbe heute durch die kurzsichtigen Maßnahmen eines Senators vernichtet werden?

Der internationale Trend der Großstadtentwicklung geht heute in Richtung der Erhaltung und Erweiterung des Stadtgrüns. In einer Stellungnahme des Kongresses des internationalen Kleingärtnerverbands »Office International du Coin de Terre et des Jardins Familiaux« vom August 2011 ist deshalb von der Unabdingbarkeit der »Erhaltung und Sicherung von Kleingartenflächen in der deutschen Hauptstadt« - »oft als Grüne Stadt bezeichnet« - die Rede. »Die Notwendigkeit des Erhalts der Kleingartenanlagen liegt im Interesse des sozialen Friedens und eines menschenfreundlichen Stadtklimas.« Und es heißt weiter sehr deutlich: »In Anbetracht dieser Sachlage erklärt das Office International seine Solidarität mit den Kleingärtnern und erwartet von der Politik und der Verwaltung, dass ein Umdenken im Interesse des Erhalts des Berliner Kleingartenbestandes erfolgt. Ohne ein neues Gesamtkonzept zum Erhalt aller genannten Flächen geht Lebensqualität in Berlin verloren. Der Kongress fordert die Verantwortlichen auf, zukünftig auf die Umwidmung von Kleingartenflächen zu verzichten.«

Senator Müller tritt diese internationalen Erwartungen offensichtlich mit Füßen. Er muss jedoch damit rechnen, in kürzester Zeit auf eine breite Gegenfront des sozialen Protestes zu treffen. Die Berliner Kleingärtner haben sich mit Liquidierung von Kleingartenflächen bisher nie protestlos abgefunden. Das war weder im September 1987 der Fall, als 20 000 Kleingärtner vor dem Schöneberger Rathaus demonstrierten, noch im August 2009, als im Schöneberger Rathaus eine eindrucksvolle Kundgebung gegen das Kleingartensterben stattfand, oder im Juni 2011, wo einige Tausend Gartenfreunde durch die Stadt demonstrierten. Nicht zuletzt erweist Senator Müller mit seinem Vorstoß im Wahljahr 2013 wohl auch seiner eigenen Partei einen Bärendienst. Wie will diese seine Vorhaben mit ihrem Anspruch, für soziale Gerechtigkeit einzutreten, vereinbaren?

Professor Alfred Loesdau ist Leiter der Kommission Chronisten/Verbandsgeschichte des Landesverbands Berlin der Gartenfreunde e. V.

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