Leben, groß und gefurcht

Thomas Holtzmann tot

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer je diese Stimme hörte, war gepackt von der Wunderkraft, die Natur dem Menschen bisweilen zuzuteilen vermag. In den samtsteinernen Klangraum dieser Stimme geraten und sich wünschen, ihr möge das Schweigen verboten sein - das war eins. In der Sprachgewalt von Thomas Holtzmann traf sich Bärs Grimm und Berges Ruf, das Grollen eines Wetters und das Knarren eines Wagens - der Dämonen oder Umwahnte, Weltbeißende oder Weltverlorene über Abgründe lenkt. Manche sagen: Knarzen. Ein Armutswort.

Vor fast zehn Jahren legte sich diese Stimme wie ein zweiter dunkel strahlender Himmel über den Nachthimmel rund ums Berliner Ensemble. Holtzmann sprach über Lautsprecher, die sich gleichsam weit aus den Fenstern des Theaters lehnten, die letzten Worte von Peter Handkes »Untertagblues«, soeben uraufgeführt am BE, Regie: Claus Peymann. Ein U-Bahn-Monolog. Die Premierengäste, sanft gestimmt (Handke!) das Haus verlassend, wurden von Holtzmanns Edel-Adel-Gottes-Ton in die Friedrichstraße begleitet. So schallte es weithin: »He, am schönsten war's, wenn man nicht wusste, wohin man führe; an welcher Station man ausstiege; was einen dort erwartete. Es war eine herrliche Zeit. Es war eine mächtige Zeit. Es war die schönste Zeit.« Kennt doch jeder, diese Zeit: längst vorbei, längst noch nicht da. Die Urkraftstimme aus dem Off verwandelte das Ende eines Theaterabends in einen - Aufbruch.

Holtzmann, 1927 in München geboren, war ab 1967 Protagonist an Dieter Dorns Münchner Kammerspielen, mit Rolf Boysen wohl der Protagonist, er wechselte mit Dorn 2001 ans Staatsschauspiel. Hochfahrend Zermarterte, grüblerisch Sehnende - alles Große, Übergroße der Theaterliteratur bat schier, von Holtzmann verkörpert und tief menschlich verwundbar zu werden. Dichterwerk stand Schlange, und Holtzmann wuchtete, ziselierte sich Perle um Perle seine Könnenskrone.

Betörend selbst noch im Aggressivsten, später bajuwarisch knorrig, mit bezaubernder Klugheit das glänzend Hochmütige mit Ironie bespritzend, das Überlegene mit Lächerlichkeiten spickend. Er war der schwere Held des alten Theaters, den feinste Nervenfäden mit der Moderne verbanden - so dass eine flirrende Aura entstand, akut wie zeitlos. Verrücktheit verkuppelte sich mit Verzweiflung; und der mehr und mehr zerfurchte Kantschädel wirkte als lebensgegerbte Behauptungskraft, so, als könne borkenrissiges Hartholz gegen den Strom schwimmen. Die hohe Gestalt immer weniger heldisch, sondern schräg, listig verknäult.

Je älter er wurde, desto suchender erlebte man ihn; außerhalb der Bühne war er von einer Scheu und also Fluchtbereitschaft, die ihn - in freier Zeit - zum passionierten Weltreisenden werden ließ (in dieser Art ganz nah einem seiner besten Freunde, dem Spieler-Kollegen Gert Voss).

Musik kennt gar keine Grenzen. Literatur kann wenigstens Zölle überwinden. Theater aber ist, wenn Mauern zwischen Welten wachsen, unerreichbar für die jeweils drüben Lebenden. Holtzmann? Eine Unbekanntheit in der DDR. Nein, nicht ganz! »Wer sind Sie, Dr. Sorge?« hieß die Kino-Koproduktion zwischen Italien, Frankreich, Japan (1960), in der Titelrolle: Thomas Holtzmann.

Einer der ganz Großen des deutschen Theaters ist nun 85-jährig in München gestorben.

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