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Siegerjustiz oder legales Recht?
Richter a.D. Peter Weber über Nürnberg 1945 und dessen Prinzipien
ND: Der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess wurde am 18. Oktober 1945 am Berliner Kammergericht eröffnet, an dem Sie mehr als 20 Jahre Richter waren. Hat Sie das beruflich motiviert?
Weber: Natürlich. Auch das Wissen darum, dass ein Jahr vor Eröffnung des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses im selben Raum die schrecklichen Verhandlungen von Freislers »Volksgerichtshof« gegen die Widerstandskämpfer des 20. Juli stattgefunden haben. Und es war für jemanden, der Geschichtsbewusstsein hat, auch ein großes Erlebnis, als das Kammergericht 1991 wieder in sein ursprüngliches Domizil einzog, in dem nach 1945 ja der Alliierte Kontrollrat die Regierungsgewalt über Deutschland ausgeübt hat.
Die westdeutsche Nachkriegsjustiz hat sich sehr lange schwer getan mit der Aufarbeitung ihrer Beteiligung an NS-Verbrechen.
Das kann man wohl sagen. Dazu braucht man nur auf das in der DDR erschienene Braunbuch zu verweisen. Ich erinnere mich an eine Episode Ende der 80er Jahre. Das Kammergericht hatte damals seinen Sitz in der Witzlebenstraße, wo das Reichskriegsgericht einst getagt hat. Eine Bürgerinitiative hatte eine Gedenktafel für die Opfer des Reichskriegsgerichts aufgestellt. Und da gab es doch tatsächlich einen Richter vom Kammergericht, der völlig eigenmächtig und ohne jegliche Berechtigung Bauarbeiter auf der Straße aufgefordert hat, dieses Schild abzureißen.
Zurück zu Nürnberg 1945/46 - noch immer hört man den Vorwurf »Siegerjustiz«. Ihr Argument?
Dieser Vorwurf wird immer dann erhoben, wenn die nationalen Gerichte nicht selbst über die Verbrechen der Vergangenheit entscheiden, sondern fremde Gerichte wie also auch der Internationale Gerichtshof in Nürnberg. Das war ja ein Militärgericht der Siegermächte. Dazu muss man natürlich auch wissen, warum dies so geschehen ist. Es gab auch Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg und die sind danach angeklagt worden. Doch es kam damals nicht zu einer Auslieferung der Schuldigen an die Alliierten. Auch Holland hat Wilhelm II., der mit Ausbruch der Revolution 1918 dorthin ins Exil geflüchtet ist, nicht ausgeliefert. Und die deutsche Justiz, die in dieser Zeit sowieso sehr reaktionär gewesen ist, hat versagt, sehr milde Strafen verhängt bzw. gar keine. Das war einer der Hauptgründe, dass man 1945 ein internationales Gericht einberief.
Das Wort »Siegerjustiz« denunziert auch die Verbindlichkeit der Nürnberger Prinzipien heute.
Die Nürnberger Prinzipien, das heißt die Sanktionierung von Verbrechen gegen den Frieden, von Kriegsverbrechen und von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sind praktisch die Grundlage für das gesamte moderne Völkerstrafrecht. Sie sind maßgebend sowohl für den Internationalen Strafgerichtshof, der versucht, ein Weltgericht zu sein - was schon eine Vision von Thomas Mann war, der den Nürnberger Prozess kommentiert hat - als auch für die so genannten Ad-hoc-Tribunale für Ruanda und Jugoslawien und sonstige Verfahren nach Systemwechsel.
Von »Siegerjustiz« wird auch hinsichtlich der justiziellen »Aufarbeitung« von DDR-Geschichte gesprochen. Zu Recht?
Das ist mir unverständlich. Man kann sicher heftige Kritik an einzelnen Urteilen und Entscheidungen treffen, aber dass nun diejenigen, die für sich in Anspruch nahmen, besonders gründlich mit dem Faschismus aufgeräumt zu haben, diese Begrifflichkeit übernehmen, die schon 1945 benutzt worden ist, um eben Prozesse gegen Kriegsverbrecher zu diffamieren, das finde ich etwas sehr merkwürdig.
Fragen: Karlen VesperND: Der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess wurde am 18. Oktober 1945 am Berliner Kammergericht eröffnet, an dem Sie mehr als 20 Jahre Richter waren. Hat Sie das beruflich motiviert?
Weber: Natürlich. Auch das Wissen darum, dass ein Jahr vor Eröffnung des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses im selben Raum die schrecklichen Verhandlungen von Freislers »Volksgerichtshof« gegen die Widerstandskämpfer des 20. Juli stattgefunden haben. Und es war für jemanden, der Geschichtsbewusstsein hat, auch ein großes Erlebnis, als das Kammergericht 1991 wieder in sein ursprüngliches Domizil einzog, in dem nach 1945 ja der Alliierte Kontrollrat die Regierungsgewalt über Deutschland ausgeübt hat.
Die westdeutsche Nachkriegsjustiz hat sich sehr lange schwer getan mit der Aufarbeitung ihrer Beteiligung an NS-Verbrechen.
Das kann man wohl sagen. Dazu braucht man nur auf das in der DDR erschienene Braunbuch zu verweisen. Ich erinnere mich an eine Episode Ende der 80er Jahre. Das Kammergericht hatte damals seinen Sitz in der Witzlebenstraße, wo das Reichskriegsgericht einst getagt hat. Eine Bürgerinitiative hatte eine Gedenktafel für die Opfer des Reichskriegsgerichts aufgestellt. Und da gab es doch tatsächlich einen Richter vom Kammergericht, der völlig eigenmächtig und ohne jegliche Berechtigung Bauarbeiter auf der Straße aufgefordert hat, dieses Schild abzureißen.
Zurück zu Nürnberg 1945/46 - noch immer hört man den Vorwurf »Siegerjustiz«. Ihr Argument?
Dieser Vorwurf wird immer dann erhoben, wenn die nationalen Gerichte nicht selbst über die Verbrechen der Vergangenheit entscheiden, sondern fremde Gerichte wie also auch der Internationale Gerichtshof in Nürnberg. Das war ja ein Militärgericht der Siegermächte. Dazu muss man natürlich auch wissen, warum dies so geschehen ist. Es gab auch Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg und die sind danach angeklagt worden. Doch es kam damals nicht zu einer Auslieferung der Schuldigen an die Alliierten. Auch Holland hat Wilhelm II., der mit Ausbruch der Revolution 1918 dorthin ins Exil geflüchtet ist, nicht ausgeliefert. Und die deutsche Justiz, die in dieser Zeit sowieso sehr reaktionär gewesen ist, hat versagt, sehr milde Strafen verhängt bzw. gar keine. Das war einer der Hauptgründe, dass man 1945 ein internationales Gericht einberief.
Das Wort »Siegerjustiz« denunziert auch die Verbindlichkeit der Nürnberger Prinzipien heute.
Die Nürnberger Prinzipien, das heißt die Sanktionierung von Verbrechen gegen den Frieden, von Kriegsverbrechen und von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sind praktisch die Grundlage für das gesamte moderne Völkerstrafrecht. Sie sind maßgebend sowohl für den Internationalen Strafgerichtshof, der versucht, ein Weltgericht zu sein - was schon eine Vision von Thomas Mann war, der den Nürnberger Prozess kommentiert hat - als auch für die so genannten Ad-hoc-Tribunale für Ruanda und Jugoslawien und sonstige Verfahren nach Systemwechsel.
Von »Siegerjustiz« wird auch hinsichtlich der justiziellen »Aufarbeitung« von DDR-Geschichte gesprochen. Zu Recht?
Das ist mir unverständlich. Man kann sicher heftige Kritik an einzelnen Urteilen und Entscheidungen treffen, aber dass nun diejenigen, die für sich in Anspruch nahmen, besonders gründlich mit dem Faschismus aufgeräumt zu haben, diese Begrifflichkeit übernehmen, die schon 1945 benutzt worden ist, um eben Prozesse gegen Kriegsverbrecher zu diffamieren, das finde ich etwas sehr merkwürdig.
Fragen: Karlen Vesper
Weber: Natürlich. Auch das Wissen darum, dass ein Jahr vor Eröffnung des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses im selben Raum die schrecklichen Verhandlungen von Freislers »Volksgerichtshof« gegen die Widerstandskämpfer des 20. Juli stattgefunden haben. Und es war für jemanden, der Geschichtsbewusstsein hat, auch ein großes Erlebnis, als das Kammergericht 1991 wieder in sein ursprüngliches Domizil einzog, in dem nach 1945 ja der Alliierte Kontrollrat die Regierungsgewalt über Deutschland ausgeübt hat.
Die westdeutsche Nachkriegsjustiz hat sich sehr lange schwer getan mit der Aufarbeitung ihrer Beteiligung an NS-Verbrechen.
Das kann man wohl sagen. Dazu braucht man nur auf das in der DDR erschienene Braunbuch zu verweisen. Ich erinnere mich an eine Episode Ende der 80er Jahre. Das Kammergericht hatte damals seinen Sitz in der Witzlebenstraße, wo das Reichskriegsgericht einst getagt hat. Eine Bürgerinitiative hatte eine Gedenktafel für die Opfer des Reichskriegsgerichts aufgestellt. Und da gab es doch tatsächlich einen Richter vom Kammergericht, der völlig eigenmächtig und ohne jegliche Berechtigung Bauarbeiter auf der Straße aufgefordert hat, dieses Schild abzureißen.
Zurück zu Nürnberg 1945/46 - noch immer hört man den Vorwurf »Siegerjustiz«. Ihr Argument?
Dieser Vorwurf wird immer dann erhoben, wenn die nationalen Gerichte nicht selbst über die Verbrechen der Vergangenheit entscheiden, sondern fremde Gerichte wie also auch der Internationale Gerichtshof in Nürnberg. Das war ja ein Militärgericht der Siegermächte. Dazu muss man natürlich auch wissen, warum dies so geschehen ist. Es gab auch Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg und die sind danach angeklagt worden. Doch es kam damals nicht zu einer Auslieferung der Schuldigen an die Alliierten. Auch Holland hat Wilhelm II., der mit Ausbruch der Revolution 1918 dorthin ins Exil geflüchtet ist, nicht ausgeliefert. Und die deutsche Justiz, die in dieser Zeit sowieso sehr reaktionär gewesen ist, hat versagt, sehr milde Strafen verhängt bzw. gar keine. Das war einer der Hauptgründe, dass man 1945 ein internationales Gericht einberief.
Das Wort »Siegerjustiz« denunziert auch die Verbindlichkeit der Nürnberger Prinzipien heute.
Die Nürnberger Prinzipien, das heißt die Sanktionierung von Verbrechen gegen den Frieden, von Kriegsverbrechen und von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sind praktisch die Grundlage für das gesamte moderne Völkerstrafrecht. Sie sind maßgebend sowohl für den Internationalen Strafgerichtshof, der versucht, ein Weltgericht zu sein - was schon eine Vision von Thomas Mann war, der den Nürnberger Prozess kommentiert hat - als auch für die so genannten Ad-hoc-Tribunale für Ruanda und Jugoslawien und sonstige Verfahren nach Systemwechsel.
Von »Siegerjustiz« wird auch hinsichtlich der justiziellen »Aufarbeitung« von DDR-Geschichte gesprochen. Zu Recht?
Das ist mir unverständlich. Man kann sicher heftige Kritik an einzelnen Urteilen und Entscheidungen treffen, aber dass nun diejenigen, die für sich in Anspruch nahmen, besonders gründlich mit dem Faschismus aufgeräumt zu haben, diese Begrifflichkeit übernehmen, die schon 1945 benutzt worden ist, um eben Prozesse gegen Kriegsverbrecher zu diffamieren, das finde ich etwas sehr merkwürdig.
Fragen: Karlen VesperND: Der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess wurde am 18. Oktober 1945 am Berliner Kammergericht eröffnet, an dem Sie mehr als 20 Jahre Richter waren. Hat Sie das beruflich motiviert?
Weber: Natürlich. Auch das Wissen darum, dass ein Jahr vor Eröffnung des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses im selben Raum die schrecklichen Verhandlungen von Freislers »Volksgerichtshof« gegen die Widerstandskämpfer des 20. Juli stattgefunden haben. Und es war für jemanden, der Geschichtsbewusstsein hat, auch ein großes Erlebnis, als das Kammergericht 1991 wieder in sein ursprüngliches Domizil einzog, in dem nach 1945 ja der Alliierte Kontrollrat die Regierungsgewalt über Deutschland ausgeübt hat.
Die westdeutsche Nachkriegsjustiz hat sich sehr lange schwer getan mit der Aufarbeitung ihrer Beteiligung an NS-Verbrechen.
Das kann man wohl sagen. Dazu braucht man nur auf das in der DDR erschienene Braunbuch zu verweisen. Ich erinnere mich an eine Episode Ende der 80er Jahre. Das Kammergericht hatte damals seinen Sitz in der Witzlebenstraße, wo das Reichskriegsgericht einst getagt hat. Eine Bürgerinitiative hatte eine Gedenktafel für die Opfer des Reichskriegsgerichts aufgestellt. Und da gab es doch tatsächlich einen Richter vom Kammergericht, der völlig eigenmächtig und ohne jegliche Berechtigung Bauarbeiter auf der Straße aufgefordert hat, dieses Schild abzureißen.
Zurück zu Nürnberg 1945/46 - noch immer hört man den Vorwurf »Siegerjustiz«. Ihr Argument?
Dieser Vorwurf wird immer dann erhoben, wenn die nationalen Gerichte nicht selbst über die Verbrechen der Vergangenheit entscheiden, sondern fremde Gerichte wie also auch der Internationale Gerichtshof in Nürnberg. Das war ja ein Militärgericht der Siegermächte. Dazu muss man natürlich auch wissen, warum dies so geschehen ist. Es gab auch Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg und die sind danach angeklagt worden. Doch es kam damals nicht zu einer Auslieferung der Schuldigen an die Alliierten. Auch Holland hat Wilhelm II., der mit Ausbruch der Revolution 1918 dorthin ins Exil geflüchtet ist, nicht ausgeliefert. Und die deutsche Justiz, die in dieser Zeit sowieso sehr reaktionär gewesen ist, hat versagt, sehr milde Strafen verhängt bzw. gar keine. Das war einer der Hauptgründe, dass man 1945 ein internationales Gericht einberief.
Das Wort »Siegerjustiz« denunziert auch die Verbindlichkeit der Nürnberger Prinzipien heute.
Die Nürnberger Prinzipien, das heißt die Sanktionierung von Verbrechen gegen den Frieden, von Kriegsverbrechen und von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sind praktisch die Grundlage für das gesamte moderne Völkerstrafrecht. Sie sind maßgebend sowohl für den Internationalen Strafgerichtshof, der versucht, ein Weltgericht zu sein - was schon eine Vision von Thomas Mann war, der den Nürnberger Prozess kommentiert hat - als auch für die so genannten Ad-hoc-Tribunale für Ruanda und Jugoslawien und sonstige Verfahren nach Systemwechsel.
Von »Siegerjustiz« wird auch hinsichtlich der justiziellen »Aufarbeitung« von DDR-Geschichte gesprochen. Zu Recht?
Das ist mir unverständlich. Man kann sicher heftige Kritik an einzelnen Urteilen und Entscheidungen treffen, aber dass nun diejenigen, die für sich in Anspruch nahmen, besonders gründlich mit dem Faschismus aufgeräumt zu haben, diese Begrifflichkeit übernehmen, die schon 1945 benutzt worden ist, um eben Prozesse gegen Kriegsverbrecher zu diffamieren, das finde ich etwas sehr merkwürdig.
Fragen: Karlen Vesper
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