Es sieht aus wie Sabotage

Geprüft werden muss: Wem nützt der Pfusch am Bau beim neuen Hauptstadtairport »Willy Brandt«?

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach erneuter Verschiebung des Termins der Flughafeneröffnung soll am Montag der Landtag über die Vertrauensfrage von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) abstimmen. Inzwischen fragt sich, ob die eingetretene Lage tatsächlich noch mit Unfähigkeit zu erklären ist oder nicht vielleicht doch mit krimineller Energie.

Tatsächlich könne man den Eindruck von Sabotage gewinnen, wenn man sich den Verlauf und neueste Meldungen vor Augen hält, sagte gestern SPD-Fraktionschef Ralf Holzschuher auf Nachfrage. »Doch existieren dafür keinerlei Belege.« Es müsse jetzt geprüft werden, ob es sich bei den Abweichungen von den genehmigten Bauplänen tatsächlich um Pfusch handelt oder um mehr als das. Zumindest gebe es nach derzeitigem Stand »nicht die geringste Gewähr, dass die Eröffnung im kommenden Jahr stattfinden kann«.

Linksfraktionschef Christian Görke sprach sich dafür aus, die Frage des »Pfuschs am Bau« über Schadenersatzforderungen bis hin zu strafrechtlichen Verantwortungen zu prüfen. Dabei verwies er auf neue Erkenntnisse, denen zufolge ohne Genehmigungen Veränderungen am Bau vorgenommen worden seien. Vor wenigen Tagen wurde die vierte Verschiebung der Eröffnung des Großflughafens Schönefeld bekanntgegeben, weil Neu- und Umbauarbeiten in finanziell kaum schätzbarem Umfang erforderlich seien. Bislang wurde noch nicht untersucht, inwieweit hier noch von Zufall, Unfähigkeit oder Versagen die Rede sein kann und ob das heutige Debakel schon zu Beginn des ganzen unseligen Flughafenbaus angelegt gewesen ist. Waren die Verträge von vornherein so gefasst, dass es bei den Firmen gar kein Interesse an der pünktlichen Eröffnung, wohl aber an einer ewigen Baustelle besteht? Unter der Hand wird längst gefragt: »Warum soll sich die Bauwirtschaft mit 2,5 Milliarden Umsatz am BER begnügen, wenn fünf Milliarden rauszuholen wären?« Sind die unfassbar hohen Gehälter der Spitzenverantwortlichen an einen Erfolg des Projektes gebunden gewesen oder winken ihnen durch dieses Scheitern noch kräftige Zubrote? Wem nützt es?

Eine Insolvenz wäre keine Lösung, weil das Land Brandenburg für 800 Millionen Euro bürgt, sagt Görke. »Wir haben keinen Schuss mehr frei.« Er sprach Platzeck das Vortrauen aus, der Klaus Wowereit als Aufsichtsratsvorsitzender ablösen soll, und sprach von »Neustart« beziehungsweise »neuem Gefühl«. Und Görke fragte: »Was wäre die Alternative? Sollen sich jetzt alle zurückziehen?« Der Linksfraktionschef verwies darauf, dass in unterschiedlichen Phasen alle Parteien die nunmehr entstandene Lage zu verantworten haben. Das wäre im Zusammenhang mit der Sondersitzung von den Regierungsfraktionen auch deutlich zu machen.

Die zusätzlichen Kosten durch die erneute Verschiebung stellen »uns vor große Probleme«, bekannte der SPD-Politiker Holzschuher. Es sei die Frage, ob der kürzlich erst beschlossene Doppelhaushalt durch einen Nachtragshaushalt ersetzt werden müsse. Am Ziel, ab 2014 keine Neuverschuldung mehr, werde aber festgehalten.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Dieter Dombrowski kündigte an, die CDU werde dafür sorgen, dass die Abstimmung über Matthias Platzeck namentlich erfolge. Er frage das Infrastrukturministerium, wie es sein könne, das Dinge gebaut worden sind, die so gar nicht vorgesehen waren, sagte Dombrowski. Die CDU werden die Rechnungshöfe von Brandenburg und Berlin fragen, ob der Flughafen nach den ungeheuren Mehrkosten überhaupt jemals wirtschaftlich vertretbar betrieben werden könne. Dass die Berliner CDU den Regierenden Bürgermeister der Stadt, Klaus Wowereit (SPD) stützt, während die Brandenburger CDU Platzecks Rücktritt gefordert habe, sei normal, meinte Dombrowski. Seiner Ansicht nach müsste die LINKE an allem Schuld sein, denn er behauptete doch tatsächlich: »Wenn wir in der Regierung wären, wäre das Problem nicht da.«

Das auf den ersten Blick widersprüchliche Verhalten der Sozialisten, die in Berlin Wowereit angreifen und in Brandenburg Platzeck unterstützen, erklärte Christian Görke mit einer »völlig anderen Lage«. Während der SPD/CDU-Senat in Berlin auf einem Tiefpunkt bei der Zustimmung angelangt sei, könne Rot-Rot in Brandenburg auf eine stabile Mehrheit unter den Wählern verweisen.

Der Eröffnungstermin ist auch überhaupt kein Anlass für einen Koalitionskrach, denn SPD und LINKE wollen beide allein schon wegen der Kosten einer immer weiteren Verzögerung, dass der Airport schnell ans Netz geht - »je früher, desto besser«, wie Linksfraktionschef Görke formuliert.

Streitpunkt ist dagegen das Nachtflugverbot. Die LINKE möchte im Interesse der Anwohner Ruhe von 22 bis 6 Uhr, die SPD im Interesse der Wirtschaftlichkeit nur von 0 bis 5 Uhr. Hier wittert der Potsdamer Linksparteichef Sascha Krämer durch Platzecks Vertrauensfrage eine Chance. »Ich denke, die LINKE sollte diese Gelegenheit nutzen und die SPD zur Zustimmung zum konsequenten Nachtflugverbot ermuntern«, sagt der 35-Jährige.

Die Grünen forderten gestern Platzecks Rücktritt. Der »lächerliche« Rollentausch mit Wowereit lasse nicht erkennen, dass er nun etwas besser machen könne, sagte Grünen-Fraktionschef Axel Vogel. Die Vertrauensfrage sei nur ein »Disziplinierungsinstrument« für die Koalition und diene dazu, das »klägliche Krisenmanagement« absegnen zu lassen.

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