72-jähriger Busfahrer verurteilt

Angestellter eines Subunternehmens überfuhr Anfang 2012 gehbehinderten Rentner

  • Lesedauer: 3 Min.
Peter Kirschey berichtet aus Berliner Gerichtssälen
Peter Kirschey berichtet aus Berliner Gerichtssälen

Er war der erste Verkehrstote des Jahres 2012, der 76-jährige Rentner Karl-Heinz S. Am 17. Januar wollte er gegen 17.45 Uhr die Kreuzung Groß-Ziehtener-Chaussee Ecke Neuköllner Straße in Rudow überqueren. Es war ähnliches Wetter wie in diesen Tagen: trübe, grau, nieselig. Die Ampel zeigte Grün, mehrere Passanten überquerten die Straße, der gehbehinderte Rentner war nicht so schnell wie die anderen, hatte noch drei Meter vor sich, als er von einem BVG-Bus der Linie 373 erfasst wurde. Er stürzte so unglücklich, dass er drei Stunden später im Krankenhaus verstarb.

Gestern nun das gerichtliche Nachspiel. Anklage wegen fahrlässiger Tötung, kein Verbrechen, ein Vergehen. Der heute 72-jährige Busfahrer Miodrag G. ist ein alter Profi und noch immer gezeichnet vom Geschehen vor einem Jahr. Seit 40 Jahren sitzt er hinter dem Steuer eines Busses. Bisher unfallfrei. Tage vor dem Zusammenstoß hatte er eine obligatorische Tauglichkeitsprüfung erfolgreich absolviert. Es gab nichts zu beanstanden. Für Busfahrer existieren offiziell keine Altersgrenzen, bei der BVG kommt es faktisch nicht vor, dass ein Busfahrer im Rentenalter hinter dem Steuer sitzt.

Doch für das landeseigene Unternehmen arbeiten verschiedene Subunternehmen, die einzelne Strecken bedienen, und da kommen auch Fahrer zum Einsatz, die sich zu der mageren Rente ein paar Euro hinzuverdienen. Das ist auch bei Miodrag G. der Fall. Seine 1000 Euro Rente reichen nicht zum Leben, also macht er weiter auf 400-Euro-Basis. Was an jenem Abend an der Kreuzung geschah, daran hat er nur wenige Erinnerungen. Ein Schock hat das Geschehen überlagert. Aus verschiedenen Zeugenaussagen ergibt sich folgendes Bild: Der 373er Bus muss an der Kreuzung links abbiegen, um dann noch wenige Meter bis zur Endhaltestelle zu fahren.

Er stand bei Rot, sah bei schlechten Lichtverhältnissen die Fußgänger, wie sie die Groß-Ziehtener-Straße überquerten. Er rollte langsam an den Fußgängerbereich heran, behinderte nun aber den entgegenkommenden Verkehr. Weil ein laut hupender und blinkender BMW ihm entgegenkam und ein Zusammenstoß möglich geworden wäre, zeigte Miodrag G. offensichtlich Nerven und fuhr wieder an, um die Kreuzung zu räumen. In dieser Sekunde traf er auf den Fußgänger. Den Pkw-Fahrer trifft keine Schuld, wollte er doch auf sein Recht der freien Fahrt aufmerksam machen. Hätte er gebremst und still gewartet, bis der Bus weggerollt war, vielleicht wäre das Unglück nicht geschehen. Doch dies ist reine Spekulation. Ebenso die Frage, wie genau der Fußgänger die Straße überquert hat und ob er schräg die Straße passierte. Zumindest war es eine Situation, in die so ziemlich jeder Autofahrer schon einmal geraten sein könnte - nur eben nicht mit solch tragischem Ausgang. Das Gericht verurteilte den Unglücksfahrer zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 45 Euro und zur Übernahme der Gerichtskosten. Die Höhe eines Tagessatzes richtet sich nach dem angenommenen Einnahmen des Verurteilten an einem Tage. Bei Miodrag G. ging man von einer Tageseinnahme von 45 Euro aus.

»Ein Moment mehr Geduld beim Abbiegen schafft mehr Sicherheit«, erklärte der Richter in seiner Urteilsbegründung. Und das war auch der Appell an alle Autofahrer, sich nicht unter Druck setzen zu lassen und lieber eine Sekunde mehr in Kauf zu nehmen, um dann ganz sicher zu sein, dass man kein Unheil anrichtet.

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