Sinn des Schweigens
Das Leben der Mönche als Film: »Die große Stille«
Unzeitgemäßer kann man nicht leben, als diese Karthäuser-Mönche im Alpenkloster Grande Chartreuse. Sie sind ein strenger Schweigeorden. Wie macht man einen 162-minütigen Film über ein Kloster, in dem nur geschwiegen wird?
Man muss dazu wohl selber so schweigsam veranlagt sein wie der Filmemacher Philip Gröning. In dem Film durften weder Kommentare noch künstliches Licht oder Musik vorkommen, das war eine Bedingung der Mönche. Das mit dem Licht war die härteste Bedingung, denn im Kloster ist es dämmerig. Selbst der Kreuzgang wird nur von 7,5 Watt starken Glühbirnen beleuchtet. Dass Gröning überhaupt ins Kloster eingelassen wurde, grenzt an ein Wunder. Als Gröning das erste Mal beim Karthäuser-Orden anfragte, ob er nicht einen Film über sie machen dürfe, war die Antwort: Natürlich nicht! Das war vor fünfzehn Jahren. Seitdem ist er in Kontakt mit den Karthäusern auch der kleineren Klöster. Und als einer der Priore aus einem kleinen Kloster Abt im Mutterkloster Grande Chartreuse in den französischen Alpen wurde, und als noch etwas Zeit verging und man zusammen eine Weile sehr freundschaftlich geschwiegen hatte, fragte ihn dieser Abt: »Wollten Sie nicht einen Film über uns machen?«
»Die große Stille« ist sehr avantgardistisch geworden, musste es werden, denn nur Gröning allein durfte kommen und mit den Mönchen leben, einige Monate lang. Insgesamt blieb er ein halbes Jahr und hatte nur seine Kamera dabei. Aber wenn man in ein mittelalterliches Kloster geht, dann wenigstens mit allermodernstem Gerät! Gröning, der Ein-Mann-Filmer, besorgte sich also »High definition«, das ist die Technik, mit der George Lucas seinen »Krieg der Sterne« gedreht hatte - noch schärfer, noch hochauflösender geht es nicht, mitsamt seinen vier Tonspuren. In einem Schweigekloster muss man nämlich besonders genau hinhören, denn ein Stummfilm sollte es ja nicht werden. Ob es nun an »High definition« oder an den Karthäusern liegt, ist unklar, jedenfalls macht so ein Schweigekloster eine Menge Lärm. Jeder Schritt ein Donnerhall, Türen schlagen, Stoff reibt aufeinander, ein alter Mönch atmet laut beim Gehen, ein anderer hackt Holz, und in der Küche wird auch gearbeitet. Plötzlich hören wir wieder, was für Geräusche es macht, wenn wir nur leben und noch gar nicht zu reden begonnen haben. Am lautesten sind vielleicht die elektrischen Haarschneidemaschinen der Mönchsfriseure, die sind noch nicht ganz auf dem technischen Stand von Grönings »Equipment«.
Fast alle Mönche haben sich filmen lassen. Aber das dauerte. Nachdem Gröning eine Weile im Kloster herumgeschlichen war, wissend, dass er hier nur stört, entschloss er sich, von jedem Mönch eine Porträteinstellung zu machen. Danach war das Eis gebrochen und Gröning überall dabei, aber niemand störte sich mehr an ihm. Den Mönchen ist das Reden nicht verboten, aber sie schreiben sich lieber kleine Zettel. Irgendwann wusste Gröning, dass er es laut aussprechen konnte, wenn er beim Filmen etwas brauchte und nicht erst einen Zettel schreiben musste, wo drauf stand: »Gib mir mal den Dreifachstecker!« Denn auch in einem Karthäuser-Kloster darf gesprochen werden, wenn es zur Arbeit notwendig ist. Der erste Blick in ein so geschlossenes Kloster erinnert an Umberto Ecos »Der Name der Rose«, und man erwartet immer, auf irgendwelche dunklen Geheimnisse zu stoßen. Aber dann sehen wir erstaunt, wie selbstbestimmt hier jeder Bruder lebt, jeder seine Stimme hat. So ein Orden ist ja eine frühe demokratische Einrichtung. In der Geschichte gewiss oft auch ein besonders effektives Instrument im Glaubenskampf, aber heute ist es zuallererst ein Schutzraum Gleichgesinnter innerhalb der katholischen Kirche, gelebte Kritik an der modernen, medial gesteuerten Lebensweise, Kritik auch am Kapitalismus - und vielleicht sogar an der Institution Kirche. Die Karthäuser sind sehr streng in der Auswahl ihrer neuen Mitbrüder. Nur wenige der Novizen werden aufgenommen, denn alle Mönche müssen einverstanden sein.
Ist das nur ein Blick in eine exotisch anmutende, aber vergangene Welt, etwas rein Museales, was allein deshalb so spektakulär anmutet, weil es uns so fern steht? Nein, bedenkt man Gottfried Benns Wort, im 21. Jahrhundert werde es bloß noch Verbrecher und Mönche geben, dann sieht man das hier anders. Mönch ist jemand, der vor den Grundfragen seiner Existenz nicht fortlaufen will, ein Extremist des Stillhaltens, einer, der sich nur als Gast auf dieser Welt fühlt - und jeden individuellen Selbstverwirklichungsanspruch für ein geistiges (und geistliches) Leben aufgibt. Es ist eine Existenz jenseits aller Nützlichkeitskalküle. Noch mitten in der Nacht finden sich die Mönche zum Gebet zusammen.
So viel Beten und Singen, das wäre mir nichts, sagt unser Alltagsbewusstsein, und dann stellt sich sofort die Frage ein, wie sinnvoll denn das ist, womit wir den Großteil des Tages verbringen, abgelenkt von uns selbst und unserer Sterblichkeit. Der Film wird zur großen Meditation in Bildern darüber, worin das Geheimnis dieser Mönche besteht. Wir ahnen, es ist die Überwindung der Zeit. Plötzlich hat man alle Zeit der Welt, wenn man die Dinge auf sich zukommen lässt. Mönchsein, das ist eine statische, eine angstfreie Existenz. Man läuft der Zeit, die man ohnehin nie einholen wird, nicht hinterher. Ist dieses Aus-der-Welt-Herausgehen nur eine simple Weltflucht? Eher ein Versuch, mit Abstand auf die vielen Nichtigkeiten zu blicken, die den Tag okkupieren, der Wille, zum Wesentlichen zu finden. Zurückzufinden oder hinzufinden? Beides zugleich.
Das Schweigen ist eine universelle Sprache. Bei den Karthäusern schweigt man aus Hochachtung vor dem Wort. Nur, wer schweigen kann, kann auch hören. Allerdings, niemand vermag ein Ideal zu leben, ohne wenigstens ab und zu eine Pause zu machen. So sieht man dann einen Mönch auf dem Dachboden Katzen füttern, und dabei sprudeln die Worte nur so heraus. Katzen brauchen die Ansprache, wissen sogar die Karthäuser, mit bloßem Schweigen macht man sie sich nicht vertraut. Als Gröning seinen Film den Mönchen im Kloster vorführte (ohne ihr Einverständnis käme er jetzt nicht ins Kino), lachten sie alle besonders laut an dieser Stelle. Wohl jeder von ihnen hat hier so etwas wie diese Katzen, wo er mehr Mensch als Mönch sein kann.
Es ist eine seltsame, sogar eine befremdliche Welt, in die wir da für zweieinhalb Stunden eintauchen. Aber blicken wir einmal anders darauf: Die hektische, fast sinnverlorene Welt, in der wir tagtäglich leben, ist ja so unvollkommen, dass allein das Wissen um die Existen...
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