Käthe Kollwitz jetzt mit Krone

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 2 Min.

In seinem gedanklichen Kern ist die Schwabensuade des eingewanderten Wolfgang Thierse nichts anderes als ein Vorurteil, in dem das Schema der Ablehnung, des grummelnden Vorbehaltes gegenüber Fremden bzw. als fremd Empfundenen innewohnt. Wenn sich einer wie der SPD-Politiker Wolfgang Thierse gegen die angebliche Ver- und Überfremdung seines Wohngebietes durch schwäbische Kultur und Idiom verwehrt, geht das allerdings vielen als Folklore durch.

Der Unterschied zwischen Schwaben-Bashing und - sagen wir - dem Ressentiment gegen zugewanderte Türken und Araber liegt in der praktischen Konsequenz des Gedanklichen. Thierse mokiert sich über schwäbische Backspezialitäten, der Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky tat ähnliches in seinem Buch »Neukölln schafft sich ab« über schweinefleischfreie Imbisse in dem von ihm regierten Bezirk. Der eine (Thierse) forderte zu satirischen Aktionen, lächerlichen politischen Possen heraus, der andere (Buschkowsky) provozierte ernsthafte Debatten über fehlende Toleranz und Islam᠆feindlichkeit.

Diskriminierung und Ausgrenzung sind an Macht und Herrschaft geknüpft. Hätten Schwaben eine jahrhundertelange Geschichte von Ausgrenzung und Diskriminierung hinter sich, die Debatte um Thierses Schwaben-Bashing würde anders verlaufen. So aber bleibt die Debatte auf folkloristischem Niveau. Mittlerweile hat sie auch ferne Landen erreicht. Vor wenigen Tagen schaffte es der »Weckle-Schrippen-Konflikt« bis in die »New York Times«, die die Auseinandersetzung mit dem Streit um den Länderfinanzausgleich verknüpfte.

Die Auseinandersetzung hat jetzt erneut an (Achtung: ironisches Wortspiel!) Schärfe gewonnen. Nachdem letzte Woche eine bislang unbekannte Separatistenbewegung mit Namen »Free Schwabylon« die Statue von Käthe-Kollwitz mit gekochten Spätzle verunstaltet hatte, meldeten sich gestern die »Freunde des Käthe-Kollwitz-Museums« zu Wort. Der Verein schickte einen Brief an den Pankower Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD). Darin wird das Attentat als »geschmackliche Entgleisung« gebrandmarkt. Geschmackliche Gegenattacken sind jedoch offenbar nicht geplant. Die Vertretung des Landes Bade-Württemberg blieb - bislang jedenfalls - davon verschont, mit »Berliner Weiße« überschwemmt zu werden.

Zu Ende ist der Streit damit nicht. Am Wochenende wurde eine noch namenlose Anwohner-Initiative aktiv. Aktivisten setzten der Kollwitz-Statue eine goldene Krone auf und drückten ihr Rosen in die Hand. In einer Art Bekennerschreiben hieß es: »Die Rosen sollen ein Zeichen sein, dass hier nicht nur Spätzleesser und -werfer wohnen, sondern auch Anwohner, die wissen, wofür Käthe Kollwitz steht«.

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