Baltenplatz und Mörderkeller

Friedrichshainer Kiezgeschichte in der Galerie des Roten Ladens erzählt

  • Ariane Mann
  • Lesedauer: 3 Min.

Zerstörte Häuser in der Eckardstraße gegenüber der Schule. Fotografiert wurden sie im April 1945. Im Hintergrund ist die Mühsamstraße deutlich zu erkennen. Heute geht man an dieser Stelle einkaufen. Wer kennt die alte Straße noch? Oder das Bild vom Eingang zur U-Bahn der Linie E, die heute die U 5 ist? In der Andreasstraße 17 wohnte Heinrich Zille als Kind. Ob die »Zillekinder« der Grundschule in der Boxhagener Straße das wissen?

An Geschichte vor der Haustür möchte Werner Ruch von der Friedrichshainer Geschichtskommission der Linkspartei erinnern. Die von ihm konzipierte Ausstellung trägt den Titel »Unser Kiez in der Weimarer Republik gegen Faschismus und Krieg« und hängt in der Galerie des Roten Ladens im Weidenweg 17. »Es gibt kaum noch einen Friedrichshainer, der die Weimarer Republik erlebt hat. Heute wohnt hier schon die vierte Generation seit damals«, meint der 81-jährige Ruch.

Deshalb sieht er den Wert der zehn Ausstellungstafeln vor allem in der Information. Sie machen auf Orte im Kiez aufmerksam, die Geschichte schrieben. Der 36-jährige Daniel Wittmer vom Bezirksvorstand der LINKEN Friedrichshain-Kreuzberg bestätigt das. »Geschichtswissen ist so wichtig, um die Gegenwart zu verstehen.«

Das hat er erlebt, als er gegen den Thor-Steinar-Laden in der Petersburger Straße protestierte. Erst da habe er, der aus Dresden kommt, erfahren, dass genau in diesem Gebäude das »Keglerheim«, ein Stammlokal der SA, war, das 1932 zum Folter- und Mörderkeller wurde. Hunderte von Friedrichshainer Antifaschisten und Widerstandskämpfer gegen die Nazis wurden hier misshandelt, gefoltert, ermordet.

»Aber«, so Ruch, »dieses zentrale SA-Lokal war nicht einzige. Gefürchtet war auch das Lokal Viehhofbörse, von dem aus Überfälle gestartet wurden.« Die Linken hatten von 1920 bis März 1933 im Arbeiterbezirk die Mehrheit. Abgestraft wurde der rote Stadtbezirk, als man ihn 1933 in »Horst-Wessel-Bezirk« umbenannte.

Ein Teil der Tafeln war schon 2009 in der Petersburger Straße 92 zu sehen. Seitdem hat sich Werner Ruch auf weitere Spurensuche begeben. Der gebürtige Charlottenburger, der seit 1955 in Friedrichshain zu Hause ist, erweiterte die Ausstellung, die mit Einblicken in die bezirkliche Infrastruktur in der Weimarer Republik beginnt und mit der Forderung, eine Straße nach dem 1992 von Neonazis ermordeten Silvio Meier zu benennen, endet.

Über die Stolpersteine am Weidenweg 58 für Vater und Sohn Wegener wird berichtet. Namen wie Kurt Gutmann und Lore Krüger, sie starb 94-jährig im Jahr 2009, werden genannt. Beide haben unzähligen Jugendlichen über ihr Leben und vom antifaschistischen Widerstandskampf erzählt, sie berührt und beeinflusst.

Zu erfahren ist auch von Nikolai Bersarin, der seit 2003 wieder Ehrenbürger Berlins ist. Der nach dem sowjetischen ersten Berliner Stadtkommandanten benannte Platz hieß einst Baltenplatz. Der Roman »Auf Leben und Tod« von Karl Veken (1904-1971) basiert auf Ereignissen rund um diesen und persönlichen Erfahrungen des Widerstandskämpfers und Häftlings. Nach Kriegsende war der DDR-Schriftsteller zunächst Lehrer in Berlin. Auch auf ihn hat die Ausstellung neugierig gemacht, das Buch ist antiquarisch zu erhalten. Weitere Publikationen liegen aus. So »Stube und Küche« von John Stave oder »Berlin Alexanderplatz« von Alfred Döblin wie von der Geschichtskommission verfasste Broschüren zu Friedrichshainer Straßen und Persönlichkeiten. Auch ist geplant, diese Dokumentation als Grundlage für eine Publikation zu verwenden.

Bis 13. 2., Roter Laden, Weidenweg 17, 10243 Friedrichshain. Geöffnet montags 13 Uhr bis 18 Uhr, dienstags und donnerstags 10 Uhr bis 18 Uhr, freitags 9 bis 13 Uhr. Tel.: 426 26 87.

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