Polizist mit MfS-Vergangenheit

Ex-Innenminister erklärt: Ordnungshüter wurden Anfang der 1990er Jahre gebraucht

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

Detlef Graf von Schwerin, nach der Wende Potsdamer Polizeipräsident, erhob am Freitag Vorwürfe gegen den damaligen Innenminister Alwin Ziel (SPD). Der Ermessensspielraum für die Entfernung stasi-belasteter Polizisten aus dem Dienst sei nicht genutzt worden, sagte er. Nach jahrelanger Tätigkeit für das DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) oder nach einer jahrzehntelangen Tätigkeit in der K-1, einer politischen Abteilung der DDR-Volkspolizei, habe ein Polizist nicht die nötige Eignung für die Übernahme besessen, fand Detlef Graf von Schwerin. Er habe das seinerzeit gegenüber dem Innenministerium auch deutlich gemacht, betonte er. Dass die meisten von ihnen dennoch übernommen worden seien, habe ihm »schlaflose Nächte« bereitet.

Ziel sagte, er bekenne sich dazu. Als er im September 1990 Innenminister wurde, sei er »nicht voller Hass« gewesen, erklärte er am Freitag vor der Enquetekommission des Landtags zur Aufarbeitung der Nachwendejahre. »Wir wollten wirkliche Demokraten sein, das war unsere oberste Maxime«, erinnerte sich Ziel, der zu DDR-Zeiten aus politischen Gründen festgenommen wurde und heute noch der SPD-Landtagsfraktion angehört. Er vertrete die Auffassung, dass Menschen eine zweite Chance erhalten müssten. Dass unter den damaligen Umständen und unter enormem Zeitdruck auch Fehler begangen worden seien, wollte er »nicht ausschließen«. Ziel gab zu bedenken, dass die Sicherheitslage in Brandenburg Anfang der 1990er Jahre bedenklich gewesen sei. Die Rate der Aufklärung von Verbrechen sei auf ein Viertel gefallen, Rechtsextremisten witterten Morgenluft und begingen furchtbare Straftaten. Die Polizei sei ebenso wie die Einwohner verunsichert gewesen.

1830 Polizisten wurden übernommen, die zuvor hauptamtlich beim MfS oder beim Amt für Nationale Sicherheit gearbeitet hatten beziehungsweise als inoffizielle Mitarbeiter tätig waren - 880 sind heute noch übrig. Rund 500 hatten ihre Vergangenheit in Fragebögen verschwiegen, wurden später der »arglistigen Täuschung« überführt und entlassen oder quittierten von sich aus den Dienst.

Während in Brandenburg etwa 20 Prozent der Polizisten bei Nachprüfungen erwischt worden sind, waren es in Mecklenburg-Vorpommern 56 und in Sachsen 39 Prozent. Während es allerdings in Brandenburg nicht einem einzigen Betroffenen gelang, sich in den Polizeidienst zurückzuklagen, sei das in Sachsen jedem vierten geglückt, hob der Historiker Burghard Ciesla hervor. Ciesla zufolge genügte der Wandlungsprozess in Brandenburg rechtsstaatlichen Kriterien, gerade wegen der praktizierten Einzelfallprüfung. »Eine Tätigkeit für das MfS war kein hinreichender Kündigungsgrund.«

»Wer wiederholt lügt, den kann man nicht als loyal bezeichnen«, meinte die Stasi-Landesbeauftragte Ulrike Poppe. Man könne auch nicht sagen, solche Menschen hätten sich glaubhaft von ihrer Vergangenheit gelöst.

Auch für diese Leute galt in jedem Stadium die Einzelfallprüfung, beharrte Ziel. Er wies die Auffassung zurück, es habe derjenige den größten beruflichen Erfolg gehabt, der am besten log. »Das ist nicht richtig, man musste auch später damit rechnen, überführt und zur Verantwortung gezogen zu werden«, wandte Ziel ein. »Das gilt bis heute.« Überlegungen, die gesamte Polizei auszutauschen, seien angestellt, jedoch rasch wieder verworfen worden, sagte Ziel. »Dann hätte man gleich die ganze DDR-Bevölkerung unter Generalverdacht stellen können.« Hinzu sei gekommen, dass neue Polizisten nicht nach Belieben zur Verfügung standen. Seine Anfrage an das Partnerland Nordrhein-Westfalen habe ganze 100 Beamte erbracht.

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