Die Mauer? Bloß ein Haufen Beton.

Die Jazzer Willem Breuker und Andreas Altenfelder über ihr musikalisches Leben zwischen Osten und Westen

Am Sonnabend erhält Willem Breuker die Ehrenurkunde der deutschen Schallplattenkritik. Der niederländische Komponist, Saxofonist und Klarinettist war schon vor der Wende in Deutschland Ost und West populär. 1980 schloss sich der in Ilmenau geborene Trompeter Andreas (Andy) Altenfelder dem Willem Breuker Kollektief (WBK) an. Mit den Musikern sprach ANNEMIEKE HENDRIKS in der Amsterdamer WBK-Werkstätte.

ND: Welche Bedeutung hat die Ehrenurkunde für Sie?

Breuker: Das ist ein renommierter deutscher Preis für internationale Musiker. Ich spiele jetzt vierzig Jahre, wovon die Deutschen dreißig Jahre miterlebt haben. In beiden Deutschländern ist mein Schaffen immer viel ernster genommen worden als hier in den Niederlanden. Das hat wohl damit zu tun, dass man in Deutschland kaum etwas gekannt hat, das sich mit uns vergleichen ließ.

Wie war das, vor dreißig Jahren beidseits der Mauer aufzutreten?

Breuker: Wir spielten regelmäßig in West-Berlin, und die Jazzmusiker dort unterhielten gute Kontakte zu den Kollegen in der DDR. Unsere ersten Konzerte im Osten Berlins schlugen ein wie eine Bombe. Das war mitten im Zeitalter des Free Jazz, als alle so laut wie möglich ganz artistisch durcheinander zu piepsen versuchten. Das ging total ernsthaft vonstatten, ohne jede Selbstrelativierung. Deutschland ist traditionell ein recht ernsthaftes Land, West wie Ost. Und da kamen wir. Um 1980 suchten wir einen Brass-Instrumentalisten. Unser Trompeter Boy Raaymakers hat sofort Andy vorgeschlagen, also Andreas Altenfelder. Da stand allerdings noch die Mauer. Ich sagte, na und, das ist bloß ein Haufen Beton. Das alles wäre doch mit Dokumenten und Stempeln zu erledigen.

Klingt reichlich optimistisch, Andy, oder?

Altenfelder: Ja, so einfach war es für uns ostdeutsche Jazzmusiker wirklich nicht, im Westen zu spielen. Deswegen luden wir so oft wie möglich West-Musiker bei uns ein. So kam die DDR-Blechband von Hannes Zerbe, in der ich manchmal mitspielte, auf die Idee, auch Solisten des Willem Breuker Kollektiefs einzuladen. Einer war Boy Raaymakers. Wir haben uns dann angefreundet und konnten ganz gut zusammenspielen. 1979, als Boys Angebot kam, zum Willem Breuker Kollektief zu wechseln, lebte ich direkt an der Mauer. Aus der Wohnung konnte ich nach Kreuzberg schauen. Bis dahin war ich einmal in West-Berlin, um dort zu spielen. Immerhin, ich war in die DDR zurückgekehrt, also ein einigermaßen zuverlässiger Staatsbürger. Und es klappte, ich bekam schnell meinen Pass. Aber dann lief alles schief. Ich musste den Reisepass wieder abgeben, weil Willem einen Beitrag in einem westdeutschen Musikheft geschrieben hatte: über den »Stiefelsozialismus des Herrn Honecker«.
Breuker: In dem Artikel habe ich nur Blödsinn verkündet. Über Jazz, über alles und alle, einfach ein wenig provoziert. Ich konnte doch nicht wissen, dass auch die DDR-Behörden es lesen würden.
Altenfelder: Ich hatte meine Koffer schon gepackt. Da kam die Nachricht, ich dürfte nicht in den Westen. Auf Lebenszeit nicht. ich bin sofort zu Heiner Müller gegangen, der war ein guter Freund. Heiner hatte dieses Musikheft schon vor sich liegen. Und er musste so hemmungslos lachen über das, was Willem da geschrieben hatte. Er kapierte den holländischen Humor sofort.

Aber Ihnen war eher zum Heulen zumute.

Altenfelder: Ja. Aber Heiner Müller sagte mir, schreib doch ans Ministerium, dass alles ein Irrtum ist. Dass Willem nur eine Parodie geschrieben hat, und mit seinen Bemerkungen zu Honecker und zur DDR was ganz Positives gemeint hat. So habe ich es gemacht. Und ein halbes Jahr auf eine Reaktion gewartet. Dann sagte mir Heiner, geh doch mal hin und frag ganz locker nach dem Fortgang. So machte ich es wieder, und da bekam ich wirklich meinen Reisepass und durfte zum ersten Mal nach Holland. Was wohl damit zu tun hatte, dass die DDR Devisen brauchte. Der Staat kassierte fortan von jeder verdienten Mark und jedem Gulden ein Viertel. Bis zum Mauerfall habe ich bezahlt, jedes Mal, wenn ich nach einer Tournee in die DDR zurückkehrte.
Breuker: Und Andy verdiente skandalös wenig, und musste dazu noch leben in Amsterdam. Das war denen natürlich egal. Zum Glück konnten wir sein Gehalt noch ein bisschen runterschrauben und seine Arbeit hingegen mit Fake-Übungsveranstaltungen hochschrauben, damit er weniger bezahlen musste und zugleich länger bleiben durfte. Das konnte nicht so leicht kontrolliert werden.

Wo, Andy, wo waren Sie eigentlich zu Hause in den 80er Jahren?

Altenfelder: Etwa ein Drittel der Zeit in Holland, ein Drittel in der DDR und die restliche Zeit waren wir mit dem Willem Breuker Kollektief unterwegs durch ganz Europa, verschiedene Male auch in China.

Willem, Sie waren immer ein linker, gesellschaftskritischer Bursche. Wie schauten Sie auf die beiden deutschen Staaten?

Breuker: Ich fand dieses geteilte Deutschland eine ziemlich törichte Sache. Aber in der DDR gab es es schon einiges, was mir gut gefallen hat. Die wichtigsten Lebensbedürfnisse waren gut erfüllt. Auch sah es so aus, als ob die Künstler sich der Rigidität des politischen Systems einigermaßen entziehen konnten. Nach dem Mauerfall haben es viele schwerer gehabt. Aber ich muss gestehen, wir sind in den späteren achtziger Jahren in der DDR ein wenig auf Händen getragen worden. In dieser Zeit wurden wir oft offiziell vom Staat eingeladen. Beim Checkpoint Charlie konnten wir sofort weiterfahren. Also schmuggelten wir immer jede Menge Knete, Getränke, und weiß ich was über die Grenze.

Wurden Sie, Andy, an der innerdeutschen Grenze anders behandelt als die Niederländer?

Altenfelder: So was spürte ich manchmal, aber dann ließ ich die Grenzsoldaten merken, dass ich ihre Arbeit akzeptiere, und dann erledigte sich alles schnell. Bis auf dieses eine Mal. Ich bekam in Berlin einen Anruf aus Holland, ob ich eine Tuba über die Grenze schmuggeln könne. Ich wusste, dass mein Telefon abgehört wurde, deswegen hatte ich ja überhaupt einen Telefonanschluss bekommen. Also, daraus wurde nichts, und das sagte ich auch ganz klar am Telefon. An der Grenze, bei Marienborn, wollte der Grenzsoldat mein Musikinstrument sehen. Was das denn sei, fragte er. Das ist eine Trompete, sagte ich. »So, eine Trompete?«, sprach er. Er hatte von oben wohl den Auftrag bekommen, nach einer Tuba zu spüren. Denn er sagte zu mir: Das ist eine Tuba, richtig? Also schrieb er in die Zoll-Erklärung meine Trompete als Tuba ein. Vier Wochen später kehrte ich in die DDR zurück, diesmal über Eisenach, denn ich wollte meine Mutter in Ilmenau besuchen. »Darf ich Ihre Zoll-Erklärung sehen?», fragte der Grenzsoldat. »Aha, eine Tuba. Darf ich die Tuba sehen?« Ja, bitte schön, sagte ich und nehme meine Trompete raus. »In Ordnung, bitte einpacken«. So kam die Trompete in die DDR auch als Tuba wieder rein.

Konzert am Sonntag, 21 Uhr, im Palais der Kulturbrauerei, Berlin, Karten 18 EUR. Tel:(030) 44 31 51 35ND: Welche Bedeutung hat die Ehrenurkunde für Sie?

Breuker: Das ist ein renommierter deutscher Preis für internationale Musiker. Ich spiele jetzt vierzig Jahre, wovon die Deutschen dreißig Jahre miterlebt haben. In beiden Deutschländern ist mein Schaffen immer viel ernster genommen worden als hier in den Niederlanden. Das hat wohl damit zu tun, dass man in Deutschland kaum etwas gekannt hat, das sich mit uns vergleichen ließ.

Wie war das, vor dreißig Jahren beidseits der Mauer aufzutreten?

Breuker: Wir spielten regelmäßig in West-Berlin, und die Jazzmusiker dort unterhielten gute Kontakte zu den Kollegen in der DDR. Unsere ersten Konzerte im Osten Berlins schlugen ein wie eine Bombe. Das war mitten im Zeitalter des Free Jazz, als alle so laut wie möglich ganz artistisch durcheinander zu piepsen versuchten. Das ging total ernsthaft vonstatten, ohne jede Selbstrelativierung. Deutschland ist traditionell ein recht ernsthaftes Land, West wie Ost. Und da kamen wir. Um 1980 suchten wir einen Brass-Instrumentalisten. Unser Trompeter Boy Raaymakers hat sofort Andy vorgeschlagen, also Andreas Altenfelder. Da stand allerdings noch die Mauer. Ich sagte, na und, das ist bloß ein Haufen Beton. Das alles wäre doch mit Dokumenten und Stempeln zu erledigen.

Klingt reichlich optimistisch, Andy, oder?

Altenfelder: Ja, so einfach war es für uns ostdeutsche Jazzmusiker wirklich nicht, im Westen zu spielen. Deswegen luden wir so oft wie möglich West-Musiker bei uns ein. So kam die DDR-Blechband von Hannes Zerbe, in der ich manchmal mitspielte, auf die Idee, auch Solisten des Willem Breuker Kollektiefs einzuladen. Einer war Boy Raaymakers. Wir haben uns dann angefreundet und konnten ganz gut zusammenspielen. 1979, als Boys Angebot kam, zum Willem Breuker Kollektief zu wechseln, lebte ich direkt an der Mauer. Aus der Wohnung konnte ich nach Kreuzberg schauen. Bis dahin war ich einmal in West-Berlin, um dort zu spielen. Immerhin, ich war in die DDR zurückgekehrt, also ein einigermaßen zuverlässiger Staatsbürger. Und es klappte, ich bekam schnell meinen Pass. Aber dann lief alles schief. Ich musste den Reisepass wieder abgeben, weil Willem einen Beitrag in einem westdeutschen Musikheft geschrieben hatte: über den »Stiefelsozialismus des Herrn Honecker«.
Breuker: In dem Artikel habe ich nur Blödsinn verkündet. Über Jazz, über alles und alle, einfach ein wenig provoziert. Ich konnte doch nicht wissen, dass auch die DDR-Behörden es lesen würden.
Altenfelder: Ich hatte meine Koffer schon gepackt. Da kam die Nachricht, ich dürfte nicht in den Westen. Auf Lebenszeit nicht. ich bin sofort zu Heiner Müller gegangen, der war ein guter Freund. Heiner hatte dieses Musikheft schon vor sich liegen. Und er musste so hemmungslos lachen über das, was Willem da geschrieben hatte. Er kapierte den holländischen Humor sofort.

Aber Ihnen war eher zum Heulen zumute.

Altenfelder: Ja. Aber Heiner Müller sagte mir, schreib doch ans Ministerium, dass alles ein Irrtum ist. Dass Willem nur eine Parodie geschrieben hat, und mit seinen Bemerkungen zu Honecker und zur DDR was ganz Positives gemeint hat. So habe ich es gemacht. Und ein halbes Jahr auf eine Reaktion gewartet. Dann sagte mir Heiner, geh doch mal hin und frag ganz locker nach dem Fortgang. So machte ich es wieder, und da bekam ich wirklich meinen Reisepass und durfte zum ersten Mal nach Holland. Was wohl damit zu tun hatte, dass die DDR Devisen brauchte. Der Staat kassierte fortan von jeder verdienten Mark und jedem Gulden ein Viertel. Bis zum Mauerfall habe ich bezahlt, jedes Mal, wenn ich nach einer Tournee in die DDR zurückkehrte.
Breuker: Und Andy verdiente skandalös wenig, und musste dazu noch leben in Amsterdam. Das war denen natürlich egal. Zum Glück konnten wir sein Gehalt noch ein bisschen runterschrauben und seine Arbeit hingegen mit Fake-Übungsveranstaltungen hochschrauben, damit er weniger bezahlen musste und zugleich länger bleiben durfte. Das konnte nicht so leicht kontrolliert werden.

Wo, Andy, wo waren Sie eigentlich zu Hause in den 80er Jahren?

Altenfelder: Etwa ein Drittel der Zeit in Holland, ein Drittel in der DDR und die restliche Zeit waren wir mit dem Willem Breuker Kollektief unterwegs durch ganz Europa, verschiedene Male auch in China.

Willem, Sie waren immer ein linker, gesellschaftskritischer Bursche. Wie schauten Sie auf die beiden deutschen Staaten?

Breuker: Ich fand dieses geteilte Deutschland eine ziemlich törichte Sache. Aber in der DDR gab es es schon einiges, was mir gut gefallen hat. Die wichtigsten Lebensbedürfnisse waren gut erfüllt. Auch sah es so aus, als ob die Künstler sich der Rigidität des politischen Systems einigermaßen entziehen konnten. Nach dem Mauerfall haben es viele schwerer gehabt. Aber ich muss gestehen, wir sind in den späteren achtziger Jahren in der DDR ein wenig auf Händen getragen worden. In dieser Zeit wurden wir oft offiziell vom Staat eingeladen. Beim Checkpoint Charlie konnten wir sofort weiterfahren. Also schmuggelten wir immer jede Menge Knete, Getränke, und weiß ich was über die Grenze.

Wurden Sie, Andy, an der innerdeutschen Grenze anders behandelt als die Niederländer?

Altenfelder: So was spürte ich manchmal, aber dann ließ ich die Grenzsoldaten merken, dass ich ihre Arbeit akzeptiere, und dann erledigte sich alles schnell. Bis auf dieses eine Mal. Ich bekam in Berlin einen Anruf aus Holland, ob ich eine Tuba über die Grenze schmuggeln könne. Ich wusste, dass mein Telefon abgehört wurde, deswegen hatte ich ja überhaupt einen Telefonanschluss bekommen. Also, daraus wurde nichts, und das sagte ich auch ganz klar am Telefon. An der Grenze, bei Marienborn, wollte der Grenzsoldat mein Musikinstrument sehen. Was das denn sei, fragte er. Das ist eine Trompete, sagte ich. »So, eine Trompete?«, sprach er. Er hatte von oben wohl den Auftrag bekommen, nach einer Tuba zu spüren. Denn er sagte zu mir: Das ist eine Tuba, richtig? Also schrieb er in die Zoll-Erklärung meine Trompete als Tuba ein. Vier Wochen später kehrte ich in die DDR zurück, diesmal über Eisenach, denn ich wollte meine Mutter in Ilmenau besuchen. »Darf ich Ihre Zoll-Erklärung sehen?», fragte der Grenzsoldat. »Aha, eine Tuba. Darf ich die Tuba sehen?« Ja, bitte schön, sagte ich und nehme meine Trompete raus. »In Ordnung, bitte einpacken«. So kam die Trompete in die DDR auch als Tuba wieder rein.

Konzert am Sonntag, 21 Uhr, im Palais der Kulturbrauerei, Berlin, Karten 18 EUR. Tel:(030) 44 31 51 35

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