Persönlichkeitsentwicklung, wie mühselig
»K« - Französisches Clownstheater in der Brotfabrik und auf Tournee
Mühsam reckt und streckt sie sich wach, die Clownsfrau. Als Frauenmensch in Nachthemd und Nachtmütze schleppt sie sich ans Lesepult, um sich über eine Mappe alter Aufzeichnungen herzumachen. Doch die Schläfrigkeit schwindet alsbald in »›K‹ - Monolog eines Clowns nach den Tagebüchern Kafkas«.
Die Französin Emilie Olivier entwickelte ihr einstündiges Stück über den deutschsprachigen Dichter bereits in ihrer Heimat. In Zusammenarbeit mit »La Ménagerie« - einer Berliner Theaterplattform von Künstlern aus der frankophonen Szene - brachte sie nun in der Brotfabrik in Berlin ihre überzeugende deutsche, vom Publikum begeistert aufgenommene Version zur Uraufführung. Was sie an Körperbeherrschung vom Kopf bis in die Zehenspitzen aus ihrer tänzerischen Ausbildung mitbrachte, konnte sie bei dem seit 1999 in Paris lebenden Butoh-Performer Gyohei Zaitsu vervollkommnen, sie prägt Gelerntes aber stark persönlich. Judith von Radetzky unterstützte sie bei der deutschen Adaption des sprachlich sorgfältig erarbeiteten Textes.
Affinität zu unserer Sprache besitzt die Stückemacherin Olivier von Kind an. So lag ihr Wunsch nahe, ihre Interpretation zum Werk des Dichters auch in Deutschland vorzustellen. Fremdes bringt sie dabei insofern mit, dass sie Clownstheater zeigt, wie es in Frankreich üblich ist. Ihre Clownsfrau ist stark und zart zugleich.
»K« schreibt, liest, trauert und flucht. Die Olivier spricht gut. Sie wählte Aufzeichnungen Kafkas, in denen er mit Kindheit und Erziehung hadert, sie spürt dem nach, wie diese Zeit einen prägt und wie man später daran trägt. Wörter wie »Schulinspektor«, »Vater«, »Frustration« wollen ihr im Halse stecken bleiben. Sie würgt sie heraus. Kommt die Komik zunächst aus den Bewegungen, wird sie in der knapp einstündigen Inszenierung später auch von Worten gespeist, wenn die Clownsfrau sich einer Verwandlung unterzieht. »K« ist dann Frau, die sich nach Zweifeln und emotionalen Schwankungen, die die Künstlerin durch Musik verstärkt, selbstbewusst präsentiert. Beeindruckend, wie intensiv auch hier ihre sich während des Stücks kaum wiederholenden Gesten wirken. Sie wirft die Clownshülle ab. Zauberhaft, wie sie sich aus- und anzieht, ohne Blöße zu zeigen. Dabei beklagend, dass man sich um die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit so mühen muss.
Selbst beeindruckt zeigte sich die Künstlerin vom Vertrauen, das das Theater ihrer Arbeit entgegenbrachte. In der Tat zeichnet Offenheit die Weißenseer Brotfabrikbühne aus. 61 Theatergruppen zeigten hier im vergangenen Jahr 91 Produktionen in 292 Aufführungen. Darunter waren Gäste aus den Niederlanden, der Schweiz, Italien, Frankreich, Belarus, Griechenland und Schweden. In diesem Jahr gibt es bereits Kontakte für Gastspiele und Koproduktionen auch aus Luxemburg und Tunesien.
Das vergangene Jahr war mit fast 10 000 Besuchern - einem Zuwachs von 20 Prozent - das erfolgreichste in der Geschichte des kleinen Theaters, das sich dank einer Investitionsförderung des Berliner Senats technisch etwas besser ausstatten konnte. Zum Vertrauen in die Zusammenarbeit mit jungen Autoren und Regisseuren bei Produktionen für Kinder wie für Erwachsene kommt der Mut zu neuen Formaten, die der seit fünf Jahren verantwortliche künstlerische Leiter Nils Foerster immer neu beweist. Ein Beispiel dafür ist das 2012 erstmals gelungene »24h-Theater Berlin«, das im März und Juni seine Fortsetzung finden wird. Auch die Lothar-Trolle-Reihe geht weiter. Dazu kommt ein 1. Berliner Impro-Theater-Marathon mit Rahmenprogramm Ende April. Und nach ersten guten Erfahrungen mit Open-Air-Theater auf dem Mirbachplatz ist dort wieder eine vierwöchige Spielzeit vorgesehen.
Begonnen hat das neue Theaterjahr in Weißensee sehr gut. Die französische Künstlerin ist von hier aus mit »K« auf ihre deutsche Gastspielreise gegangen: VariUTé, Leipzig-Connewitz (19.2.) und Espace Nuage Fou, Freiburg (22.2.).
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.