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Tausendsassa mit Kehrseite

Wolfgang Tiefensee - gerade designiert und schon eine Biografie

  • Frank Schumann
  • Lesedauer: 5 Min.
Aufmachung, Gestaltung und Typographie sind gediegen. Der Erscheinungstermin ist professionell: Noch nicht im Amt, aber schon gibt es die Ministerbiografie. Der Duktus auf den ersten Seiten überschwenglich, fast servil: »Wolfgang Tiefensee strahlt zwingenden Präsenz aus.« Oder, um die Nähe zur künftigen Chefin zu zeigen: »Wolfgang Tiefensee machte im Sommer 1973 an der Erweiterten Oberschule (EOS) "Georgi Dimitroff" Abitur, die damalige Angela Kassner nahm im Herbst ihr Studium der Physik an der Karl-Marx-Universität Leipzig auf. Tiefensees Schule und Merkels Fakultät lagen kaum drei Gehminuten voneinander entfernt.« Eines der drei Porträt-Fotos auf dem Cover zeigt sehr auffällig das SPD-Logo. All das nährt zwingend den Verdacht, hier habe eine Institution ihre segnenden Hände mit im Spiele. Und man kennt ja die Mechanismen des Medienmarktes, nach denen die vermeintliche öffentliche Neugier an einem Newcomer rasch bedient werden muss. Meist gelingt dies nur oberflächlich und mäßig. Der Leser erfährt die Abfolge des politischen Aufstiegs, garniert mit Zitaten: Der Mensch hinter den Funktionen wird kaum erkennbar. Das Übliche, so meint man nach Lektüre der ersten Seiten auch hier. Doch dann stutzt man. Tiefensee habe sich einem Gespräch mit dem Autor nicht nur entzogen, sondern verweigert, erfährt der Leser. Die Gründe sind nicht bekannt. Helge-Heinz Heinker war Wirtschaftsredakteur bei der »Leipziger Volkszeitung« und soll dem Vernehmen nach dort und in anderen Blättern seit Jahren nicht mehr gedruckt werden. Übertrebene DDR-Freundlichkeit wird nicht der Grund sein. Heinkers in diesem Buch getroffene Wertungen und Sichten auf Vorgänge in seiner Heimatstadt und Gesellschaft von damals und heute bewegen sich keineswegs außerhalb des Mainstreams und gängiger Klischees. Gleichwohl, und darum ist diese biografische Skizze dennoch interessant: Was zunächst als einschmeichelnde Lobhudelei erscheint, wie sie fortgesetzt aus den Federn von Journalisten bei Hofe fließt, entwickelt sich zunehmend als Bloßstellung eines kalt kalkulierenden Machtpolitikers. Da ist die Vorstellung der Ingredenzien, die ihn in die politische Führung seiner Partei und des Landes aufsteigen ließen, fast nur illustratives Beiwerk: wie es der Forschungs- und Entwicklungsingenieur im VEB Fernmeldewerk Leipzig 1990 üner den Runden Tisch zum Stadtrat ohne Ressort und dann zum Oberbürgermeister und jetzt Minister brachte. Ein ostdeutscher Saubermann, der für allerhöchste Ämter taugt. Und der im April 2003 in München, bei der nationalen Olympiabewerbung, erklären konnte: »Gäbe es die Mauer noch, stünde ich nicht hier.« Heinker macht sichtbar: Wir haben es hier mit einer selbstinszenierten Politikerkarriere zu tun. Hier bedient sich einer der Medien, um ein Bild von sich in der Öffentlichkeit zu schaffen, das er von sich abgeben möchte. Heinker spricht von einer »hypertrophierten Kommunikationsmaschine«. Der »moderierende Kommunikator« Tiefensee wisse um die Wirkung des »genormten Auftritts«, der fast perfekt funktioniert, weil er »hundertfach erprobt« ist. Er allein (»Große Entscheidungen trifft man immer allein.«) hat große Industrieunternehmen nach »Boomtown« Leipzig geholt, er ist »der Tausendsassa auf dem Stuhl des Leipzigers Oberbürgermeisters« (seit 1998), er verpasste sich mit medialer Hilfe ein »Macher-Image«. Pannen hingegen - von der Pleite mit dem städtischen Betrieb für Beschäftigungsförderung (bfb) etwa oder das nationale Schlachtfest um die Olympiabewerbung, die mit einer vermeintlichen Stasi-Verstrickung des Geschäftsführers der Bewerbungsgesellschaft losgetreten wurde -, werden von ihm marginalisiert. Heinker konstatiert nüchtern: »Keine der großen Krisen aus der Amtszeit von Oberbürgermeister Tiefensee wurde abschließend beigelegt.« Jetzt hat er sich ins Ministeramt gerettet. Eine Berufung durch Schröder lehnte er seinerzeit ab, nun folgte Tiefensee dem Ruf nach Berlin gern. Zumal er sich nicht nur durch seine Teilnahme als einziger ostdeutscher Kommunalpolitiker in der Hartz-Kommission 2002/2003 für höhere Weihen empfohlen hatte. (Nebenbei: Das unsägliche Hartz-Papier erklärte er schlicht zur »Bibel für den Arbeitsmarkt«.) Auch durch vermeintlich Belangloses zeigte er Mut zum Wechsel. Heinker: »Seinen Stil, sich zu kleiden, die öffentliche Rede zu zelebrieren und die nonverbale Körpersprache zu pflegen, schaut sich Wolfgang Tiefensee sehr schnell von den Wirtschaftsbossen ab.« Tiefensee selbst nennt das »grandiose Horizonterweiterung«. Doch trotz erfolgreicher Wahl und Beginn einer zweiten Amtszeit als OB im Juli 2005 hat in Leipzig sein Stern den Zenit längst überschritten. Irgendwann merkt selbst der letzte Leipziger, dass jeder Kaiser nackt ist. Obgleich Tiefensee angeblich »die Geschicke der Messestadt so erfolgreich wie keiner vor ihm seit Kriegsende« leitet (Welt am Sonntag), mischen sich zunehmend Misstöne in die bis dato kontrollierte Medienpräsenz. Die Freie Presse in Chemnitz nennt ihn schon mal »Schönredner« und die Frankfurter Rundschau etikettiert ihn als »Tausendsassa mit Kehrseite«. Er habe »sehr viele Baustellen aufgemacht«, aber nur wenig zu Ende gebracht. Und Die Zeit befand bereits 2001, dass er sich bisher noch nie habe hart durchsetzen müssen. Heinker prophezeit darum für Berlin: »Doch in der Leipziger Manier, Vorlagen bis zum Erreichen sicherer Mehrheiten durch die Dienstberatungen zu schicken, wird Tiefensee sein Ministerium kaum führen können.« Im vertraulichen Kreis soll er schon mehrfach betont haben, so Heinker, dass er sich durchaus für das Amt des Bundeskanzlers geeignet halte. Damit hätte also nach hiesigem Parteiverständnis die SPD für die nächste Bundestagswahl mindestens zwei Top-Leute mit Messias-Aura: Platzeck und Tiefensee. Was uns tatsächlich erwartet, deutet Heinker in seinem Buch ahnungsvoll an. Es gibt wirklich keine Geheimnisse mehr. Schon gar nicht in der Politik. Das erklärt die Langeweile, die sie zunehmend verbreitet. Helge-Heinz Heinker: Wolfgang Tiefensee. Eine Biographie. Lehmstedt Verlag, Leipzig 2005, 157 S., geb., 14,90 EUR.
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