Schuld, Angst, Lebensgier, Utopie

Publiziert: Rudolf Bartschs »Geliebt bis ans bittere Ende«. Verboten: sein Fernsehfilm »Sprengung«

  • Günter Agde
  • Lesedauer: 3 Min.

Der DDR-Schriftsteller Rudolf Bartsch (1929 - 1981) gehörte zu jener Generation junger Deutscher, die mit dem Faschismus aufwuchsen und dann in den Krieg gerieten. Ihre Sozialisierung war von Barbarei, Lebensgefahr und zahlreichen Entbehrungen geprägt, dazu kamen das Nachkriegselend und oft der Verlust von Heimat, der Eltern, also aller wichtiger Bindungen, die junge Menschen um die 15 / 16 Jahre besonders brauchen. Bartsch hat in seinen wichtigsten Büchern diese Zeit immer wieder thematisiert, vor allem in dem - stark autobiografisch geprägten - Roman »Geliebt bis ans bittere Ende«, der 1958 mit einer Auflage von 10 000 Exemplaren im Mitteldeutschen Verlag Halle erschien.

Darin erzählte er die wilden, sehr wechselvollen Abenteuer von Arthur Gebauer: ehemals Abiturient, nun zur Wehrmacht eingezogen und Gefreiter - auf dem Rückzug der Wehrmacht von der Ostfront geradewegs in die Lausitz verschlagen. Er wird zu einer Exekution kommandiert - und ihm gelingt, zusammen mit zwei anderen, eine abenteuerliche Flucht, die nach dem Kriegsrecht Desertion genannt werden muss.

Gebauer schlägt sich durch, weil er überleben will und trifft Entwurzelte aller Art, fanatische SS-Endkämpfer, Fremdarbeiter, Frauen, Flüchtlinge, Indifferente, Kommunisten - das gesamte Spektrum von Menschen in schrecklicher, schwer überschaubarer Zeit, die alle durchkommen und dann zurechtkommen wollen. Manche suchen auch nach einem wirklich sinnvollen Neuanfang. Bartsch ließ keinen Zweifel, wem von ihnen seine Sympathie gehört. Ihnen widmete er auch deutlich seine gestalterische Sorgfalt. So geriet ihm das riesige Personenpanorama zu einem Schmelztiegel von Schuld und Verstrickung, von Feigheit und Angst, von Lebensgier und Utopie.

Bartsch nannte seine Hauptfigur stets den »Gefreiten Gebauer« (nur die handelnden Personen redeten ihn mit Vornamen an). Er wollte mit dieser Verfremdung seine eigenen Erlebnisse neutralisieren, in ein anderes als in das persönliche Licht schieben, sich auch von diesen Erlebnissen distanzieren, um sie - schlussendlich - bewältigen zu können. Damit gelang ihm zudem, Gebauers erstaunliche, wendungsreiche Entwicklung vom Getriebenen zum »Selbsthelfer in wilder anarchischer Zeit« plausibel (manchmal zu ausführlich) zu beschreiben, wenngleich er die Romanhandlung nicht frei von mancherlei gewaltsamen Zufällen hielt, besonders bei Gebauers Begegnungen mit Frauen. (Sein Verleger sprach in einem Verlagsgutachten zu Recht von »eigenwilliger Architektur« des Buches.)

Er löste die komplizierten Verwicklungen in einem nahezu apokalyptischen Schluss und fand dafür einen gestalterischen Trick: Er ließ Gebauer (im Augenblick seines Todes) und seine Hauptwidersacher vor einem imaginierten Jüngsten Gericht ihr Lebensplädoyer halten. Eine Selbstabrechnung der eigenwilligsten Art.

Das Kriegs- und Nachkriegsthema war freilich auch für Bartsch literarisch irgendwann aufgebraucht. Folglich suchte der unruhige Autor nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten und Themen. Und er wagte den Griff zu einem neuen Genre: dem Film. Er schrieb das Szenarium »Sprengung« (1962 - 65), eine schlichte DDR-Alltagsgeschichte um harte Konflikte bei einer Naturkatas᠆trophe, in der er auf sein Lebensthema von Verantwortung und Gewissen zurückkam und es - ebenso wie in seinem Roman - sehr scharf auf Leben und Tod zuschnitt. Der erfahrene DDR-Fernseh-Regisseur Peter Hagen (»Das unsichtbare Visier«) drehte den Film als einfaches, redliches Stück aus dem DDR-Alltag. Der Film wurde bereits im Vorfeld des berüchtigten SED-ZK-Kahlschlag-Plenums 1965 verboten: Die Vertreter der Arbeiterklasse würden diskriminiert, ein damals gebräuchliches und vernichtendes »Argument«. Das DDR-Fernsehen hatte - jenem Plenum vorauseilend - bereits »sauber gemacht«.

Bartschs hoffnungsvoller Versuch, sich ein neues Genre zu erobern, wurde damit weggebrochen, eine aufblühende Begabung beschädigt. Wie durch ein Wunder wurde kürzlich eine Kopie des Films gefunden. Der Film erlebte seine sehr verspätete Uraufführung im Berliner Zeughauskino, wohl der letzte der 1965 verbotenen Filme.

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